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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/12745

 

23.08.2016

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 4979 vom 25. Juli 2016

des Abgeordneten Daniel Schwerd   FRAKTIONSLOS

Drucksache 16/12570

 

 

 

Konsequenzen aus den Ermittlungen zum Brandanschlag in Altena

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

 

„Hass ist die Rache des Feiglings dafür, dass er eingeschüchtert ist.“

George Bernard Shaw

 

 

Am 03.10.2015 wurde ein Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Altena verübt. Zur Tatzeit schliefen sieben syrische Geflüchtete in dem Gebäude, als zwei Männer im Alter von 25 und 24 Jahren das Kabel des automatischen Rauchmelders durchtrennten und mit Benzin ein Feuer legten, so die bisherigen Erkenntnisse. Bei der Brandlegung wurde anscheinend mit hohem Sachverstand zielgerichtet vorgegangen. Die Bewohner konnten nur gerettet werden, weil Nachbarn den Schwelbrand rechtzeitig bemerkten.

 

Im Zuge der Ermittlungen schloss die Abteilung Staatsschutz der Polizei Hagen früh ein rechtsextremes Motiv der mutmaßlichen Täter aus, obwohl sie bei der Auswertung der Mobiltelefone unter anderem auf Bilder von Adolf Hitler und Hakenkreuzen gestoßen war und zuvor Daten gelöscht worden waren.

 

Die Staatsanwaltschaft klagte die Männer zunächst nur wegen schwerer Brandstiftung an. Die Brandstifter seien bisher nicht als rechtsmotivierte Täter bekannt, Durchsuchungen und Zeugenbefragungen hätten keine Hinweise zu diesem Kriminalitätsbereich offenbart, so hieß es von Seiten der Ermittlungsbehörden.

 

Erst nach einer Auswertung der Daten durch die Nebenklageanwälte im Prozess vor dem Landgericht Hagen wurde bekannt, was die mutmaßlichen Täter auf ihren Mobiltelefonen gespeichert hatten. Das Schwurgericht gelangte aufgrund dieser Erkenntnisse zu der Auffassung, dass nunmehr nicht mehr nur schwere Brandstiftung, sondern versuchter Mord in Betracht komme.

Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 4979 mit Schreiben vom 23. August 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet.

 

Vorbemerkung der Landesregierung

 

Die Kleine Anfrage stellt die Mobilfunkdaten der Angeklagten in einen Zusammenhang mit der Eröffnung des Hauptverfahrens wegen des Verdachts des versuchten Mordes. Dieser Zusammenhang besteht nicht. Nachdem die Staatsanwaltschaft Hagen am 18. November 2015 gegen die beiden Beschuldigten Anklage wegen gemeinschaftlicher schwerer Brandstiftung vor dem Landgericht Hagen erhoben hatte, beauftragte die zuständige Strafkammer einen Brandsachverständigen mit einem ergänzenden Gutachten. In seinem Gutachten vom 23. Dezember 2015 kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, der von der Feuerwehr gelöschte Schwelbrand im Spitzboden des Hauses habe das Potenzial gehabt, sich unkontrolliert im Dachgeschoss auszubreiten. Daraufhin beschloss die Strafkammer am 25.01.2016, die Sache dem Schwurgericht vorzulegen, das den dringenden Tatverdacht eines versuchten Tötungsdelikts bejahte und am 10.02.2016 Haftbefehl gegen beide Angeschuldigte wegen versuchten Mordes erließ.

 

 

1.      Hat die Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen des Brandanschlags in Altena die zentralen Beweismittel, darunter die auf den Mobiltelefonen sichergestellten und später rekonstruierten Daten, selbst ausgewertet und auf ihre rechtliche Relevanz für das Verfahren überprüft? Geben Sie alle beteiligten Stellen an.

 

Im Rahmen der Ermittlungen gegen die beiden Beschuldigten wurden deren Mobiltelefone von der Polizei in Hagen sichergestellt und die darauf befindlichen Daten gesichert. Dabei wurde ein hohes Datenvolumen festgestellt. Die Auswertung bezog sich zunächst auf den Nachweis der Täterschaft. Dazu wurden die Daten vorrangig in Bezug auf die Vortat-, Tat- und Nachtatphase ausgewertet.

