Aufklärung von“Racial Profiling“ Silvester in Köln ist nötig!

Gestern war im Landtag die Silvesternacht 2016/2017 am Kölner Hauptbahnhof Thema. CDU sowie SPD/Grüne hatten Anträge eingereicht, in der vor allem der Polizei für ihren Einsatz gedankt werden sollte.

Mir ist das zu wenig, ich wollte, dass auch die Vorwürfe zum „Racial Profiling“ zur Sprache kommen. In der Silvesternacht waren zahlreiche Menschen festgehalten worden, die offenbar nach ihrem Aussehen, nach Haut- und Haarfarbe ausgewählt wurden. Sprach die Polizei zunächst von „Hunderten Nafris“ am Bahnhof, wurde später zurückgerudert. Bei diesem Einsatz sind zahlreiche Widersprüche ungeklärt.

Daher hatte ich einen Entschließungsantrag eingereicht, der in der Debatte erwartungsgemäß von den Fraktionen SPD, CDU, Grüne und FDP bei Enthaltung der Piraten abgelehnt wurde. Der Antrag trägt die Drucksachennummer 16/14074, ich habe ihn „Bei allem berechtigten Dank an die Einsatzkräfte: Aufklärung der Vorkommnisse der Silvesternacht nicht vergessen – „Racial Profiling“ verurteilen“ genannt.

Ich wollte, dass festgestellt werden soll, wie die Auswahl der Personen am Bahnhof genau getroffen wurde. Ich wollte, dass die genauen Umstände des Einkesselns geklärt werden. „Racial Profiling“ sollte als institutioneller Rassismus verurteilt und die Verwendung mit Konsequenzen belegt werden werden sowie die Polizei entsprechend geschult werden. Schließlich wollte ich noch erreichen, dass der Begriff „Nafris“ für nordafrikanische Menschen allgemein als diskriminierend festgestellt wird und in der Kommunikation der Polizei nicht mehr auftauchen darf.

Die Debatte selbst gab mir Gelegenheit, zu differenzieren: Die Verantwortung für das katastrophale Versagen Silvester 2015/2016, sowie für die fragwürdige Selektionen Silvster 2016/2017 trägt ja nicht der einzelne Beamte: Ich nannte das „Dieser Fisch stinkt am Kopfe“. Den Redetext habe ich hier angehängt (es gilt das gesprochene Wort).


{Anrede}

Lassen Sie mich eines vorausschicken: Wenn wir Kritik an der Polizei anlässlich der letzten beiden Silvesternächte üben, dann sind damit nicht die einzelnen Polizeibeamtinnen und Beamten gemeint. Ich habe großen Respekt vor deren Leistung! Die sehen jeden Tag Gewalt, Kriminalität und die Folgen menschlicher Tragödien – die müssen es ausbaden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Respekt – vor all denjenigen, die diese Arbeit tagtäglich leisten und als ihre Berufung ansehen.

Nein, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieser Fisch stinkt am Kopfe.

Es ist die Polizeiführung, die jeweils für das Versagen am Kölner Hauptbahnhof verantwortlich ist. Es ist die Polizeiführung, die vorletztes Silvester viel zu wenig Kräfte einsetzte und auch dann keine Verstärkung schickte, als das notwendig war und dringend erbeten wurde. Es ist die Polizeiführung, die für die katastrophale Kommunikation während und nach Silvester verantwortlich ist.

Dieses Jahr ist das Pendel offensichtlich in die andere Richtung geschlagen: Diesmal wurde mit fragwürdigen Mitteln gearbeitet. Es wurden Hunderte von jungen Männern festgehalten, die offensichtlich nach dem Aussehen, nach Haut- und Haarfarbe ausgewählt wurden. Deutsche durch die rechte Tür, ausländisch anmutende Männer durch die linke.

Insgesamt sind zahlreiche Widersprüche ungeklärt: Zuerst redete man von „Hunderten Nafris“ am Bahnhof, später räumt man kleinlaut ein: Es waren nach jetziger Kenntnis gerade mal dreißig Nordafrikaner unter den Kontrollierten. Die mitgeteilten Zahlen passen vorne und hinten nicht zusammen.

Während es offiziell heißt, es seien lediglich Gruppen von gemeinsam anreisenden Pöblern und Betrunkenen gezielt herausgegriffen worden, sprechen zahlreiche Zeugenberichte eine ganz andere Sprache. Es gibt Berichte von Einzelreisenden, es gibt Berichte von einzelnen Personen, die aus größeren zusammenreisenden Gruppe herausgegriffen worden sind. Es gibt Berichte von Männern, die in weiblicher Begleitung unterwegs waren und von ihrer Begleitung getrennt worden sind.

Viele wurden erst mal gar nicht kontrolliert, sondern einfach im Kessel festgehalten. Und dann, eine Minute nach Mitternacht, wird der Kessel plötzlich aufgelöst und alle Männer können gehen, dann unkontrolliert. Kann mir das jemand erklären?

