Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die NSU-Morde

Die neue Regierung aus SPD und GRÜNEN in Nordrhein-Westfalen erfüllt einen feuchten Traum der Sicherheitsfanatiker unter den Innenpolitikern: Im Koalitionsvertrag haben die beiden Regierungsparteien die Quellen-Kommunikationsüberwachung vorgesehen, also den Einsatz der als Staatstrojaner bekannten Software durch den Verfassungsschutz.

Man liest im Koalitionsvertrag auf Seite 152 unter der Überschrift „Wir stärken die Verfassung und schärfen die Instrumente im Kampf gegen Rechtsextremismus“:

Wir wollen dem Verfassungsschutz NRW die sog. Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) ermöglichen und die gesetzliche Grundlage dafür schaffen.

Ausgerechnet die Toten der NSU-Mörder müssen nun dafür herhalten, den Staatstrojaner auf Landesebene einzuführen. Zudem will man ihm nicht etwa der Polizei, sondern dem Verfassungsschutz in die Hand geben – der Institution, die im Vorgehen gegen den NSU ganz besonders versagt hat.

Zum Trojaner kann man einiges kritisieren (ich hatte das im Blog schon getan), unter anderem, dass er verfassungsrechtlich vermutlich gar nicht zulässig sein könnte – zur Auswahl des Verfassungsschutzes als ausübende Behörde ist besonders brisant, dass diese gar nicht über die notwendigen polizeilichen Befugnisse verfügt, eine konkrete Gefahr, die sich durch eine solche Überwachung offenbart, selbst abzuwenden.

Ich finde die ganze Vorlage samt Begründung ausgesprochen haarsträubend, und habe daher heute der Landesregierung NRW eine kleine Anfrage zugeleitet, in der ich ihr folgende Fragen stelle:

  1. Welche Anhaltspunkte gibt es, dass die NSU-Morde verhindert oder aufgeklärt hätten werden können, wenn dem Verfassungsschutz die TKÜ zur Verfügung gestanden hätte?
  2. Welche und wie viele Straftaten rechtsextremistischen Hintergrundes hätten mit der TKÜ verhindert oder aufgeklärt werden können? Bitte differenzieren Sie die Aussagen danach, wie viele und welche jeweils verhindert; sowie wie viele und welche nachträglich aufgeklärt werden könnten.
  3. Inwieweit sieht die Landesregierung den Verfassungsschutz in der Lage und als richtige Stelle, durch TKÜ Gefahr für Leib, Leben und Freiheit eines Menschen bzw. ein vergleichbares Rechtsgut zu schützen, ohne dass dieser die zur Durchführung des Schutzes selbst notwendige polizeiliche Befugnisse hat?
  4. Durch welche technischen, organisatorischen und weiteren Maßnahmen kann sichergestellt werden, dass die eingesetzte Software auf die Überwachung der Telekommunikation an der Quelle begrenzt ist, und keine anderen Daten sammeln kann?

Ich bin sehr gespannt.

Die ganze Drucksache könnt ihr hier nachlesen:
http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-140.pdf

Towel Day im Landtag

Ab heute, dem Towel-Day, gelten wir 20 Piraten offiziell als Abgeordnete. UASY!

Ich freue mich, bin stolz und dankbar. Die Aufgabe flößt mir gehörigen Respekt ein, ich bin sehr gespannt!

All denjenigen, die bei diesem Wahlkampf mitgeholfen haben, die sich die Füße plattgelaufen und die Zunge fusselig geredet haben im Straßenwahlkampf, im Land herumgereist sind und organisiert haben, all diejenigen, die uns Kandidaten ermutigt und unterstützt haben, sowie ganz besonders diejenigen, die mir selbst den Rücken freigehalten haben, mich persönlich ermutigt haben, das Händchen hielten und mir gut zuredeten, denen möchte ich ganz herzlich danken. Ihr seid toll!

Unvereinbarkeitserklärung


Die folgende Unvereinbarkeitserklärung haben bereits über 500 Piraten sowie 20 Gliederungen unterzeichnet. Der Kölner Stammtisch und viele Kölner Piraten ebenfalls (ich natürlich auch):

Wir sind eine globale Gemeinschaft von Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Abstammung sowie gesellschaftlicher Stellung, offen für alle mit neuen Ideen.

