Lobbyeinfallstor Clearingstelle Mittelstand? Mehr Transparenz der Verfahren ist erforderlich

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Die Clearingstelle Mittelstand wurde vor zwei Jahren eingerichtet, um Gesetzesvorhaben frühzeitig, vor der Kabinettsbefassung, auf Mittelstands- und Wirtschaftsverträglichkeit zu überprüfen. Ein Schwerpunkt soll auf den Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen liegen. Organisatorisch ist sie bei den Industrie- und Handelskammern angesiedelt, angehört werden in Clearingverfahren Kammern, Wirtschafts- und kommunale Spitzenverbände sowie der DGB.

Durch die außerordentlich frühe Einflussmöglichkeit, noch während der Erarbeitung im Ministerium und vor der Kabinettsbefassung, sowie durch die einseitige Besetzung der Interessengruppen besteht die Gefahr, dass Lobbyinteressen übergewichtet werden. Zudem sind in den Verbänden statt kleinen und mittleren Unternehmen auch oft gerade Großunternehmen einflussstark.

Ich habe das bereits mehrfach seit der Einführung der Clearingstelle Mittelstand kritisiert, zum Beispiel hier: Wirtschaftsminister setzt geheim tagendes Lobbygremium ein

Nachdem dieses Gremium nun schon etwas länger existiert, ist es an der Zeit, nach seiner Beeinflussung von Gesetzesvorhaben zu fragen. Daher habe ich die folgenden Fragen an die Landesregierung gerichtet:

  1. Welche Änderungen an den entsprechenden Gesetzesentwürfen/Referentenentwürfen wurden aufgrund von Feedback der Clearingstelle vorgenommen? Listen Sie für jedes Vorhaben die jeweils veränderten Textstellen auf, wie sie unmittelbar vor dem Clearingverfahren verfasst waren, gegenübergestellt den Versionen derselben Textstellen nach dem Clearingverfahren vor der jeweiligen weiteren Beratung, mit den jeweiligen Zeitpunkten. Unveränderte Textstellen müssen nicht aufgelistet werden.
  2. Auf welche Teile der Stellungnahmen der Clearingstelle bzw. einer der befragten Organisationen bezieht sich jede vorgenommene Veränderung? Markieren sie solche Textstellen, die aus Stellungnahmen wörtlich oder nahezu wörtlich entommen worden, gesondert.
  3. Welche dieser Veränderungen sind Anforderungen, die speziell zur Förderung kleiner Unternehmen und Einzelunternehmern vorgenommen worden sind?
  4. Welche dieser Veränderungen ist im folgenden Verfahren inhaltlich nicht mehr zurückgenommen und somit gültig geworden? Spätere redaktionelle Änderungen an diesen Veränderungen sind damit nicht gemeint.
  5. Wie wurde jeweils sichergestellt, dass andere Anforderungen, u.a. Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Verbraucherschutz und Arbeitnehmerschutz bei jeder dieser Veränderungen gleichwertig sichergestellt wurden.

Die kleine Anfrage wurde mit der Drucksachennummer 16/10535 veröffentlicht.

Sind Bürgermeister-Pensionen von nach einer Amtsperiode abgewählten Wahlbeamten ein Geheimnis?

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„Die Altersvorsorge entwickelt sich zur Sorge vor dem Alter.“
Prof. Dr. Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger

Das Transparenzbündnis „NRW blickt durch“ kritisiert, dass nach den vergangenen NRW-Bürgermeisterwahlen mehrere Kommunen die Auskunft über die Pensionen ihrer abgewählten Bürgermeistern verweigert haben. Sieben von acht Städten hätten keine Zahlen herausgegeben.

Der Bund der Steuerzahler hatte nach den Versorgungsansprüchen der abgewählten Bürgermeister gefragt, die zuvor nur lediglich eine Wahlperiode im Amt gewesen waren. Besonderes Augenmerk hatte man darauf legen wollen, ob die großzügigen Anrechnungsmöglichkeiten im Versorgungsrecht für die kommunalen Wahlbeamten völlig ausgeschöpft worden sind.

Dem Grunde nach gibt es einen Versorgungsanspruch nach acht ruhegehaltfähigen Dienstjahren sowie der Vollendung des 45. Lebensjahres. Zusätzlich gibt es zugunsten der kommunalen Wahlbeamten die Möglichkeit, neben Ausbildungs- und Studienzeiten sogenannte „förderliche Dienstzeiten“ wie etwa eine frühere berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit in Höhe von bis zu vier Jahren anzurechnen. Darüber entscheidet Stadtrat mit großem Ermessensspielraum.

Ob und inwieweit diese Regelung in den angefragten Fällen angewendet worden ist, wurde nicht bekanntgegeben. Ob ggf. angerechnete „förderlichen Dienstzeiten“ tatsächlich konkret der Arbeit einer Amtsperiode haben nutzen können, ist also unbekannt. Es wäre nicht zu vermitteln, wenn hier mit Steuermitteln überaus großzügig umgegangen wird, während alle anderen Menschen um Ihre Rente bangen.

Vor diesem Hintergrund habe ich der Landesregierung die folgenden Fragen gestellt:

  1. Welche ehemaligen kommunalen Wahlbeamten im Land NRW, die zuvor maximal eine Amtsperiode im Amt waren, haben nach Ihrer Abwahl in diesem Jahr Versorgungsansprüche unter Verwendung von Anrechnungsmöglichkeiten im Versorgungsrecht angekündigt bzw. zugesagt bekommen?
  2. Welche weiteren ehemaligen kommunalen Wahlbeamten im Land NRW haben nach Ihrer Abwahl in diesem Jahr zusätzliche Ansprüche über ihre reinen Dienstjahre hinaus unter Verwendung von Anrechnungsmöglichkeiten im Versorgungsrecht angekündigt bzw. zugesagt bekommen?
  3. Welche Anrechnungsmöglichkeiten sind in jedem einzelnen Falll angwendet worden? Nennen Sie für jeden einzelnen Fall die jeweils berücksichtigte „förderliche Dienstzeit“ in Art und Dauer, bzw. die angerechneten Ausbildungs- und Studienzeiten.
  4. Zu welchen Erhöhungen der monatlichen Renten führt das voraussichtlich? Geben Sie die jeweilige Erhöung für jeden einzelnen Fall an, ggf. nach heutigem Stand.
  5. In welcher Form überprüft das Land NRW die jeweiligen Ermessenentscheidungen der jeweiligen Räte? Gehen Sie darauf ein, inwieweit Angemessenheit und Sachgerechtheit dieser Entscheidungen geprüft werden.

Diese kleine Anfrage wurde unter der Drucksachennummer 16/10337 veröffentlicht.