Wie wurden die Zielpersonen nun tatsächlich ausgewählt? „Racial Profiling“, also die Auswahl polizeilich zu kontrollierender Menschen alleine nach deren Hautfarbe oder Herkunft ist von Gerichten klar verboten worden. Wenn man also zu dieser Maßnahme griff, im berechtigten Bemühen, dass sich die Straftaten der Silvesternacht nicht wiederholen, dann ist das unzulässig. Man kann nicht ein Unrecht mit einem anderen bekämpfen!

Ich glaube, mit dieser Anzahl eingesetzter Beamtinnen und Beamten, die in Köln unterwegs waren, hätte man auch ohne Kessel die Sicherheit in der Stadt herstellen können.

Hier sind zahlreiche Fragen offen und Konsequenzen erforderlich. Dazu liegt hier mein Entschließungsantrag vor, für den ich um Zustimmung werben möchte. Beim richtigen und berechtigten Dank an die Beamtinnen und Beamten, die für unsere Sicherheit sorgten, während wir Silvester feiern durften, darf man die Aufklärung dieser Vorkommnisse nicht vergessen.

Vielen herzlichen Dank.

Redebeitrag in Debatte zur Causa Amri: Kameras stoppen keine Lastwagen

Heute hat der Landtag NRW über die Causa Anis Amri debattiert. Ich habe im Rahmen dieser Debatte die folgende Rede gehalten (es gilt das gesprochene Wort):


{Anrede}

Anis Amri reiste mit einem Dutzend falscher Identitäten und falschen Papieren durch ganz Deutschland. Er absolvierte eine kriminelle Karriere, mit Sozialhilfebetrug, Diebstählen, Drogenhandel. Er verkehrte mit Islamisten, googelte im Internet nach Bombenbau. Er sprach mit zahlreichen Leuten, ob sie mit ihm gemeinsam Anschläge begehen wollen. Vom marokkanischen Geheimdienst kamen mindestens zwei Terrorwarnungen. Einem V-Mann des LKA erzählte er von seinen Plänen, sich Schnellfeuergewehre für einen Anschlag zu beschaffen, während dieser ihn im Auto nach Berlin fuhr.

Und trotzdem hat all das keinen Alarm ausgelöst.

Die Behörden haben im Fall des Anis Amri krass versagt. Und das ist die eigentlich bittere Erkenntnis dieses Falls: Der Anschlag am Berliner Breidscheidplatz hätte möglicherweise verhindert werden können, hätte man diese Zeichen richtig gelesen.

Jetzt wird also wieder nach neuen Strafen gerufen, nach leichterer Abschiebung, Fußfesseln, weiterer Aushöhlung des Rechtes auf Asyl und unserer Bürgerechte. Es wird noch mehr anlasslose Überwachung gefordert. Vermeintliche Rechtslücken sollen geschlossen werden.

Aber all das hat nichts mit dem Fall Amri zu tun! All das wird uns nicht mehr Sicherheit bringen, im Gegenteil: Das ist eine Schein-Sicherheit, solange die tatsächlichen Probleme nicht angegangen werden.

In Deutschland halten sich 62 sog. Gefährder mit abgelehntem Asylantrag auf. Anis Amri war einer davon. War es nicht möglich, wenigstens diese lückenlos zu überwachen?

Anis Amri jedenfalls wurde nicht lückenlos überwacht, er wurde nicht in Haft genommen, das wurde nicht einmal versucht. Selbst die verfügbaren milderen Mittel des Asylrechts wie etwa Meldeauflagen wurden nicht angewendet. Von Grenzen des Rechtsstaates waren wir weit entfernt. Dann aber kann auch niemand behaupten, dass, wenn strengere Regeln im Asylrecht verfügbar gewesen wären, diese hier auch überhaupt angewendet worden wären.

Minister Jäger sagte vergangene Woche im Innenausschuss, er kannte den Namen Anis Amri vor dem Anschlag nicht. Der Minister lässt sich also nicht von seinem Ministerium über ausreisepflichtige Gefährder in NRW unterrichten. Das ist besonders interessant, denn eine Abschiebungsanordnung nach §58a Aufenthaltsgesetz, die hätte der Minister selbst veranlassen müssen. Das hat er also noch nicht einmal prüfen können!

Und zu allem Überfluss hat die eine beteiligte Stelle nicht mit der anderen gesprochen. Das LKA nicht mit der Ausländerbehörde Kleve und nicht mit der Staatsanwaltschaft Duisburg.

Wir müssen also konstatieren: Konsequente Anwendung des bestehenden Rechts hätte womöglich schon ausgereicht. Funktionierende Kommunikation unter den Sicherheitsbehörden hätte vielleicht schon ausgereicht. Schärfere Gesetze jedenfalls ersetzen keine Defizite im Vollzug.

Kameras stoppen keine Lastwagen!

Nur herkömmliche Polizeiarbeit, gründliche Ermittlungen, anlassbezogene, konsequente Überwachung und funktionierende Kommunikation zwischen allen beteiligten Stellen bringen auch Sicherheit. Ja, das ist anstrengend, ja, das braucht viel Personal, und ja, dieses muss dann auch gut ausgerüstet und ausgebildet sein. Mit esoterischer Sicherheitstechnik kann man das genauso wenig ersetzen wie mit noch mehr Gesetzen und neuen Strafen.