Wer jedoch mit Ideen von Ras­sis­mus, Sexis­mus, Homo­pho­bie, Ableis­mus, Trans­pho­bie und ande­ren Dis­kri­mi­nie­rungs­for­men und damit verbundener struktureller und körperlicher Gewalt auf uns zukommt, hat sich vom Dialog verabschiedet und ist jenseits der Akzeptanzgrenze.

Wer es darauf anlegt, das Zusammenleben in dieser Gesellschaft zu zerstören und auf eine alternative Gesellschaft hinarbeitet, deren Grundsätze auf Chauvinismus und Nationalismus beruht, arbeitet gegen die moralischen Grundsätze, die uns als Piraten verbinden.

Die unterzeichnenden Piraten erklären das Vertreten von Rassismus und von der Verharmlosung der historischen und aktuellen faschistischen Gewalt für unvereinbar mit einer Mitgliedschaft.

Wer sich noch anschließen möchte, bitte hier:

http://wiki.piratenpartei.de/Pirantifa/Unvereinbarkeitserklärung

„Geistiges Eigentum“ und die Menschenrechte

Derzeit wird in der Urheberrechtsdebatte gerne damit argumentiert, ein Recht auf „geistiges Eigentum“ sei in den Menschenrechten festgeschrieben. Dies soll als Totschlagargument dazu dienen, Diskussionen um eine Reform des Rechtskomplexes im Keim zu ersticken, möglicherweise im Vertrauen darauf, dass niemand weiß, welches die Menschenrechte so genau sind und was sie regeln.

Schaut man mal genauer nach Menschenrechten, dann ist deren wichtigste, allgemein anerkannte Basis sicherlich die „Universal Declaration of Human Rights“, wie sie die UN-Generalversammlung am 10. Dezember 1948 beschlossen hat – damals im Schatten des zweiten Weltkrieges und der faschistischen Diktaturen, als klares Bekenntnis zur Menschlichkeit und zum Frieden. Deutschland hat im Grundgesetz in Artikel 1 Absatz (2) die Menschenrechte als Grundlage der menschlichen Gemeinschaft anerkannt.

Sucht man in diesen Menschenrechten nach geistigem Eigentum, was findet man da? Richtig, nichts. Dieser Begriff ist in den Menschenrechten nicht erwähnt, schon gar nicht geschützt.

Allerdings findet man in Artikel 27 Absatz 2. folgende Regelung:

Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.

Hier ist die Rede von Urheberrechten: Künstler, Forscher, Autoren, Musiker haben ein Recht auf den Schutz sowohl ihrer geistigen als auch materiellen Interessen, die sie an und durch ihre Werke haben. Urheberrechte, und das ist der feine Unterschied zu geistigem Eigentum, können aber nur die Urheber halten – Urheberrechte sind keine Ware, und können nicht gehandelt werden. Alleine die Vervielfältigungs- und Lizenzierungsrechte können gehandelt werden – genießen aber keinen menschenrechtlichen Schutz.

Der zweite, feine Unterschied ist die sprachliche Ausweitung des „geistigen Eigentums“ auf Konzepte, Ideen, Fragmente, Zitate, Anmutungen – all diese Dinge sind im Urheberrecht aber gar nicht geschützt, sondern stets nur konkrete Werke. Trivialpatente, Marken- und Patentrolling, Leistungsschutz von Verlagen gehören nicht zu den Urheberrechten.

Indem man das Urheberrecht sprachlich auf ein „geistiges Eigentum“ aufweicht, versucht man in der Diskussion das Menschenrecht für den Handel mit Immaterialgütern zu missbrauchen – ein Unding, denn das Menschenrecht erstreckt sich natürlich nur auf Menschen, nicht auf Güter, Händler oder eine Distributionsindustrie. Die Geiselhaft der Urheber durch die Contentindustrie ist durch die Menschenrechte keineswegs zu decken.

Sehr erwähnenswert und aufschlussreich ist allerdings der Absatz 1. des Artikel 27, der sich in der Menschenrechtsdeklaration also sogar unmittelbar vor diesem Recht auf Urheberschutz findet:

Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.