Schwer(d) informiert! Radio-Interviews zur Vorratsdatenspeicherung und Transparenz durch soziale Medien

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Hallo liebe Blogleser_innen,

vor einigen Tagen führte das Campusradio Köln, der Studentensender aus Köln, ein Interview mit mir. Der Redakteur Andreas Jansen vom Campusradio besuchte mich im Landtag und führte mit mir ein Gespräch zum Thema Vorratsdatenspeicherung. Es entwickelte sich ein Dialog, welcher die Pro- und Contraargumente anschaulich darstellt und den vermeintlichen Nutzen der massenhaften Vorratsdatenspeicherung entlarvt. Der Link zur Datei ist unterhalb dieses Textes.

 

Ein weiteres Interviews habe ich mit Hauke van Göns (@hauke_vg) geführt, der für das Campusradio Wilhelmshaven und das unabhängige Münchener Radio Lora 924 das Interview aufgezeichnet hatte. Schwerpunkt war hierbei die Frage, ob und welche Möglichkeiten der Digitale Wandel mit sich bringt um Politik transparenter, responsiver und direkter zu gestalten. Das Interview wurde noch nicht ausgestrahlt, ist aber fertig produziert, ich verlinke es ebenfalls unten.

Europäisch-kanadisches Freihandelsabkommen #CETA stoppen!

flag-472394_640Folgenden Text habe ich als Antrag Drucksache 16/7150 für die kommenden Plenartage eingereicht. Er wird am Donnerstag, den 06.11., etwa gegen 14:30 Uhr im Landtag NRW debattiert und abgestimmt werden.

Das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) steht nach fünfjähriger Beratungszeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit kurz vor seinem Abschluss. Am 26. September 2014 wurde von den Vertragsparteien eine Erklärung zum Abschluss der Verhandlungen unterzeichnet. CETA gilt auch als Blaupause für das sich in den Beratungen befindliche Freihandelskommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa, TTIP.

An CETA ist vielfache Kritik laut geworden. Es heble demokratische Kontrolle aus und bevorzuge einseitig die Interessen internationaler Großkonzerne. Die Vereinbarungen sind den Parlamentariern von Bund und Ländern nicht zur Verfügung gestellt worden. Eine transparente öffentliche Debatte fand bisher ebenso wenig statt.

Wegen unklarer Rechtsbegriffe im Abkommen und der fehlenden institutionellen Unabhängigkeit privater Schiedsgerichte könnten Maßnahmen und Auflagen des Landes zum Grundrechts-, Menschenrechts-, Sozial-, Arbeits-, Verbraucher-, Natur- oder Umweltschutz dem Risiko unüberschaubarer Schadensersatzforderungen ausgesetzt werden.

Die privaten Schiedsgerichte, die internationale Unternehmen zur Durchsetzung ihrer Interessen anrufen können, werden ad-hoc gebildet, wobei die Verdienstmöglichkeiten der Schiedsrichter mit der Zahl der Verfahren steigen. Es gibt keine Rechtsmittel gegen einen Schiedsspruch. Selbst wenn der Staat obsiegt, ist eine vollständige Erstattung seiner Rechtsverteidigungskosten nicht gewährleistet, so dass alleine schon das hohe Kostenrisiko eine Kommune oder ein Land veranlassen kann, auf ihr Regulierungsrecht zu verzichten.

Schiedsverfahren zwischen demokratischen Rechtstaaten etablieren unnötigerweise eine doppelte Gerichtsbarkeit, da ausländische Konzerne gegen Beschränkungen gleichzeitig vor staatlichen Gerichten vorgehen und vor dem privaten Schiedsgericht Entschädigung fordern können. Auch die kommunalen Spitzenverbände wenden sich in einem gemeinsamen Positionspapier zu internationalen Handelsabkommen und kommunalen Dienstleistungen vom Oktober 2014 gegen eine solche Schiedsgerichtsbarkeit. Sie sehen in den transatlantischen Freihandelsabkommen eine Gefährdung der kommunalen Rechte.

Weiter besteht die Ansicht, dass CETA die demokratischen Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern vielfach beschränken. So sollen staatliche Genehmigungsverfahren laut CETA „so einfach wie möglich“ und ohne „unangemessene Verzögerung oder Verkomplizierung“ zu gestalten sein. Bei so unbestimmten Rechtsbegriffen könnte schon eine Beteiligung der Öffentlichkeit oder Umweltverträglichkeitsgutachten als „unangemessen“ oder „kompliziert“ angesehen werden.

Auch dort wo das Abkommen den bestehenden Standards entsprechen soll, könnte es die gewählten Volksvertretungen an zukünftigen Änderungen hindern, etwa wenn Umwelt oder Verbraucher auf der Grundlage neuer Erkenntnisse oder einer neuen Bewertung besser geschützt werden sollen. Es ist zudem vollkommen unklar, ob das Tariftreue- und Vergabegesetz NRW als „ungerechtfertigte Diskriminierung“ oder „unnötige Handelsbeschränkung“ im Sinne von CETA verworfen würde.
Im Kapitel über „Rechte am geistigen Eigentum“ finden sich zahlreiche Ansätze des von der europäischen Öffentlichkeit und vom Europäischen Parlament mehrheitlich abgelehnten ACTA-Abkommens wieder. So soll etwa privaten Internetprovidern die Durchsetzung von Urheberrechten aufgebürdet werden, wodurch die Interpretation von Gesetzen privatwirtschaftlichen Firmen überlassen würde. Bestimmte Urheberrechtsverstöße könnten sogar unter das Strafrecht fallen. CETA würde die Spielräume bei der für die laufende Legislaturperiode anvisierte und mittlerweile auch seitens der Kommission geforderte EU-Urheberrechtsreform massiv einschränken.

CETA geht über bestehende Freihandelsabkommen nicht nur insofern hinaus, als es neben Handel und Dienstleistungen erstmals für jegliche „wirtschaftliche Tätigkeit“ gelten soll, beispielsweise auch für den Abbau und die Weiterverarbeitung natürlicher Ressourcen. Erstmals sollen von dem geplanten CETA-Abkommen zudem nur noch solche Bereiche ausgenommen sein, die in dem Abkommen ausdrücklich aufgeführt sind (sog. Negativliste). Aufgrund dessen ist intransparent und nicht vorhersehbar, in welchen Bereichen das Abkommen Anwendung finden wird. Aufgrund der Komplexität des Abkommens besteht ein hohes Risiko, dass die definierten Ausnahmen lückenhaft sind und das Abkommen somit Auswirkungen auf Politikfelder entfaltet, die nach derzeitigem Stand gar nicht absehbar sind.