Und ja, es ist aufwendig, vor einen Richter zu treten und eine rechtliche Maßnahme, wie zum Beispiel eine Abschiebungsanordnung, zu begründen. Aber das muss sein. Das ist keine Rechtslücke. Wir brauchen diese Instanz, damit das Recht gewahrt bleibt. Dem muss man sich dann als Exekutive auch stellen.

Und über die sozialen Gründe, warum junge Menschen zu Fanatikern werden, haben wir hier noch nicht gesprochen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Im Fall Anis Amri sind krasse Fehler im Vollzug offenbar geworden. Diese müssen jetzt weiter aufgeklärt werden, auch parlamentarisch, und zwar mit einem Untersuchungsausschuss. Und das Versagen muss Folgen haben. Minister Jäger trägt die politische Verantwortung für dieses Desaster, und sollte die Konsequenzen ziehen.

Jetzt aber den kurzen Weg zu gehen und einfach einen Katalog neuer Gesetze und einen bunten Strauß neuer Überwachungstechnik zu fordern ist keine Lösung. Das wird den nächsten Anis Amri nicht aufhalten.

Vielen herzlichen Dank.

Polizei Köln rudert zurück: Welche Nationalitäten hatten die Silvester überprüften Personen?

Am Silvesterabend selbst teilte die Kölner Polizei per Twitter mit, es würden „mehrere Hundert Nafris überprüft“. In den Stellungnahmen danach war von rund 650 überprüften Personen die Rede, die vorwiegend Nordafrikaner gewesen sein sollen.

Am Freitag, den 13. Januar 2017 wurde diese Darstellung durch die Polizei Köln plötzlich erheblich geändert. Insgesamt habe die Polizei die Identität von 674 Personen ermittelt, wobei bis dato bei 425 Personen die Nationalität festgestellt werden konnte. Von diesen 425 wiederum meldete die Polizei 99 Iraker, 94 Syrer, 48 Afghanen und 46 Deutsche. 17 waren Marokkaner und 13 Algerier. Zu den Nationalitäten der restlichen 108 Personen machte die Polizei keine Angaben. Ebenso unklar ist, warum sich bei 249 Personen die Identität, aber nicht die Nationalität feststellen ließ.

Als unbelegt und offensichtlich falsch hat sich also die Aussage erwiesen, es handele sich vorwiegend um Nordafrikaner. Die Mehrheit entfiel demzufolge auf Iraker und Syrer. Weniger als einer von zehn war Marokkaner oder Algerier. Das ist kein überwiegender, nicht einmal ein großer Anteil.

Ich habe der Landesregierung daher die folgenden Fragen gestellt (Drucksache 16/13984):

  1. Warum ist die Nationalität von 249 Personen nicht bestimmbar, wenn man ihre Identität hat klären können?
  2. Welche Nationalitäten haben die verbleibenden 108 Personen? Stellen Sie eine Tabelle von Nationalitäten aller identifizierten Personen insgesamt auf.
  3. Welche Stellungnahmen hat die Kölner Polizei abgegeben, in denen auf die Nationalitäten der in der Silvesternacht 2015/2016 überprüften Männer eingegangen worden ist? Nennen Sie jede einzelne Stellungnahme mit Datum, herausgebender Stelle und Veröffentlichungsort.
  4. Warum hat die Polizei Köln in der Silvesternacht und in den Stellungnahmen danach vor dem 13. Januar 2017 von einer überwiegenden Zahl Nordafrikaner unter den überprüften Personen gesprochen, wenn diese Feststellung nicht belegbar und damit offenkundig falsch ist? Nennen Sie die Gründe für jede Stellungnahme separat, und gehen darauf ein, wie diese falschen Aussagen jeweils zustande kamen.
  5. Welche Konsequenzen wird diese Verbreitung unbelegter offenkundig falscher Aussagen haben?

14 Identitäten des Anis Amri und keine Strafanzeige deswegen?

Anis Amri, der islamistische Attentäter, der für den Tod von zwölf Menschen auf dem Berliner Weihnachtsmarkt verantwortlich ist, reiste zuvor monatelang mit insgesamt 14 Identitäten und entsprechenden gefälschten Identitätsdokumenten durch Deutschland, die den nordrhein-westfälischen Behörden bekannt waren. Gleichwohl behauptete Innenminister Jäger in der Sondersitzung des Innenausschusses im Landtag, es habe keine ausreichende Grundlage gegeben, Amri als Gefährder in Haft zu nehmen.

Wer sich falsche Ausweise verschafft, macht sich strafbar, ihm drohen mehrere Jahre Haft.