Dies ist eine klare Absage an das Konzept des „geistigen Eigentums“ wie es heutzutage mehr und mehr Bestandteil unserer Rechtsprechung geworden ist. An der Teilnahme an Kunst, Kultur und Wissenschaft darf niemand gehindert werden. Monopole auf Wissen, auf Kultur, Forschung und Bildung verstoßen gegen die Menschenrechte. Zugang zu Kunst und Kultur, zu den Errungenschaften von Forschung und Wissenschaft muss diskriminierungsfrei für alle möglich sein. Das Recht auf den freien Handel mit Immaterialgütern ist den Menschenrechten unterzuordnen – so ist dieser Absatz zu lesen. Nur die Urheber selbst genießen einen speziellen Schutz – nicht aber eine Contentindustrie, Verwerter, Vermarkter, Verlage, Konzerne oder Patenttrolle.

Ein unvergesslicher LPT

Gestern hat der Landesparteitag mich als Listenkandidat für die Landtagswahl in NRW am 13. Mai auf den Listenplatz 10 gewählt. Zwei Tage zuvor hatte mich die Kreismitgliederversammlung Köln als Direktkandidat im Wahlkreis 14, Köln II, Stadtbezirk Lindenthal aufgestellt. Ich danke Euch für das große Vertrauen, das Ihr in mich setzt, ich habe großen Respekt vor der Aufgabe, die Ihr mir zutraut. Ich bin froh und stolz. Dankeschön!

Wir haben auf dem Landesparteitag eine Liste von insgesamt 42 Kandidaten aufgestellt, auf die man sehr stolz sein kann – es sind wirklich großartige Leute darauf, ich freue mich, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Und der Erfolg der saarländischen Piraten hat den Parteitag wunderbar abgerundet, es war eine euphorische, tolle Stimmung.

Der Wahlkampf hat bereits begonnen, die Messlatte liegt hoch, es wird ein sehr kurzer, gewiss heftiger Wahlkampf werden, aber es wird sich lohnen.

Wir können alle Unterstützung brauchen, die wir bekommen können, denn wir müssen Unterschriften für unsere Wahlzulassung sammeln – 1000 landesweit für die Liste, sowie jeweils 100 pro Direktkandidat. Es müssen Flyer verteilt, Plakate aufgehängt und Infostände betreut werden.

Leute aus dem Stadtbezirk Köln-Lindenthal bitte ich um ihre Unterstützerunterschrift! Diese muss auf einem amtlichen Formular geleistet werden, welches so aussieht:

Das Formular kann man hier herunterladen. Vielen Dank!

Offener Brief an Monika Piel

Der Kölner Pirat Peter Horner hat wegen der Berichterstattung des WDR über die Anti-ACTA-Demonstration in Köln einen offenen Brief an die Intendantin des WDR Monika Piel geschrieben:

Offener Brief an Monika Piel, WDR

Er schreibt:

ACTA-Demo 25. Februar 2012, Berichterstattung durch den WDR/die ARD – 26. Februar 2012

Sehr geehrte Frau Piel,

ich schreibe Ihnen diesen offenen Brief, weil ich in mehrfacher Hinsicht betroffen bin. Betroffen von der Haltung Ihres Hauses zu ACTA, betroffen von der Nicht-/Falsch-Berichterstattung Ihres Hauses über die landesweiten Anti-ACTA-Demonstrationen vom 25.2.2012, betroffen vom Umgang der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit öffentlichen Geldern und nicht zuletzt betroffen davon, dass Sie und Ihr Haus, die von der Sache her eigentlich auf der Seite der ACTA-Gegner stehen sollten, es aber nicht tun.

Warum sollten auch Sie betroffen sein? Aus meiner Sicht deshalb, weil laut letzter Änderung des Rundfunkstaatsvertrages der von der ARD und dem ZDF produzierte „Content“ nicht mehr als 7 Tage im Netz (Internet) der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden darf. „Content“, der mit öffentlichen Mitteln produziert worden ist wird der Öffentlichkeit entzogen! Ich finde das unfassbar, Sie nicht auch? Ich weiß, Sie haben geklagt und verloren. Das wäre nun gerade Grund genug gegen ACTA zu protestieren. Sie aber sind unverständlicher Weise für ACTA.