Wir fordern daher vom Landtag, folgendes festzustellen:

  1. Der Entstehungsprozess von CETA ist in höchstem Maße intransparent. Der Ausschluss von Parlamentariern auf EU-, EU-Länder, Bundes- und Länderebene sowie das Fehlen einer breiten zivilgesellschaftlichen Debatte ist zu verurteilen.
  2. CETA enthält zahlreiche unbestimmte Klauseln und Rechtsbegriffe und stellt daher Staat, Gesellschaft und heimische Wirtschaft vor ungewisse Risiken.
  3. Private Schiedsgerichtsverfahren sind in Abkommen zwischen demokratischen Rechtsstaaten unnötig.
  4. Ein vollständiger Ausschluss von Kultur, Bildung und Presse ist nicht vorgesehen, es gibt zahlreiche Schlupflöcher und Ausnahmen.
  5. CETA geht weit über die Zuständigkeiten der EU hinaus. Ein vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten kommt ebenso zu dem Schluss, dass es sich bei CETA um ein „gemischtes Abkommen“ handelt, welches die Zustimmung aller Mitgliedsländer erforderlich macht.
  6. CETA greift in die Zuständigkeiten der Länder, insbesondere in den Bereichen Kultur- und Medienpolitik, ein. Das Abkommen bedarf auch der Ratifizierung durch den Bundesrat.

Wir fordern die Landesregierung dazu auf,

  1. auf allen politischen Ebenen darauf hinzuwirken, dass CETA in der derzeitigen Form weder unterzeichnet bzw. ratifiziert wird.
  2. auf allen politischen Ebenen die Zustimmungspflicht aller EU-Mitgliedstaaten sowie insbesondere des deutschen Bundesrats zum CETA-Abkommen einzufordern.
  3. sich auf allen politischen Ebenen für die Herausnahme der Investorenschutzklauseln und Negativlisten aus dem CETA-Abkommen einzusetzen.
  4. eine breite gesellschaftliche und politische Debatte zum CETA-Abkommen zu fördern.
  5. im Bundesrat gegebenenfalls gegen das CETA-Abkommen zu votieren.

Causa Klausner weiter ungeklärt

wood-336547_640Das Landgericht Münster hat am Donnerstag entschieden, den zwischen dem Land und der Firma Klausner geschlossene Vertrag dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vorzulegen. In dem Vertrag verpflichtete sich das Land, zwischen 2007 und 2014 jährlich 500.000 Kubikmeter frisches Holz an den österreichischen Holzverarbeiter zu liefen.

Die Rechtslage ist weiter ungeklärt. Altlasten aus der Zeit der Regierung Rüttgers erschweren die Aufklärung zusätzlich. Dabei drängt sich die Frage auf, ob diese auf grenzenlose Inkompetenz, auf Korruption oder gleich auf beides zurückzuführen sind. Die Umstände der freihändigen Vertragsvergabe sind bis heute mysteriös.

Auch die jetzige Landesregierung hat wenig unternommen, die zahlreichen Fragen, Ungereimtheiten und Versäumnisse in der Causa Klausner aufzuklären. Es hätte noch 2009 die Möglichkeit bestanden, den Vertrag zu kündigen, was jedoch seitens des dafür zuständigen Ministeriums nur mündlich geschehen sein soll. Aber jedes Schulkind weiß, dass eine Kündigung nachweishalber schriftlich ausgesprochen werden sollte.

Bei der Causa Klausner tut sich ein Sumpf von Altlasten auf. Die Kosten drohen weiterhin, die klamme Haushaltslage in NRW zu verschärfen. Bereits jetzt sind dem Land durch die Rechtsstreitigkeiten mit dem Unternehmen beträchtliche Kosten entstanden. Schließlich bleibt weiter die Frage offen, welche Konsequenzen die Landesregierung aus den Ungereimtheiten im Fall Klausner zu ziehen beabsichtigt. Der Sumpf ist noch lange nicht trocken gelegt.

Zur Causa Klausner habe ich vor über einem Jahr im Plenum bereits mal geredet. Die Rede könnt ihr hier nachlesen und nachsehen:
http://www.daniel-schwerd.de/plenarrede-zur-causa-klausner/

Und zur Berichterstattung findet ihr eine Reihe von Artikeln und Fernsehbeiträgen im Pressespiegel.

#KrankesSystem Parlamentarismus

Der Parlamentarismus in seiner jetzigen Form ist krank. Er hat deutliche Symptome von Meinungs-Votums-Dissonanz und Polit-Theater-Inszenierung. Es faulen seit geraumer Zeit Probleme vor sich hin, und niemand will sie sehen. Wir müssen uns damit beschäftigten.

Parlamentarismus wurde als wichtiges Demokratiewerkzeug eingeführt, um den Willen möglichst vieler Menschen zu repräsentieren. Sie delegieren die Wahrnehmung ihres Willens durch Wahlen an Parteien, die diesen dann in parlamentarischen Prozessen vertreten sollen. So weit, so gut.

Demokratie-Delegations-Simulation: Die Wahl der Qual

chair-89156_640„Kaufen“ muss eine Wählerin, ein Wähler eine Partei im Komplettpaket. Er bekommt abgeschlossene Weltbilder geliefert, die ihm die demokratischen Parteien anbieten, er kann sich in einem dieser Bilder wiederfinden – oder auch nicht, dann bleibt ihm die Auswahl derjenigen Partei, der gegenüber er die geringsten Ablehnung empfindet. Eine unglückliche Lösung, mir ist das jedenfalls zu wenig.

Ich denke, heutzutage sind Weltbilder längst nicht mehr so trivial, so eindimensional, dass sie in einen Katalog aus einem halben Dutzend Lebensentwürfen passen. Man wird „seine“ Wahlentscheidung also auf einige Kriterien reduzieren müssen, die besonders wichtig erscheinen – oder gleich auf ein Bauchgefühl. Außerhalb dieser Wahl hat man keinerlei Einflussmöglichkeiten auf Politik. Diese Situation finde ich bereits unzufriedenstellend genug.

Was vielen Menschen aber verborgen bleibt: Selbst in diesen wenigen Kriterien wird die gewählte Partei im Parlament oft genug von ihrem Weltbild, ihren Wahlversprechen abweichen. Es kommt im derzeitigen parlamentarischen System oft genug zu parlamentarischen Entscheidungen, wo die Abgeordneten nicht nur gegen ihre eigene Überzeugung und die der anderen Parteimitglieder stimmen, sondern sogar gegen die ihrer Wähler. Sie verraten den Auftrag, den sie von ihren Wählern bekommen haben. Sie verraten die Versprechungen, die sie vor der Wahl gemacht haben, und oft sogar noch nach dem Bruch des Versprechens wiederholen. Und alle etablierten Parteien machen mit.