Anis Amri war als Gefährder bekannt, strafrechtlich bereits in Erscheinung getreten, hatte bereits eine mehrjährige Freiheitsstrafe abgesessen, vor ihm wurde durch den tunesischen Geheimdienst gewarnt, er hatte Sozialhilfebetrug begangen, mit Betäubungsmitteln gehandelt, suchte Kontakte zu Islamisten, googelte Bombenbauanleitungen und war mehrfach Gegenstand geheimdienstlicher Beratungen gewesen.

Obgleich der Kreis Wesel, in dem Amri gemeldet war und Sozialhilfebetrug beging, es vorschlug, wurde durch Innenminister Jäger keine Abschiebungsanordnung beantragt. Nach der wäre es möglich gewesen, Amri bis zu 18 Monate in Abschiebehaft zu nehmen.

Es stellt sich die Frage, ob konsequente Ermittlungen wenigstens in dieser offenkundigen Straftat der Urkundenfälschung auf Basis bestehender Gesetze Amri womöglich hätten stoppen können.

Es wurde auch spekuliert, ob ein Amt für Verfassungsschutz seine schützende Hand über Amri gehalten haben könnte, weil er als potentieller V-Mann angesehen wurde oder sogar geführt wurde.

Ich habe daher die Landesregierung heute folgendes gefragt (Drucksache 16/13983):

  1. Welchen nordrhein-westfälischen Stellen waren die gefälschten Identitätsdokumente und/oder die falschen Identitäten des Anis Amri bekannt?
  2. Warum wurde wegen der falschen Identitäten und/oder der gefälschten Identitätsdokumente keine Strafanzeige gegen Anis Amri erstattet bzw. konkret diesbezüglich Ermittlungen eingeleitet? Gehen Sie auch darauf ein, inwieweit ein Verfassungsschutzamt daran beteiligt war, Amri vor Strafverfolgung zu bewahren.
  3. Bestehen eine oder mehrere Rechtsverpflichtungen, ab Kenntnis einer solchen Fälschung Anzeige zu erstatten bzw. Ermittlungen einzuleiten? Geben Sie an, auf welchen Rechtsvorschriften sie jeweils beruhen.
  4. Welche Strafe hätte Anis Amri zu erwarten gehabt?
  5. Wäre Anis Amri – wegen dieser Straftat, ggf. in Verbindung mit dem Sozialhilfebetrug und/oder dem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz – in Untersuchungshaft zu nehmen gewesen? Gehen Sie auf das Risiko der Fluchtgefahr bzw. der zu erwartenden Abschiebung ein.

„Nafris“ und „Racial Profiling“: Das geht zu weit! Landesregierung muss sich erklären

Deutsche durch die linke Tür, ausländisch anmutende Männer durch die rechte Tür: In der Silvesternacht 2016/2017 wurden am Bahnhof zu kontrollierende Personen offensichtlich anhand ihrer Hautfarbe selektiert. Nur auf den ersten Blick deutsch aussehende Personen konnten die Stadt ungehindert betreten. Die Polizei Köln informierte über dieses Vorgehen in der Silvesternacht folgendermaßen: „Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft. Infos folgen.“

Die Auswahl zu kontrollierender Personen alleine anhand der Hautfarbe oder Herkunft, ohne das konkrete Hinweise auf Straftaten vorliegen, stellt Rassismus dar. Aus gutem Grund ist „Racial Profiling“ in mehreren Gerichtsurteilen verboten worden. Wenn die Polizei aus Sorge vor einer Wiederholung der Geschehnisse der Vorjahres-Silvesternacht zu dieser Form diskriminierender Kontrolle greift, geht sie eindeutig zu weit. Man darf Unrecht nicht mit Unrecht bekämpfen. Die Landesregierung muss die Auswahlkriterien der Kontrolle nennen, und gegen rassistische Auswahl Konsequenzen einleiten.

Auch der verwendete Begriff „Nafris“ hat Kritik ausgelöst. Intern wurde der Begriff bei der Polizei für „Nordafrikanische Intensivtäter“ benutzt. Seinen Ursprung hat dieser Ausdruck allerdings in der Neonazi-Szene als abwertende Bezeichnung für Nordafrikaner allgemein. Mittlerweile wird der Begriff synonym für „Nordafrikaner“ benutzt, auch wenn keinerlei Hinweise auf Intensivtäter vorliegen.

Damit hat es der Schmähbegriff dank der unterschiedslosen Verwendung durch die Polizei in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft. Neben der damit verbundenen Schmähung wird transportiert, dass Nordafrikaner mit Intensivtätern gleichzusetzen seien. Die Polizei macht einen rassistischen Begriff salonfähig.