Haben sich da vielleicht die Rechte-Inhaber und –Händler der Content-Industrie durchgesetzt? Denn da geht es um das große Geld, nicht bei den Schriftstellern, Journalisten, Musikern und Schauspielern. Die werden mit Almosen im Vergleich zu den Gewinnen der Rechteverwerter abgespeist. Geht es also dann doch letztlich wieder nur um die wirtschaftlichen Interessen einiger Weniger?

Aus meiner Sicht haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die ACTA-Gegner sogar die gleichen Ziele. Laut Art. 5 des Grundgesetzes genießen Presse, Rundfunk und Fernsehen besonderen Schutz. Besonderer Schutz bedeutet aber im gleichen Atemzug auch besondere Verpflichtung zu Objektivität, Transparenz und tendenzfreier Berichterstattung. Genau das fordern die ACTA-Gegner. Zur Zeit vermag ich diese Prinzipien bei den diversen Formaten des WDR nicht zu erkennen (Beispiel: keine Erwähnung der ACTA-Demo in Köln in Ihrem 3. Programm; falsche Teilnehmerzahlen; in Köln waren es ca. 3.000)

Wieso wird in allen Medien derzeit nur über die Verhinderung von Produkt-Piraterie und die Durchsetzung des Verbots illegalen Kopierens geschrieben/gesprochen? Weil das so schön populistisch ist und sich daher „gut verkauft“? ACTA-Gegner stellen sich auch gegen illegales Kopieren, verlangen aber von der Content-Industrie zeitgemäße Vetriebsstrukturen.

Oder sollen mit der Diskussion über Internetsperren, Urheberrechtsverletzungen, Produkt-Piraterie und ähnlichem noch viel gefährlichere Auswirkungen der ACTA und ACTA-folgenden Gesetze vertuscht werden?

Sie wissen es, Frau Piel. ACTA gibt international operierenden – hauptsächlich – US-Konzernen die Möglichkeit über Trivial-Patente und Patent-Missbrauch Entwicklungen in anderen Ländern über Lizenzgebühren unwirtschaftlich zu machen, damit Wettbewerb zu verhindern und existierende Monopole zu festigen und weiter auszubauen. Bestes Beispiel sind Patente für Medikamente, die verhindern, dass in den Ländern der Dritten Welt preiswerte Medikament-Generika zur Behandlung der ärmsten Patienten eingesetzt werden können. Darüber lohnte es sich im Zusammenhang mit ACTA zu berichten.

Gleiches gilt für Patente auf pflanzliche und menschliche Genome (ca. 10% des menschlichen Genoms ist bereits privatwirtschaftlich patentiert!). Hier wird Patentschutz für in der Natur vorkommende Substanzen und Erbanlagen gefordert, um über den Verkauf von z.B. Saatgut für Grundnahrungsmittel und dazugehörigem Dünger und Pflanzenschutzmitteln den Profit zu maximieren. Jüngstes Beispiel dazu liefert die Neuseeländische Regierung mit ihrem „NZ Government Food Bill 160-2“

Ich zitiere aus http://www.das-wilde-gartenblog.de/2012/02/09/obst-und-gemuese-im-eigenengarten-demnaechst-genehmigungspflichtig/: „Auf Betreiben zahlreicher Lobbyverbände u.a. aus den USA (z.B. US FDA = Monsanto & Co.) wurde weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit(!) ein Gesetz verfasst, das den Anbau eigener Nahrungsmittel genehmigungspflichtig machen will. Und das soll noch nicht alles sein: Überwacht werden soll der genehmigungspflichtige Anbau von Lebensmittelkontrolleuren, die auch von der Industrie gestellt werden können. Sie sollen die Gärten ohne Durchsuchungsbefehl, ja sogar “mit Waffengewalt” durchsuchen dürfen!“ Ende des Zitates

Wohlgemerkt: Hier geht es um den Anbau von Obst und Gemüse durch Privatpersonen auf ihrem Privatgrundstück und nicht um die Aushebung einer Terrorzelle!

Wollen Sie das in Deutschland haben? Vielleicht erwidern Sie jetzt: Deutschland ist ein Rechtsstaat, da würde ein solches Gesetz niemals die parlamentarischen Hürden passieren. Aber Neuseeland ist auch ein Rechtsstaat. Nur vielleicht etwas abhängiger von den USA als Deutschland?