Es sind diese „parlamentarischen Zwänge“, denen sich Abgeordnete unterwerfen, welche sie dazu bringen, entgegen der persönlichen Meinung, selbst der allgemeinen Parteimeinung zu stimmen. Es sind solche Zwänge, die sie zum Aufführen einer Politik-Theaterinszenierung zwingen, anstatt sich mit politischen Fragestellungen und deren Lösungen zu befassen. Für mich sind diese Zwänge eine Krankheit des Systems.

Parlamentarische Zwänge: Koalition statt Integrität

toolsRegierungstragende Koalitionen binden sich selbst in Koalitionsverträgen. Hier wird das Abstimmverhalten der Fraktionsmitglieder festgelegt. Und alle halten sich daran. Das Programm der einen Partei wird überlagert von dem der anderen Partei in der Koalition – und Gegenstand von Verhandlungen innerhalb dieser Koalition, meist auf oberster Ebene, von der der Wähler nichts mitbekommt, und die natürlich nicht in seinem Interesse sein müssen.

Beispiel gefällig? In NRW stimmten die Grünen als Teil der Regierungskoalition gegen unseren Antrag, die Vorratsdatenspeicherung zu stoppen. Der Antragstext selbst war kurz und knackig, er lautete wie folgt:

I. Der Landtag stellt fest:

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein hochproblematischer Eingriff in die Grundrechte der Bürger unseres Landes.

II. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

• sich auf allen politischen Ebenen, auf EU-Ebene, im Bundesrat und der Innenministerkonferenz gegen jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung einzusetzen.

Dieser Antrag wurde mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen abgelehnt.

Wer das Wahlprogramm der Grünen kennt, weiß, dass sie sich dort eindeutig gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen haben. Hier haben sie aber vollkommen gegensätzlich abgestimmt – weil man gemäß Koalitionsvertrag nicht gegen die Meinung seines Koalitionspartners SPD stimmen darf.

Ich bin überzeugt, dass das nicht im Sinne der Mitglieder und Wähler der Grünen ist. Macht das zufrieden? Ist das richtig? Was nützt es, politische Positionen zu formulieren, wenn man sie nicht vertritt? Ich finde das abstoßend, für mich ist das Zeichen einer Krankheit.

Polit-Theater-Inszenierung: Form vor Inhalt

audience-238490_640Ein weiteres Krankheitssymptom: Man darf offenbar niemals für Anträge des politischen Gegners stimmen. Auf das Thema kommt es nicht an. Sollte sich der Antrag als richtig und sinnvoll herausstellen, kann man dennoch nicht zustimmen, solange man nicht selbst auf dem Papier als Antragsteller steht.

Das führt zu extrem idiotischen Begründungen, warum man dem Antrag des politischen Wettbewerbers nicht zustimmt – meist werden rein formale Gründe genannt. Zu früh, zu spät, zu technisch, zu wenig technisch, nicht zuständig, oder man behauptet „handwerkliche Fehler“ ohne nähere Angaben. Man kann ein Bullshit-Bingo daraus bauen.

Krasses Beispiel gefällig?

Im Juli vergangenen Jahres wurde mein Antrag „O tempora, o mores – wider die Aushöhlung von Grundrechten, Demokratie und digitaler Kultur durch zügellose Überwachung!“ im Plenum behandelt. Wir wollten ein gemeinsames, starkes Zeichen setzen gegen den NSA-Überwachungsskandal, für den Schutz der Privatsphäre und der Bürgerrechte aller Menschen im Land.

Um eine breitestmögliche Zustimmung erhalten zu können, haben wir die Beschlussteile „III. Der Landtag beschließt:“ einzeln zur Abstimmung gestellt. Ich zitiere einige der Beschlüsse, zu denen die im Landtag vertretenen Fraktionen einzeln abstimmen konnten – so hätten sie konsensfähige Beschlüsse bestätigen, und die anderen guten Gewissens ablehnen können.

1. Der Landtag appelliert an die Bundesregierung, ihren Schutzauftrag ernst zu nehmen und geeignete Maßnahmen zum Schutz in Deutschland lebender Menschen sowie Organisationen, Unternehmen und Behörden in Deutschland vor ausländischer Datenüberwachung zu entwickeln.

Zugestimmt zu diesem Satz haben ausschließlich die PIRATEN. Die CDU lehnte ihn ab. Enthalten haben sich SPD, Grüne und FDP. Warum?

2. Der Landtag appelliert an die Bundesregierung, von den Regierungen des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten nachdrücklich Aufklärung zu verlangen
o über ihre Rolle im Zusammenhang mit „PRISM“ und „Tempora“,
o über Ausmaß und Inhalt der Überwachungsprogramme,
o sowie über die Frage, in welchem Maß in Deutschland lebende Menschen sowie Organisationen, Unternehmen und Behörden in Deutschland von diesen Programmen betroffen sind.

Zugestimmt zu diesem Satz haben ausschließlich die PIRATEN. Die CDU lehnte ihn ab. Enthalten haben sich SPD, Grüne und FDP.

Gibt es irgendeinen fachlichen Grund, warum man von der USA und England keine Aufklärung verlangen sollte? Warum kann man diesem Punkt nicht bedingungslos zustimmen?

3. Der Landtag appelliert an die Bundesregierung, von der Regierung des Vereinigten Königreichs das umgehende Ende der Aufzeichnung deutscher Datenübermittlungen einzufordern.

Zugestimmt zu diesem Satz haben ausschließlich die PIRATEN. Die CDU lehnte ihn ab. Enthalten haben sich SPD, Grüne und FDP.

Gibt es einen fachlichen Grund, warum man von England nicht fordern sollte, diese massenhafte Bespitzelung zu beenden?

4. Der Landtag appelliert an die Bundesregierung, Verhandlungen auf europäischer Ebene zur Entwicklung eines verbindlichen Abkommens aufzunehmen oder andere geeigneter Maßnahmen zu ergreifen, um
o eine massenhafte, anlasslose und verdachtsunabhängige Überwachung digitaler Kommunikation in der Europäischen Union durch nationale Nachrichtendienste oder durch Nachrichtendienste befreundeter Staaten zukünftig auszuschließen;
o allen in der Europäischen Union lebenden Menschen einen gleich hohen Schutz des Privatlebens, des Briefgeheimnisses und der digitalen Kommunikation zu garantieren.

Zugestimmt zu diesem Satz haben ausschließlich die PIRATEN. Die CDU lehnte ihn ab. Enthalten haben sich SPD, Grüne und FDP.