 

Da dem Dezernenten der Staatsanwaltschaft Hagen ein Aktenvermerk der ermittelnden Beamten der Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums Hagen vorlag, wonach der Inhalt der sichergestellten Mobiltelefone im Original und mittels eines Datensicherungsprogramms insbesondere auch Whats-App-Chats, Facebook-Chats, E-Mails und andere Dateien ausgewertet worden seien, hat er zu einer erneuten Auswertung des umfangreichen Datenmaterials keinen Anlass gesehen. Gegen diese Sachbehandlung hat die Generalstaatsanwältin keine Bedenken.

 

 

2.      Wie bewertet die Landesregierung das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft? Beurteilen Sie dabei bitte ebenfalls den Umgang mit den Erkenntnissen aus der Auswertung der Mobiltelefone sowie deren anschließende Bewertung und ihren Einfluss im Strafverfahren.

 

Die Datenauswertung beim PP Hagen ist derzeit Gegenstand einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen zwei Beamte des PP Hagen. Dies hat die Staatsanwaltschaft Hagen zum Anlass genommen, ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Strafvereitelung im Amt einzuleiten. Die Landesregierung greift diesen Ermittlungen nicht vor.

 

Die Bewertung im Rahmen des Strafverfahrens obliegt im Übrigen dem Schwurgericht in Hagen in richterlicher Unabhängigkeit und entzieht sich schon deshalb einer Bewertung durch die Landesregierung.

 

 

3.      Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen, um sicherzustellen, dass die Ermittlungsbehörden zukünftig Hinweisen auf gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nachgehen?

 

Die u.a. auf Betreiben der Landesregierung verabschiedete Neufassung des § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB verlangt, dass rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe und Ziele bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Die Ermittlungsbehörden und Gerichte in Nordrhein-Westfalen sind deshalb bezüglich der Erkennung und Verfolgung fremdenfeindlicher und rechtsradikaler Straftaten deutlich sensibilisiert. Auch die Aus- und Fortbildung der nordrhein-westfälischen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie sämtlicher Justizangehöriger sensibilisiert für extremistische Erscheinungsformen jeglicher Art.

 

In allen nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaften werden einschlägige Verfahren in den Sonderabteilungen für politische Strafsachen von erfahrenen Sonderdezernentinnen und -dezernenten bearbeitet, die vertrauensvoll mit den örtlichen Staatsschutzdienststellen der Polizei zusammenwirken. Etwaiger Optimierungsbedarf im Einzelfall wird durch einen intensiven Austausch der zuständigen Behörden vor Ort umgesetzt.

 

Die statistische Erfassung politisch motivierter Kriminalität (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“. Der Brandanschlag in Altena wurde als fremdenfeindliche Straftat qualifiziert und im Kriminalpolizeilichen Meldedienst als solche an das Bundeskriminalamt gemeldet. Der Sachverhalt wird aktuell der politisch motivierten Kriminalität - rechts zugeordnet.

 

 

4.      Hat die Landesregierung eine Überprüfung anderer laufender Verfahren und Verfahren, in denen nach § 153 StPO wegen Geringfügigkeit von der Verfolgung abgesehen wurde, auf Hinweise gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit veranlasst bzw. beabsichtigt sie, dies zu tun? Geben Sie alle Maßnahmen an, die in diesem Sinne ergriffen wurden.

 

Nein.

 

Die Staatsanwälte und Staatsanwältinnen in Nordrhein-Westfalen entscheiden inhaltlich unabhängig. Ihnen und nicht der Landesregierung obliegt die Entscheidungshoheit über die Ermittlungen. Staatsanwälte und Staatsanwältinnen unterliegen dabei zuvörderst der Aufsicht und Leitung durch ihre Behördenleitung und durch die Generalstaatsanwältin bzw. den Generalstaatsanwalt.

 


 

 

5.      Ist die Landesregierung der Auffassung, dass im Falle gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein Absehen von der Verfolgung nach den §§ 153, 153a StPO grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt? Geben Sie auch an, inwieweit sie dies gegenüber den Staatsanwaltschaften kommuniziert hat.

 

Im Jahre 2015 sind die Nummern 15, 86 und 234 der bundesweit verbindlichen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) dahingehend neu gefasst worden, dass ein (besonderes) öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bei rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründen des Täters in der Regel zu bejahen ist. Die Richtlinien stellen darüber hinaus klar, dass die Ermittlungen bei entsprechenden Anhaltspunkten auf derartige Tatmotive zu erstrecken sind.

 


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