Sicher, Patentrecht ist nicht so simpel wie Produkt-Piraterie und Copyright-Verletzung. Da kann sich jeder etwas darunter vorstellen. Überdies liegt Neuseeland (noch) weit weg. Ich bin sicher, dass bei etwas weniger einseitiger Berichterstattung und mehr Fakten Ihre Zu-Hörer und -Seher ACTA und die ACTA-Gegner anders beurteilen würden.

ACTA sehen als das, was es tatsächlich ist: ein zum Schutz wirtschaftlicher Interessen Weniger auf Kosten der Allgemeinheit auf undemokratischem Weg in geheimen Gremien geschaffenes Monstrum mit unabsehbaren Spätfolgen. Deshalb bitte ich Sie: Schließen Sie sich der Anti-ACTABewegung an und sorgen Sie in Ihrem Haus für umfassende und tatsachenkonforme Berichterstattung über Anti-ACTA-Aktionen!

Über eine Fortsetzung dieses Dialoges mit Ihnen freue ich mich und verbleibe

mit betroffenen Grüßen

Peter Horner

Rede der Anti-ACTA-Demo vom 25.02.

Die Reden der Anti-ACTA-Demo vom 25.02. stelle ich hier unter CC-BY-NC-SA 3.0 zur Verfügung, siehe unten.

Die Eingangsrede wurde vom Youtube-Nutzer „nonkonfromisten“ aufgenommen, vielen Dank dafür:

Stopp ACTA 2

Wusstet Ihr, dass wir eine Generation ohne Unrechtsbewusstsein sind? Dass wir nicht zur Diskussion bereit sind? Dass wir einen koordinierten Angriff auf die Demokratie ausführen?

Das meinen zumindest die „Deutsche Content Allianz“ und weitere Lobbyverbände der Medienindustrie. Sie bezichtigen uns eines sogenannten „digitalen Diebstahls“, sie nennen uns destruktiv. Sie werfen uns gar vor, demokratische Prozesse zum Schweigen bringen zu wollen.

Selten so einen Schwachsinn gehört!

Es ist nämlich genau andersherum: Die Content Mafia begeht Diebstahl: Sie stiehlt den Menschen das Allgemeineigentum, und will es privatisieren. Sie monopolisiert Wissen, Ideen und Konzepte, sie raubt unsere Bewegungsfreiheit im Netz, unsere Meinungsfreiheit, unsere Bürgerrechte.

Die Content Mafia ist destruktiv: Sie zerstört den Fortschritt der Kultur und der Wissenschaft, und gefährdet das deutsche Wirtschaftswachstum, indem sie beispielsweise die Internetwirtschaft behindert, so stellt es z.B. der eco-Verband fest.

Und die Konzerne sind es, die die demokratischen Prozesse zum Schweigen bringen wollen: Sie lassen Verträge hinter verschlossenen Türen zwischen Regierungsvertretern und Lobbyisten aushandeln, die die Parlamente dann abnicken sollen, da durch die Verträge Druck auf sie ausgeübt wird – das Volk, der Souverän unserer Demokratien, kommt in der Denke der Content Mafia gar nicht erst vor, höchstens jedenfalls als Konsument, als potentieller Straftäter. Eine Diskussion findet gar nicht erst statt.

Wir werden dargestellt, als würden wir auf die Straße gehen, um für kostenlose Downloads und ein rechtsfreies Internet demonstrieren. Dabei geht es doch um so vieles mehr – es geht um eine erneute Verschärfung des Urheberrechts, um Auswirkungen auf Generika, um Monopolisierung und Patent-Irrsinn, der zu Lasten von uns allen geht.

Das Urheberrecht stammt aus einer Zeit, als es ein Internet gar nicht gab – was wir brauchen, ist ein neues, ein zeitgemäßes Urheberrecht, welches die private und faire Nutzung digitaler Güter nicht behindert, und gleichzeitig die Künstler, Autoren, die Wissenschaftler und Forscher an Gewinnen beteiligt – und nicht etwa Wertschöpfungsketten und alte Geschäftsmodelle multinationaler Konzerne fördert.