Was spricht bitte gegen die Aufnahme von solchen Verhandlungen? Ist es im Gegenteil nicht sogar die Pflicht der EU, für den Schutz der Bürger in diesen Punkten zu sorgen?

5. Der Landtag appelliert an die Bundesregierung, darüber hinaus mit den USA Verhandlungen für ein Abkommen aufzunehmen, das nachrichtendienstliche Aktivitäten der USA gegen Deutschland ausschließt.

Zugestimmt zu diesem Satz haben ausschließlich die PIRATEN. Die CDU lehnte ihn ab. Enthalten haben sich SPD, Grüne und FDP.

Was bitte ist das anderes als das No-Spy-Abkommen, was uns etwas später vollmundig versprochen worden ist? Über die nichtvorhandenen Chancen eines solchen Abkommens will ich an dieser Stelle nicht reden.

Es gibt Dutzende weitere Beispiele solch irrationalen Abstimmverhaltens. Jeder Landtagspirat wird da sein Leid klagen können. Bis hin zu den Kollegen anderer Fraktionen, die unter vier Augen Anträge loben, aber bedauern, nicht dafür stimmen zu können, die Fraktionsdisziplin, s’wissen schon.

Gelegentlich wird lieber ein inhaltlich gleicher Antrag selbst ins Plenum eingebracht und verabschiedet. In der Sache mag das ja egal sein, ob ein Thema unmittelbar, oder eben über Bande besprochen und verabschiedet wird – aber ist das nicht ein Anzeichen eines kranken Systems, dass in diesem Punkt eine Art Politik-Theater aufgeführt werden muss?

Übrigens, es ist natürlich auch für mehrheitstragende Fraktionen möglich, zu einem Antrag der Opposition eine Änderung einzubringen und zu beschließen, um beispielsweise einen kleinen Fehler zu heilen. Dass das aber in keinem einzigen Fall gemacht worden ist, zeigt, dass Themen eben doch egal sind.

Stabile Mehrheiten oder doch besser Themen?

waageDa lobe ich mir Minderheitsregierungen – da muss für jedes Thema geworben werden. Da können Mehrheiten beschafft werden, und sich thematische Bündnisse bilden, die weitaus genauer den Wählerwillen repräsentieren, weil sie auch mal quer durch vorgefasste Weltbilder gehen können. In sogenannten „stabilen Mehrheiten“ gibt es das leider nicht.

Der in anderen Parteien vorhandene und vom Steuerzahler finanzierte Sachverstand und Ideenreichtum wird in diesen Situationen niemals genutzt. Das ist schade. Nein – das ist verantwortungslos.

Das parlamentarische System ist krank. Kranke Patienten haben Behandlung verdient – wegschauen und nicht darüber sprechen stellt eine Misshandlung des Patienten dar. Wollen wir also den Parlamentarismus heilen, und ihn nicht missachten.

Weiterlesen – Beiträge meiner Kollegen:

PS:
Ja, die Konnotation des Begriffs „Krankes System“ ist mir bekannt. Den Hashtag haben wir der „befreundeten“ Presse zu verdanken. Nachdem man versucht hat, unseren Kollegen Daniel Düngel damit in die Pfanne zu hauen, benutzen wir ihn nun mit der Intention, das ursprünglich Gemeinte zu transportieren und zu verdeutlichen. Ich bitte um Verständnis.

Die #GroKo – das schönste Weihnachtsgeschenk für unser Land

retail-store-81950_640(Einen Antrag, den es so leider nie gegeben hat.)

(Update vom 23.12.)

Jetzt gibt es den Antrag, den es so leider nie gegeben hat, auch als Video. Mit Fraktionskollegen haben wir den Text eingesprochen, und Yaro hat ein satirisches Video daraus geschnitten. (Dankeschön, liebe Kollegen!)

Viel Spaß! Achtung, enthält Spuren von Zynismus.

I. Hintergrund

Auf Bundesebene haben SPD und CDU/CSU eine große Koalition vertraglich vereinbart. Auch nordrhein-westfälische Politiker haben an den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene teilgenommen und damit das Regierungsprogramm einer möglichen Großen Koalition maßgeblich mitgestaltet.

II. Der Landtag stellt fest:

  1. Laut SPD-Parteivorsitzendem Sigmar Gabriel trägt der zwischen SPD und Unionsparteien ausgehandelte Koalitionsvertrag „eine sozialdemokratische Handschrift und beinhaltet vieles, was das Leben der Menschen in Deutschland erleichtern und besser machen soll.“ Er zeige, „dass Politik keine abstrakte Veranstaltung irgendwo in der Mitte Berlins ist, sondern Arbeiten und Zusammenleben in unserem Land ganz konkret in den Blick nimmt.“ [1]
  2. CDU-Generalsekretär Gröhe betonte, dass sich die intensiven und harten Verhandlungen gelohnt hätten. Der entscheidende Maßstab sei, dass der Koalitionsvertrag unser Land voranbringe. Er kommentiert: „Der Vertrag spiegelt in guter Weise das Wahlergebnis wieder und ist von einer kräftigen Handschrift der Union geprägt.“ [2]
  3. Der Landtag nimmt zur Kenntnis, dass der Koalitionsvertrag gleichzeitig die Handschrift von SPD und CDU trägt.

III. Der Landtag beschließt:

Der Landtag beglückwünscht die an den Koalitionsverhandlungen beteiligten Mitglieder der Landesregierung zu ihrem Einsatz und begrüßt die hervorragenden Verhandlungsergebnisse, insbesondere