Ich habe die Landesregierung mit zwei kleinen Anfragen (Drucksache 16/13911 und Drucksache 16/13912) aufgefordert, sich zur Verwendung des Begriffs „Nafris“ und zu den Auswahlkriterien des „Racial Profiling“ zu erklären, und dazu folgende Fragen gestellt:

Zu „Racial Profiling“:

  1. Wie definiert die Landesregierung „racial profiling“? Gehen Sie auch auf die zugehörigen Erkenntnisse aus der Silvesternacht 2016/2017 ein und machen diese kenntlich.
  2. Nach welchen Kriterien wurden die zu kontrollierenden Personen ausgewählt? Gehen Sie auch darauf ein, inwieweit „fremdländisches“ Aussehen oder Hautfarbe dabei eine Rolle gespielt hat bzw. nicht hat.
  3. Welche tatsächlichen Anhaltspunkte lagen vor, dass sich die zu kontrollierenden Personen zu Straftaten verabredet hätten bzw. durch sie Straftaten drohten? Gehen Sie auch darauf ein, inwieweit das für sämtliche ausgewählte Personen oder nur für einen Teil davon anzunehmen war.
  4. Ist seitens der Landesregierung nachvollziehbar, warum die Kölner Polizei mit dem Vorwurf des „racial profiling“ konfrontiert wurde? Begründen Sie Ihre Meinung.
  5. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen bzw. wird sie ergreifen, um Beamtinnen und Beamte der nordrhein-westfälischen Polizei für das Problem „racial profiling“ zu sensibilisieren? Gehen Sie auch auf die Folgen der Silvesternacht 2016/2017 ein.

Zum Begriff „Nafris“:

  1. Wie definiert die Landesregierung die von der Kölner Polizei genutzten Bezeichnungen „Nordafrikanische Intensivtäter“ sowie „Nafris“? Gehen Sie auch auf die Abgrenzung zwischen Nordafrikanern allgemein sowie Intensivtätern ein.
  2. Wie werden diese Kategorien im Zuständigkeitsbereich des Landes verwendet? Geben Sie alle bekannten Fälle mit verwendender Stelle, Datum, Veröffentlichungsort, Zusammenhang und Bedeutungen an.
  3. Welche tatsächlichen Anhaltspunkte lagen vor, dass es sich bei den zu kontrollierenden Personen in der Kölner Silvesternacht 2016/2017 um „Nordafrikanische Intensivtäter“ bzw. „Nafris“ handeln könnte? Gehen Sie darauf ein, woran man diese Gruppen erkennen kann.
  4. Hält die Landesregierung die Verwendung der Kurzbezeichnung „Nafris“ für angemessen? Begründen Sie Ihre Meinung, gehen Sie insbesondere auf den rassistischen Hintergrund des Begriffes ein, und inwieweit damit alle Nordafrikaner zu Intensivtätern erklärt werden.
  5. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, um die Verwendung des Begriffs „Nafris“ durch Behörden des Landes zu beenden? Gehen Sie auch darauf ein, ob interne Bezeichnungen geändert werden sollen.

Mit Antworten rechne ich in etwa einem Monat, ich werde an gewohnter Stelle darüber berichten.

Bitte beachtet auch die Pressemitteilung des NRW-Landesverbandes:
Polizeieinsatz in Köln: LINKE kritisiert racial profiling

Arbeit 4.0 und das Bedingungslose Grundeinkommen

sonnuntergang

Nicht jede Arbeit wird ausreichend bezahlt. Ein Bataillon Menschen ist dazu gezwungen, niedrigstbezahlte Arbeit anzunehmen, um dann gleich mehrere Jobs erfüllen zu müssen oder auch noch aufzustocken. Das unmenschliche Hartz IV-System zwingt sie in jeden denkbaren Job, egal, wie unsicher und prekär er ist. Und selbst zahlreiche Menschen, die zeitlebens gearbeitet haben, bekommen später keine auskömmlichen Renten.

Nicht jede Arbeit wird überhaupt bezahlt. Die vielen Menschen, die sich ehrenamtlich, sozial oder gesellschaftlich engagieren, die vielen Menschen, die sich um Schwächere kümmern, um Kinder, um pflegebedürftige Angehörige, die können ein Lied davon singen. Das alles ist auch viel Arbeit, und das alles muss auch getan werden. Ebenso notwendig wie der Beitrag zur kulturellen, musischen, künstlerischen Vielfalt, zu Information und Bildung, zu gesellschaftlichem Fortschritt, der in aller Regel ebenfalls nicht bezahlt wird.

Die heutige neoliberale Wirtschaftslogik führt dazu, dass immer weniger Menschen immer mehr arbeiten müssen. Die Erwerbstätigen sollen vorzugsweise rund um die Uhr abrufbar sein, während die anderen dabei zusehen dürfen. Rationalisierung verstärkt dies noch, und mit dem neuen Trend zur Digitalisierung aller Arbeitsprozesse, mit selbstfahrenden Autos, Industrie 4.0 etc. werden in absehbarer Zeit wiederum zahlreiche weitere Jobs entfallen. Die Romantisierung von Industriearbeit, der Wunsch nach Vollbeschäftigung, nach (bezahlten) Arbeitsplätzen für alle hilft da nicht weiter.

Rationalisierung ist nicht automatisch schlecht: Viele der entfallenden Arbeiten sind anstrengend, monoton oder gefährlich. Es ist kein Wert an sich, diese unbedingt von Menschen erledigen zu lassen. Nur tatsächlich erfüllende Arbeit ist es wert, getan zu werden.

Neue Technik erzeugt auch neue Jobs, aber keiner kann sagen, wie viele. Und auf jeden Fall werden die neuen Tätigkeiten ganz andere Qualifikationen erfordern als die zugleich entfallenden. Eine erste Lösung dafür kann also nur das Recht auf lebenslange und kostenlose Bildung und Weiterbildung sein.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist Arbeitszeitverkürzung, durch kürzere Wochen- und Lebensarbeitszeiten. Die Rationalisierungsdividende der Digitalisierung sollte dafür Spielräume eröffnen.

Doch ungeachtet aller dieser Maßnahmen wird es dabei bleiben, dass viele Menschen nicht mehr in das System passen. Sie können keine der Jobs erfüllen, die angeboten werden. Sie wollen ihr Leben frei bestimmen, sich frei einer sozialen, gesellschaftlichen, künstlerischen Aufgabe widmen können. Sie wollen ihre Kinder nicht vernachlässigen. Und das alles soll bitte ohne Existenzängste und ohne Repressionen stattfinden.

Jeder Mensch hat das Recht auf eine würdige Existenz und auf gesellschaftliche Teilhabe. Mit Hartz IV ist beides nicht möglich, die Zahlungen reichen dafür nicht aus. Jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben ohne Angst und ohne Sanktionen. Das Hartz IV-System ist das Gegenteil davon. Hartz IV muss also weg.

Doch was soll an seine Stelle treten? Es muss ein sanktionsfreies Existenz- und Teilhabeminimum sein. Darauf hat jeder Mensch ein Anrecht: Die unantastbare Würde des Menschen ist eben unter allen Umständen zu garantieren.

Und da kommt ein Bedingungsloses Grundeinkommen ins Spiel. Es sichert die materielle Existenz und ermöglicht Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen. Niemand muss mehr entwürdigende, unsichere oder unzureichend bezahlte Jobs annehmen. Diese Grundsicherung kann man dann steuerlich so gestalten, dass sie – zum Beispiel in Form einer negativen Steuer – nur den tatsächlich Bedürftigen in voller Höhe zukommt, und mit steigenden zu versteuernden Einkommen abnimmt. Sie stellt zugleich das Rentenminimum dar. Trotzdem kostet das alles erstmal viel Geld.

Voraussetzung dafür ist ein faires Steuersystem, welches alle Einkommensarten gleichermaßen besteuert: Arbeit, Unternehmenseinkünfte und Kapitaleinkünfte. Voraussetzung ist eine angemessene Erbschafts- und Vermögenssteuer, die die ständig steigenden Vermögen mit zur Verantwortung zieht. Voraussetzung dafür ist eine angemessene Besteuerung der Wertschöpfung, die internationale Unternehmen erzielen, anstatt Gewinne in Steueroasen zu verschieben.

Roboter und Algorithmen zahlen keine Steuern. Doch wenn sie Arbeit von Menschen übernehmen, sollen sie auch mit für deren Auskommen sorgen. Und nicht zuletzt sparen wir uns eine gigantische Repressionsbürokratie und Verwaltung.

Aber abseits von konkreten Finanzierungsideen und -Vorbehalten: Wer, wenn nicht wir, soll denn eine gesellschaftliche Vision entwickeln? Soll man nicht zuerst die Gesellschaft planen, in der man in Zukunft leben möchte, und dann die nötigen Schritte dahin? Wenn man das Ziel klar definiert hat und sich darüber einig ist, ergeben sich die nächsten Schritte. Und ein Anfang kann darin bestehen, zunächst einen geringen Grundeinkommensbetrag anzusetzen. Weitere wissenschaftliche Begleitung ist auf jeden Fall nötig.

Politik machen heißt Visionen zu entwickeln, denn alles andere ist nur Verwaltung.

Mit den Opfern wird nicht gesprochen: Ermittlungen zum Mord in Holte-Stukenbrock abgeschlossen

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Die Landesregierung möchte einen rechtsextremen Hintergrund des Mordes an einem türkischen Familienvater in Schloss Holte-Stukenbrock weder bestätigen noch dementieren. In seiner Antwort auf eine kleine Anfrage von mir (Drs.Nr. 16/12730) wollte der Innenminister auch nicht angeben, ob ein Bezug zum NSU ermittelt werden konnte. Ein Täter habe nicht ermittelt werden können. Die Untersuchungen seien abgeschlossen. Damit lässt sie reichlich Raum für Spekulationen.

Am 7. September 1996 wurde in Schloß Holte-Stukenbrock (Kreis Gütersloh) ein Familienvater türkischer Nationalität auf offener Straße erschossen, während er mit seiner kleinen Tochter auf dem Fahrrad unterwegs war. Der Fall wurde nie aufgeklärt. Im Rahmen der NSU-Untersuchungen wurde dieser Fall sowie weitere ungeklärte Altfälle zur Überprüfung eines möglichen rechtsterroristischen bzw. rassistischen Hintergrundes wieder aufgenommen und an die Landesbehörden zur Überprüfung übergeben. Ich hatte über den Fall bereits berichtet.