Die europäischen Regierungen spüren unseren Druck, den Druck des Protestes auf der Straße, den wir begonnen haben. Sie versuchen uns jetzt einzulullen, indem sie verkünden, ACTA zunächst nicht zu unterschreiben. Sie wollen ACTA unter dem Teppich halten, indem sie nach wie vor die Verhandlungsergebnisse weitestgehend geheim vor uns halten. Wer Auskunft über ACTA verlangt wird mit Kostenvoranschlägen eingeschüchtert.

Lasst Euch nicht ins Bockshorn jagen! Sie wollen uns beruhigen, und zu einem späteren Zeitpunkt die fehlende Unterschrift leisten. Das müssen wir verhindern! Wir müssen solange weiter protestieren, auf der Straße und im Netz, bis ACTA endgültig abgelehnt worden ist, in allen Parlamenten der Welt.

Unsere Verbraucherschutzministerin Aigner tut jetzt so, als wäre sie gegen ACTA. Lasst Euch nicht täuschen! Sie war es, die für die Zustimmung Deutschlands zu ACTA im Fischereiausschuss der EU vergangenen Dezember verantwortlich ist. – Ja, im Fischereiausschuss! Damit es keiner merkt, wurde ACTA nämlich im Fischereiausschuss der Europäischen Union beschlossen.

Unsere Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat ACTA in einer Pressemitteilung vom 3. Februar noch verteidigt. Sie sagte, es gäbe ja gar keinen Änderungsbedarf am deutschen Recht. Jetzt auf einmal möchte sie ACTA diskutieren. Aber hätte diese Diskussion nicht vor Monaten stattfinden sollen?
Traut ihnen nicht! Bleibt wachsam!

Die Industrie schläft nicht, mit neuen Verträgen namens IPRED2 bereitet sie schon den nächsten Angriff auf die Bürgerrechte vor. ACTA war nämlich nur der Anfang – in Salami-Taktik sollen weitere Einschnitte vorgenommen werden. Dieses Machwerk wird noch extremer werden, und alle Ekligkeiten, die es noch nicht in die ACTA-Verträge geschafft haben, werden hier nachgeholt. Ein two- oder three-Strikes-Modell, welches automatisch Sperren bei Rechtsverstößen vorsieht, ist hier wieder Bestandteil geworden, ohne dass ein Gericht darüber entscheiden könnte.

Meint man denn, man könne uns verarschen, indem man dem Ding einfach einen neuen Namen gibt? Passt auf, wir gucken Euch auf die Finger – damit werdet Ihr nicht durchkommen!

Vor zwei Wochen standen wir schon einmal hier, um unsere Ablehnung von ACTA und unsere Verachtung des Entstehungsprozesses dieser Geheimverträge auszudrücken. Und solange ACTA nicht ad acta gelegt ist, solange neue widerliche Machwerke verhandelt und vorbereitet werden, werden wir weiter auf die Straße gehen, um dem dreisten Angriff auf unsere Bürgerrechte Einhalt zu gebieten – bis alle Staaten dieser Welt ACTA endgültig abgelehnt haben.

Ruft eure Abgeordneten an! Ruft die Abgeordneten der EU an! Schon nächste Woche, am 01. März, will das EU-Parlament in den Ausschüssen mit den Beratungen beginnen – bis dahin muss jeder Bescheid wissen!
Sogenanntes „Geistiges Eigentum“ darf nicht wichtiger sein als unsere Freiheit, unsere Gesundheit, die Bürgerrechte und unser gesellschaftlicher und kultureller Fortschritt. Konzerninteressen dürfen nicht über Menschenrechten stehen!
Daniel Schwerd

Die Schlussrede wurde auch aufgenommen, zusammen mit dem sehr lustigen „ACTA-Gebet“ von Oliver Hemmelmann. Kann man hier sehen:
Youtube: Stopp ACTA 2 – Gebet und Abschlussrede

Abschlussrede

Der ACTA-Berichterstatter im europäischen Parlament, ein französischer Sozialdemokrat namens Kader Arif, warf sein Amt am 26.Januar nach der Leistung der Unterschriften hin. Er verurteile den gesamten Prozess, wie ACTA zustande gekommen ist: Nämlich ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft, ohne Transparenz und unter Missachtung des Willens der Parlamente. Er nennt es ein unerhörtes Manöver des konservativen Flügels des Europaparlaments. Er sagt:

Diese Vereinbarung wird schwerwiegende Konsequenzen für das Leben der Bürger haben, zugleich wurde alles unternommen, das europäische Parlament von der Mitsprache abzuhalten. Ich möchte meinen Rücktritt als eindringliches Signal setzen, und die öffentliche Meinung über diese inakzeptable Situation alarmieren. Ich werde an dieser Maskerade nicht teilnehmen.