  1. den Einstieg in die Totalüberwachung der Gesellschaft durch die geplante Einführung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung;
  2. den dokumentierten Willen, weiterhin keine ernsthaften Anstrengungen zur Aufklärung des NSA-Überwachungsskandals unternehmen zu wollen;
  3. die Durchsetzung einer fortschrittlichen Familienpolitik durch die Beibehaltung des „schwachsinnigen“ Betreuungsgeldes (Zitat SPD-Bundestagsfraktion [3]);
  4. den anhalten Stillstand beim Ausbau des Breitband-Internets – auf diese Weise wird sichergestellt, dass Deutschland auch in den kommenden Jahren in Sachen Infrastruktur nur mittelmäßig bleibt;
  5. den Abschied vom Prinzip der Netzneutralität durch die geplante Zulassung priorisierter Dienste („Managed Services“), was die Dominanz der großen Player im Online-Bereich mittelfristig zementieren wird und Innovationen hemmt;
  6. den halbgaren Kompromiss bei der doppelten Staatsbürgerschaft, wonach jemand, der nicht in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, sich auch in Zukunft für einen Pass entscheiden müssen egal, wie lange er oder sie in Deutschland lebt;
  7. die Fortsetzung der verheerenden Austeritätspolitik von Bundeskanzlerin Merkel auf europäischer Ebene;
  8. den Abschied von der Energiewende durch eine Vielzahl von Maßnahmen zugunsten der Kraftwerkslobby, etwa durch den sogenannten „Kapazitätsmechanismus“ – Zitat WDR: „RWE, Eon und Co. sollen Geld dafür bekommen, Kraftwerksreserven vorzuhalten“ [4];
  9. die völlige Abwesenheit jeder Bemühung, ein gerechteres Steuersystem in Deutschland zu etablieren und ein weiteres Auseinandergehen der sozialen Schere zu verhindern;
  10. den Verzicht auf die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns, der diesen Namen tatsächlich verdient, durch die Verankerung zahlreicher Sonder- und Ausnahmeregelungen;
  11. den Verzicht auf die Gleichstellung von Homosexuellen durch Verhinderung der „Homo-Ehe“ und eines allgemeinen Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare;
  12. die Einführung von Sippenverdacht durch Ausweitung der Fahndung bei Massen-Gentests auch auf Verwandte der getesteten Personen (sogenannte Beinahe-Treffer);
  13. das Bekenntnis, dass Abgeordnetenbestechung auch weiterhin straflos sein wird;
  14. die weitere Privatisierung der Rechtsdurchsetzung im Internet und die weitere Aufweichung des Haftungsprivilegs für Internetunternehmen;
  15. das Außerachtlassen der dringend notwendigen Verkehrswende durch den ausschließlichen Fokus der Verkehrspolitik auf Autos, Straßen und PKW-Maut;
  16. die Einführung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung durch das Ausschöpfen des vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten maximal möglichen Spielraums;
  17. die unterlassenen Bemühungen, für eine effektive Sicherheit für die IT von Bürgern und Unternehmen zu sorgen und stattdessen den Schutz per Einführung eines IT-Sicherheitsgesetzes herbeizudefinieren;
  18. die Beibehaltung der organisierten Intransparenz und Verantwortungslosigkeit im Bildungswesen und insbesondere im Hochschulbereich;
  19. das Bekenntnis zu fortgesetzter Intransparenz staatlichen Handelns durch eine demonstrative Missachtung des Themas;
  20. die Aussicht auf weiterhin kostenpflichtige frühkindliche Bildung;
  21. die Beibehaltung des Kooperationsverbotes, was jede Zusammenarbeit zwischen Bund und Bundesländern im Bildungsbereich im Keim zu ersticken droht;
  22. den Verzicht auf Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen;
  23. dass es wieder einmal gelungen ist, im Koalitionsvertrag nicht niederzuschreiben, die Welt sei keine Scheibe.

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten, Deutschland.

Für die SPD waren folgende Regierungsmitglieder aus NRW an den Verhandlungen beteiligt:

  • Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Vorsitzende der nordrhein-westfälischen SPD und stellvertretende SPD-Vorsitzende
  • Norbert Walter-Borjans, Finanzminister von Nordrhein-Westfalen
  • Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk in Nordrhein-Westfalen
  • Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
  • Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr in Nordrhein-Westfalen
  • Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales von Nordrhein-Westfalen
  • Marc Jan Eumann, Staatssekretär bei der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen

Für die CDU waren folgende Mitglieder des Landtags NRW an den Verhandlungen beteiligt:

  • Armin Laschet, nordrhein-westfälischer CDU-Vorsitzender und stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender
  • Karl-Josef Laumann, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag NRW

[1] http://www.spd.de/linkableblob/112916/data/20131127_unsere_handschrift_koa-vertrag_mini_broschuere.pdf
[2] http://www.cdu.de/artikel/groehe-bundesvorstand-billigt-koalitionsvertrag
[3] http://www.spdfraktion.de/themen/das-betreuungsgeld-ist-schwachsinnig
[4] http://www1.wdr.de/themen/politik/seriekoalitionsvertrag104.html

Drei parlamentarische Anträge, die die Fraktion nicht wollte.

2013-12-08-17.05.53Ich mag es nicht, mich öffentlich nach „innen“ zu beschäftigen. Öffentlich möchte ich lieber nach außen wirken. Euch wird aufgefallen sein, dass ich bislang nicht über pirateninterne Geschehnisse blogge, über Vorstände oder Fraktionskollegen, die Fraktion, was sie machen oder lassen soll und wie.

Das mit der Transparenz politischer Prozesse liegt mir am Herzen. Vor allem dann, wenn die politischen Prozesse mal nicht so optimal laufen. Dann hingegen ist es fair, wenn ich auch auf innerfraktionelle Prozesse, die meines Erachtens suboptimal funktionieren, diese Transparenz anwende. Zumindest, wenn Bemühungen, es zu thematisieren, nicht fruchten. Also werde ich meinem Vorsatz untreu.

In der vergangenen dienstäglichen Fraktionssitzung wurden – teils im öffentlichen, teils im nichtöffentlichen Teil – die Anträge für die kommende Plenarwoche durchgesprochen und abgestimmt.

Über mich sind insgesamt fünf Anträge gekommen, die zur Diskussion standen. Drei dieser Anträge wurden von der Fraktion nicht angenommen. Ich möchte sie Euch dennoch hier vorstellen.

• Es lag durch mich ein Haushaltsantrag vor, in dem gefordert wurde, den Etat 2014 des Verfassungsschutzes NRW 1 Million Euro zu mindern. Dies deckt sich durchaus mit unserer Beschlusslage, Verfassungsschutz langfristig abzubauen und die geheimdienstlichen Tätigkeiten einzustellen.

Mit dieser Million soll das Land NRW Bemühungen unterstützen, in NRW abhörsichere Software und Sicherheitssoftware auf Open Source Basis zu fördern. Damit könnte sich NRW an die Spitze der Entwicklung setzen, die ja nach Software verlangt, die nicht von der NSA verseucht wurde.

Wurde mehrheitlich abgelehnt. Begründung: Zahlen lägen jetzt nicht vor, kämen im (geheimen) Ausschuss auf den Tisch, Antrag würde eh abgelehnt etc. Schaut es Euch im Stream an.

• Ein weiterer Antrag sollte sich polemisch-ironisch mit dem Koalitionsvertrag und den „Erfolgen“ der Verhandlungen durch Mitglieder der Landesregierung und der Oppositionsführung beschäftigen. Der war natürlich extra provokativ.

Als sich im Meinungsbild abbildete, dass sich keine Mehrheit findet, habe ich auf die Abstimmung verzichtet. Begründungstenor: Kein Landesbezug, daher mutmaßlich nicht zulässig, zu polemisch etc. Wir würden den „Pfad der Glaubwürdigkeit“ verlassen. Kann man ebenfalls im Stream nachsehen. Diesem Antrag möchte ich noch einen separaten Blogpost in ein paar Tagen widmen.

• Der dritte Antrag war erst in der Nacht zuvor entstanden. Es ging um den Aufruf „Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“ durch 560 Schriftsteller aus 83 Ländern. Ich wollte die Landesregierung auffordern, diesen Aufruf auf allen Ebenen zu unterstützen und eine eventuell entstehende Konvention anzuerkennen.

Wurde ebenfalls nicht angenommen. Da im nicht-öffentlichen Teil die Fraktions-Kaffeemaschine zuvor Thema war, gab es keine ausreichende Zeit für eine Debatte. Alle Versuche meinerseits, darauf hinzuweisen, sind gescheitert. Als dann (etwa 20 Minuten vor Einreichungsende von Anträge an diesem Dienstag) abgestimmt werden sollte, ob es überhaupt behandelt werden soll, habe ich aufgegeben und die Sitzung verlassen. Das alles fand im nichtöffentlichen Teil der Sitzung statt.

Mittlerweile haben die Grünen auf Bundesebene einen entsprechenden Antrag eingebracht, der so ziemlich die gleichen Forderungen aufstellt wie mein Antrag das getan hatte. Es wäre furchtbar spannend gewesen, zu sehen, wie sich die Landesgrünen positioniert hätten. Zudem ist die Chance, als Urheber dieser Idee wahrgenommen zu werden, vertan. (Wer weiß, woher die Bundesgrünen die Idee hatten.)

Zu den zwei Anträgen, die letztlich angenommen wurden, gehört ein Breitband-Antrag, den wir gemeinsam mit CDU, FDP und dem fraktionslosen Abgeordneten Robert Stein gemeinsam stellen. Dieser wurde eine Dreiviertelstunde intensiv debattiert – allerdings nicht inhaltlich, sondern ob man mit Robert gemeinsam auf einen Antrag wolle oder nicht. Kinderkacke. Im Livestream zu verfolgen (wer es sich antun will). Mir böses Blut bescherend, wie ich das denn tun könnte.

Nur ein Antrag hat es ohne großen Widerstand geschafft, angenommen zu werden: „Anhörung von Edward Snowden im Europäischen Parlament genau verfolgen und auswerten.“

Zeitgleich erlebte ich die Resonanz auf meine Anfrage zu den „Zombie“-Bügeleisen. Noch während der Fraktionssitzung gab es ein Interview mit SAT1 NRW sowie jede Menge Presseberichte (z.B. hier und – ausgesprochen fair und differenziert – hier.). Trotz des Potentials, uns nicht ernst zu nehmen, ist bei allen diesen Berichten die dahinterliegende Problematik von IT-Sicherheit speziell im Umfeld von Regierungen gut rausgekommen. Und das alles fest mit den Piraten verknüpft. Ein absoluter Win. Möchte man meinen.

Ich bekam allerdings jede Menge Gegenwind. Ausschließlich von Piraten. Meiner Motivation ist das nicht sonderlich zuträglich. Könnt Ihr das verstehen?

Ich empfinde einen Konformitätszwang, dem wir uns selbst gegenseitig aussetzen. Niemand soll vorspurten oder Initiativen entwickeln, die nicht von allen zuvor abgesegnet sind. Ja nicht negativ auffallen, keine Aktionen machen, die einen Showeffekt enthalten. Aus Angst, irgendwo eine offene Flanke zu hinterlassen ist man streckenweise extrem vorsichtig. Ich fühle an manchen Stellen etwas wenig Vertrauen untereinander. Wir bremsen uns gegenseitig. Dabei bedeutet „einfach mal machen“ auch „machen lassen“. Wir erledigen unsere Arbeit im Hamsterrad des Tagesbetriebs und sind uns gegenseitig die strengsten Kritiker.

Versuche, provokant zu sein, finden keine Mehrheit. Das wird dann schon mal als populistische Kackscheiße abqualifiziert, oder als Show-Antrag, als Problem für unsere Glaubwürdigkeit. Dabei wird nicht erkannt, dass gezielte „Show-Elemente“, manch populistisch zugespitzte Aktion die Chance bietet, unsere Themen zu platzieren und mit uns Piraten in den Medien zu verknüpfen. Wir sind Opposition, aber wir verhalten uns wie ein Teil der Regierung. Eine Flut von Pressemitteilungen und sterbenslangweilige Plenarreden werden das jedenfalls nicht leisten.

Was will ich jetzt mit diesem Blogpost erreichen? Ich weiß es nicht. Vielleicht muss ich es einfach nur loswerden. Vielleicht bin ich nur dünnhäutig. Vielleicht ist es verletzte Eitelkeit.

Fairerweise will ich mitteilen, dass einige Fraktionskollegen ähnlich konsterniert sind wie ich. Und seitens der Fraktionsmitarbeiter und der Piraten im Land habe ich sehr viel Zuspruch erhalten. Danke dafür, das bedeutet mir sehr viel.

SPD, Grüne, CDU und FDP mauern gegen Transparenz im Landtag

house-wall-113541_640Transparenz? Ist unerwünscht. Zumindest im Ausschuss für Kultur und Medien, als es um die Anhörung zum Thema „Netzneutralität“ ging, die am 10.10. auf Antrag der Piratenfraktion im Landtag stattfand. Und gerade da, bei dieser Zielgruppe, wäre sie so wichtig und nützlich gewesen. Aber der Reihe nach.

Vor der Ausschusssitzung, in der die Anhörung stattfinden sollte, ließ ich über das Ausschusssekretariat fragen, ob die Fraktionen einverstanden wären, dass wir Piraten die Anhörung live streamen, oder alternativ wenigstens nachträglich einen Videomitschnitt, oder notfalls auch einen Audiomitschnitt zu veröffentlichen.

Folgende Email wurde durch das Ausschusssekretariat an die Ausschusssprecher der Fraktionen versendet:

An die Sprecher/-in im Ausschuss für Kultur und Medien

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Fraktion der Piraten hat beantragt, die Anhörung zur Netzneutralität – TOP 1 der Sitzung am 10.10.2013 im CDU-Fraktionssaal zu streamen.

Ich bitte um Rückmeldung bis Dienstag 14 Uhr, ob Ihre Fraktion Einwände gegen den Life-Stream oder ggf. gegen eine Aufzeichnung der Anhörung (TOP 1) erhebt.

Im Falle eines Streamens der Anhörung wird noch das Einverständnis der Sachverständigen abgefragt werden.

Mit freundlichen Grüßen

im Auftrag
[…]

 
Eine solche Vereinbarung muss einvernehmlich getroffen werden. Die Persönlichkeitsrechte erfordern grundsätzlich, dass alle mit der Veröffentlichung einverstanden sind. Zudem sind Änderungen der Tagesordnung nach dem Druck nur noch einvernehmlich möglich. Der Widerspruch einer Person bzw. einer Fraktion reicht im Prinzip bereits aus, den Antrag abzulehnen.

Und das kam dann auch so. Telefonisch erhielt ich etwas später die Antwort, dass es seitens einer Fraktion einen Widerspruch gäbe. Als Begründung wurde angegeben, dass der Ältestenrat das Streaming aus dem Plenarsaal beschlossen habe – in den anderen Sälen die Technik aber nicht zur Verfügung steht. Irgendwie war man der Meinung, dass der Ältestenrat damit sich gegen ein Streaming aus anderen Sälen ausgesprochen habe – was natürlich Unsinn ist. Übrigens, ich erfuhr auch, dass dieser Widerspruch aus den Reihen der Grünen kam.

Der Ältestenrat hat sich ganz sicher nicht gegen Streaming in anderen Sälen ausgesprochen, wenn er das Streaming aus dem Plenarsaal erlaubt – er hat zu Streaming in den übrigen Sälen einfach noch gar nichts gesagt.

Das Argument, dass die Technik in den Sälen landtagsseitig nicht zur Verfügung steht, ist natürlich invalide, da die Piratenfraktion ihre Technik dazu anbot. Spätestens aber beim Audio-Mitschnitt zeigt sich, dass dieses Argument vorgeschoben ist, denn ein Audio-Mitschnitt wird von jeder Sitzung angefertigt, diese nutzt dann der sitzungsdokumentarische Dienst, um das Protokoll zu erstellen. Es ist also ohnehin vorhanden.

Ich schrieb daraufhin eine Mail an die Ausschusssprecher der Fraktionen, in der ich erneut und detaillierter vorschlug, die Anhörung selbst zu streamen, oder alternativ wenigstens nachträglich einen Videomitschnitt, oder notfalls eben den Audiomitschnitt zu veröffentlichen. Um das Konfliktpotential zu minimieren, habe ich darauf verzichtet, auch bei den anderen Tagesordnungspunkten auf ein Streaming bzw. einen Mitschnitt zu beantragen.

Folgende Email an die Medienpolitischen Sprecher der übrigen Fraktionen, an den Ausschussvorsitzenden und das Ausschusssekretariat habe ich also versandt:

*An die Sprecher/-innen im Ausschuss für Kultur und Medien*

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Piratenfraktion hatte beantragt, dass die Anhörung zur Netzneutralität (TOP 1 der Sitzung morgen) gestreamt wird. Da im CDU-Saal keine Streamingtechnik zur Verfügung steht und der Plenarsaal, der diese Technik hat, an diesem Tag belegt ist, hatte die Piratenfraktion zusätzlich angeboten, die Streamingtechnik ihrerseits zur Verfügung zu stellen und zu realisieren.

Seitens einer Fraktion wurde auf die unten stehende Frage von Frau […] eingewendet, der Ältestenrat habe einen Beschluss gefasst, wonach Streaming in Anhörungen aus dem Plenarsaal stattfände und in den Fraktionsräumen die Technik erst später zur Verfügung stünde. Die Piratenfraktion ist jedoch der Ansicht, dass das an sich noch keine Entscheidung darstellt, dass ein Streaming aus Anhörungen, die nicht im Plenarsaal durchgeführt werden, auch nicht stattfinden dürfe. Ein entsprechender Beschluss kann durchaus von einem Ausschuss herbeigeführt werden.

Im Namen der Piratenfraktion will ich daher die Frage nochmals erneuern und präzisieren, sowie die verschiedenen Handlungsalternativen darstellen.

Die erste Möglichkeit wäre der Vorschlag, dass die Anhörung zur Netzneutralität gestreamt wird, indem wir dies mit Technik der Piratenfraktion durchführen. Die Piratenfraktion sichert zu, dass dieses Streaming neutral stattfinden wird, es wird keine Moderation, Kommentierung und keinen inhaltlichen Schnitt geben.

Alternativ, und insbesondere wenn Sie sich Sorgen um die Neutralität der Darstellung machen, ist es möglich, den Tagesordnungspunkt lediglich per Video aufzunehmen und nicht unmittelbar live zu streamen. Das Rohmaterial dieser Aufnahme können wir dann der Landtagsverwaltung zur Verfügung stellen, mit der Bitte, dieses in voller Länge über die eigenen Kanäle zu veröffentlichen.

Die dritte, und „weichste“ Variante wäre, das durch die Landtagsverwaltung zur Protokollfertigung erstellte Audio-File dazu zu benutzen, um die Anhörung wenigstens im Audio-Format zu einem späteren Zeitpunkt zu veröffentlichen.

Ich finde, gerade diese Anhörung zur Netzneutralität ist eine schöne Gelegenheit, die Idee vom transparenten Parlament und der nachvollziehbaren Politik mit Leben zu füllen, und dies in einem Thema, was die Betroffenen der Anhörung ganz besonders interessieren dürfte.

Bitte prüfen Sie für sich und Ihre Fraktion, ob sie mit einer dieser Möglichkeiten leben könnten. Mir ist bewusst, dass es zur tatsächlichen Durchführung eines einstimmigen Votums aller Beteiligten und selbstverständlich auch der Sachverständigen bedarf. Dieses Einverständnis würde ich dann zu Beginn der Sitzung beim Eintritt in die Tagesordnung abfragen.

Vielen Dank und viele Grüße

Daniel Schwerd

 
Diese dürre Antwort erhielt ich kurze Zeit später über die zuständige Referentin der SPD:

Sehr geehrter Herr Schwerd,

im Auftrag der medienpolitischen Sprecher der Fraktionen von SPD und Bündnis90/Die Grünen möchte ich Ihnen mitteilen, dass sie mit den vorgeschlagenen Verfahren nicht einverstanden sind.

Mit freundlichen Grüßen

i.A.
[…]

 
Am Anhörungstermin selbst hatte ich die Ehre, dem Ausschuss vorzusitzen. Ich bin im Ausschuss für Kultur und Medien stellvertretender Vorsitzender, und an diesem Tag war der Vorsitzende selbst wegen einer Ausschussreise verhindert.

Ich informierte also den Ausschuss zu Eintritt in die Tagesordnung über unseren Antrag, und den vorliegenden Widerspruch der beiden regierungstragenden Fraktionen. Spontan schlossen sich FDP und CDU diesem Widerspruch an.

Soweit also zu den leeren Versprechungen von Nachvollziehbarkeit und Transparenz im politischen Handeln.
Im Landtag NRW wird gemauert, was das Zeug hält.