Das Innenministerium gab jetzt in seiner Antwort (Drs.Nr. 16/12957) an, dass im ursprünglichen Ermittlungsverfahren „sämtliche Ermittlungsrichtungen berücksichtigt“ worden wären. Ich halte das nicht für glaubhaft: Bei der gesamten NSU-Terrorserie sind Opfer und Angehörige mit Verdächtigungen terrorisiert worden. Auch beim Nagelbomben-Attentat in der Kölner Keupstraße wurde schon am Tag nach der Tat ein terroristischer Hintergrund ausgeschlossen. Warum sollte das ausgerechnet hier anders gewesen sein? Der Innenminister ist nicht willens, sich mit eventuellen Ermittlungsfehlern auseinanderzusetzen, selbst nachdem es zahlreiche Tote durch Rechtsterrorismus gegeben hat.

Und eine weitere Unterlassung ist meinen Informationen aus der Familie zufolge geschehen: Man hat nicht mit den Angehörigen gesprochen. Im Zuge der Neuermittlungen hat man es nicht für nötig befunden, mit der Familie des Mordopfers Kontakt aufzunehmen. Das ist beschämend.

Polizei NRW stigmatisiert HIV und psychisch Erkrankte in ihren Datenbanken

Spritze

„Es sind nicht unsere Unterschiede, die uns trennen. Es ist unsere Unfähigkeit, diese Unterschiede zu verstehen, zu akzeptieren und zu ehren.“ Audre Geraldine Lorde

Im polizeilichen Auskunftssystem „POLAS NRW“ speichert die nordrhein-westfälische Polizei unter ihrem obersten Dienstherrn Minister Ralf Jäger (SPD) Merkmale für HIV und psychische Erkrankungen. In der Antwort auf meine kleine Anfrage mit dem Titel „Personengebundene Hinweise im Polizeilichen Auskunftssystem NRW“ (DrsNr. 16/12650) räumte das Ministerium in seiner jetzt veröffentlichten Antwort ein, 870 Menschen mit dem Merkmal „ANST“ für „Ansteckungsgefahr“ (gemeint ist HIV, Hepatitis B oder C) und 841 mit dem Merkmal „PSYV“ für „psychische und Verhaltensstörungen“ gespeichert zu haben.

Die Speicherung sei nötig, um Polizeibeamte zu schützen, heißt es in der Antwort. Für die Einhaltung des Datenschutzes sieht der Minister die übermittelnden Stellen, also anscheinend die Ärzte, verantwortlich. Die Rechtsgrundlagen zu benennen, auf denen die Übermittlungen der Merkmale jeweils basieren, sei „in der zur Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.“

Jedermann weiß, dass von HIV-Infizierten im Alltagskontakt überhaupt keine Gefahr ausgeht. Moderne Medikamente reduzieren das Virenniveau im Blut der Erkrankten bis unter die Nachweisgrenze. Nur die Polizei weiß das offenbar noch nicht, und stigmatisiert Menschen mit dieser Erkrankung weiterhin und unnötig. Es gibt weder einen medizinischen noch einen für die Eigensicherung von Polizeibeamten relevanten Grund für die Speicherung dieses Merkmals.

Nach zahlreichen Protesten wurde zwar der historisch belastete Begriff „geisteskrank“ aus der polizeilichen Datenbank entfernt, aber die Speicherung selbst wurde gar nicht beendet: Sie läuft vielmehr unter dem Kürzel „PSYV“ munter weiter. Wer gegen die Stigmatisierung von psychisch Kranken vorgehen will, darf sie nicht selbst stigmatisieren. Von daher ist hier – ebenso wie bei der Speicherung von HIV- und Hepatitisdiagnosen – auch Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) gefordert. Schönwetterreden gegen Ausgrenzung und für Emanzipation durch die Ministerin sind nur noch zynisch, wenn die Landesregierung, der sie angehört, so sensible personenbezogene Daten speichert und damit selbst stigmatisiert.

Beide Merkmale müssen umgehend aus den Datenbanken gelöscht werden. Insgesamt muss die Datensammelwut nordrhein-westfälischer Behörden offenbar noch viel stärker kontrolliert werden und Datenspeicherung noch stärker begrenzt werden.

Die kleine Anfrage: Drucksache 16/12650
Die Antwort der Landesregierung: Drucksache 16/12796

Weitere Berichterstattung:
Queer: Polizei speichert HIV-Infektionen in ihrem Auskunftssystem
Junge Welt: SPD und Grünen fehlt das Unrechtsbewusstsein

Vielen Dank an Jasper Prigge für die Formulierung dieser Anfrage!

Rechts motivierter Brandanschlag in Altena: Ermittlungen gegen Polizeibeamte

Feuerwehrleute

Am 3. Oktober vergangenen Jahres brannte eine Geflüchtetenunterkunft in Altena. Die Täter waren schnell gefasst, zwei junge Männer aus der Nachbarschaft. Die Polizei teilte zunächst mit, ein rechter Hintergrund sei nicht feststellbar, die Täter hatten aus „Besorgnis“ gehandelt, und ermittelte wegen Brandstiftung.

Dabei war die Tat selbst mit hoher krimineller Energie ausgeführt: Eine Notrufleitung zur Feuerwehr wurde vorher durchtrennt, und die Dachbalken mit hoher Fach- und Sachkenntnis angezündet; einer der Täter war Feuerwehrmann. Im Haus lebten sieben Personen, die sich glücklicherweise in Sicherheit bringen konnten. Man kann also gut und gerne davon ausgehen, dass die Täter die Tötung der Geflüchteten mindestens billigend in Kauf genommen haben, man hätte also wegen eines versuchten Tötungsdeliktes ermitteln müssen.

Mehr noch: Erst die Opferanwälte fanden bei eigenen Recherchen auf den Mobiltelefonen der Täter rassistische und rechtsextreme Bilder, darunter Abbildungen Adolf Hitlers und von Hakenkreuzen. Die Behauptung, keinen rechtsextremen Hintergrund feststellen zu können, war also falsch.

Wie konnte es zu dieser unfassbaren Schlamperei und Fehleinschätzung kommen, wie bewertet die Landesregierung diese Vorkommnisse? Das wollte ich in einer kleinen Anfrage, die ich der Landesregierung zustellte, wissen. Die Antwort bestätigte den schlampigen Umgang mit den Telefonen und enthüllte, dass es neben Dienstaufsichtsbeschwerden jetzt auch strafrechtliche Ermittlungen gegen zwei ermittelnde Beamte wegen Strafvereitelung im Amt gebe. Das ist schon starker Tobak.

Unter anderem haben die WELT und WDR Lokalzeit berichtet (Video mit einem Interview mit mir (bis zur Depublizierung in etwa 10 Tagen verfügbar), ab Minute 3:30).

Die ermittelnden Behörden waren den Tätern gegenüber wohl zu nachsichtig. Es waren eben die „netten Jungs“ aus der Nachbarschaft, die diesen Brand- und auch versuchten Mordanschlag verübten, gestandene junge Männer mit renommierten Zivilberufen. Das zeigt allerdings, wie tief gruppenbezogener Menschenhass und Rassismus in die Mitte unserer Gesellschaft vorgedrungen ist, wie alltäglich Rechtsterrorismus ist. Doch Nazis haben nicht immer Springerstiefel an – die Ermittlungsbehörden haben sich erneut als auf dem rechten Auge blind erwiesen.

§175: Opferakten vernichtet, Landesregierung untätig

queer

Der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches, den es bis zum 11. Juni 1994 gab, stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Erst 1994 wurde dieser schwulenfeindliche Paragraf endgültig aufgehoben, vorher wurden insgesamt rund 140.000 Männer nach dieser Rechtsvorschrift verurteilt. Eine Entschädigung für dieses Unrecht in der Bundesrepublik Deutschland hat es bis heute noch nicht gegeben.

Die derzeitige Bundesregierung plant nun endlich eine Entschädigung der Opfer, die bislang allerdings nicht von der Stelle kommt. Eine Nachweispflicht der Verurteilung durch die Betroffenen ist ebenfalls vorgesehen. Für teils jahrzehntealte Verurteilungen werden die Opfer oft keine Unterlagen mehr besitzen.

Ich habe der Landesregierung Fragen gestellt, wieviele Opfer in NRW betroffen sind und wieviele der Gerichtsakten noch existieren, und ob NRW anhand der Akten von sich aus Schritte unternimmt. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Landesregierung seit Jahren tatenlos zusieht, wie Aufbewahrungsfristen ablaufen und Akten vernichtet werden. Schritte, die Akten vor der Vernichtung zu retten – oder irgendwelche Schritte zur Sicherung der Ansprüche der Opfer – hat sie auch in den letzten vier Jahren nicht unternommen, obwohl der Landtag schon 2012 die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer in NRW beschlossen hat. Ein Skandal.

Wer Unterdrückung aufarbeiten will, darf Akten nicht vernichten lassen und muss sich einen Überblick über vorhandene Aktenbestände verschaffen. Ich erinnere daran, dass es schon bei der Entschädigung für Zwangsarbeit für die Betroffenen nicht nur sehr zeitaufwendig, sondern nahezu unmöglich war, die notwendigen Nachweise zu erbringen. Eine nicht erfüllbare Nachweispflicht darf es nicht geben.


Berichtet wurde u.a. in den Männermagazinen „Männer“ und „Queer“:

22.08.2016 Queeer:Paragraf 175: Fast alle Opferakten in NRW vernichtet
22.08.2016 Männer:175er: Gerichtsakten vernichtet – Die Entschädigung der Opfer könnte deswegen sehr erschwert werden

Drucksachen:

Die kleine Anfrage „Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer des §175 StGB“
Die Antwort des Justizministeriums

Ich danke der LAG Queer der LINKE.NRW für ihre Arbeit und Frank Laubenburg und Jasper Prigge für die Formulierung dieser Kleinen Anfrage!