Soweit seine Worte – Ich wünsche mir mehr Politiker, die sich für das Volk aussprechen, für die Demokratie, die Bürgerrechte und die Zukunft unserer Kinder.
Daniel Schwerd

Stopp-ACTA-Demos: Desinformation durch die Medien

Ich bin gerade richtig sauer. So sauer, dass ich an diesem Text an einem Sonntag morgen vor 10 Uhr sitze.

Nachdem die Medien vor zwei Wochen noch ziemlich ausführlich – wenn auch nicht immer zutreffend – über unsere Anti-ACTA-Proteste berichtet haben, hat sich das Bild bei den Demonstrationen gestern deutlich gewandelt.

Die WDR-Reporterin, die mir ihr Mikrophon gestern vor die Nase hielt, eröffnete bereits mit der Frage, woran es meiner Meinung nach läge, dass „so viel weniger Leute“ zu den Demonstrationen gekommen wären als beim letzten Mal – das bereits eine halbe Stunde vor Beginn des Umzugs. Auf meine Antwort, dass das meines Erachtens nach gar nicht stimme, ging sie dann gar nicht weiter ein – das Interview wurde dann sowieso nicht mehr gesendet. Übrig blieb in den Radionachrichten des NRW nur noch die falsche Aussage zu den „sehr viel weniger Teilnehmern“.

Die Tagesschau verortete die größte Demonstration in NRW nach Dortmund, mit 1500 Teilnehmern [1]. Düsseldorf (mit 2000) und natürlich Köln mit über 3000 Teilnehmern wurden glatt unterschlagen.

In den Tagesthemen begleitete ein Kamerateam 13jährige Schüler zu den Demos, und stellte das Ganze als „Jugendbewegung“ dar [2]. Immer wieder wurde betont, dass die Teilnehmer den ACTA-Text ja gar nicht kennen würden.

Und das Ganze wurde stets eingeleitet mit dem Hinweis, die Demonstrationen richten sich gegen Urheberrecht im Internet und forderten freie Downloads.

Man versteht nun, warum ich wütend bin? Warum ich den Eindruck habe, man unterschlage unsere wahren Motive, die sich gegen Patent-Irrsinn und die permanente Ausweitung des „geistigen Eigentums“ richten?

Vielleicht liegt es daran, dass auch die ARD und ZDF Mitglied in der „Deutschen Content Allianz“ sind, und die Intendanten dieser Anstalten Mitunterzeichner einer Aufforderung an die Bundesregierung sind, ACTA ohne Änderungen zügig zu unterzeichnen [3]. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Die Printmedien übernehmen diesen Mist leider unreflektiert. Spiegel Online listet die Demonstrationen auf [4] – und führt Trier mit 150 Teilnehmern auf, nicht aber Köln oder Düsseldorf. Bei den internationalen Demonstrationen fehlt Kopenhagen, wo 7000 Menschen auf der Straße waren.

Der Kölner Stadtanzeiger begeistert besonders. Er sprach ursprünglich von 700 Teilnehmern in Köln (mittlerweile, um ca. 11 Uhr, auf 2000 Teilnehmer geändert, im Cache bei Google noch sichtbar [5]) – lieber Stadtanzeiger, sieht das nach 700 Leuten aus? Hier geht der Demonstrationszug über den Ring – 6 Minuten lang Menschen:

[1] http://www.tagesschau.de/inland/acta188.html
[2] http://www.youtube.com/watch?v=Mf20N4TtsFw
[3] http://www.computerbase.de/news/2012-02/deutsche-content-allianz-fordert-acta-unterzeichnung/
[4] http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,817554,00.html
[5] Screenshot: