LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
|
Drucksache 16/8792 |
|
28.05.2015 |
Antwort
der Landesregierung
auf die Kleine Anfrage 3304 vom 15. April 2015
der Abgeordneten Birgit Rydlewski und Daniel Schwerd PIRATEN
„Wir sind jung, aber nicht blöd.“ Politiklehrer in rechtsextremer Burschenschaft akzeptabel?
Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 3304 mit Schreiben vom 27. Mai 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet.
Vorbemerkung der Kleinen Anfrage
Mit einem offenen Brief wehrten sich Schüler der Fachoberstufe 12 und 13 des Robert-Wetzlar-Berufskollegs in Bonn gegen den Politiklehrer K., der Mitglied in der als extrem rechts geltenden „Alten Breslauer Burschenschaft der Raczek zu Bonn“ sei.
Der Schüler M., der einen migrantischen Hintergrund habe, habe am 7. September 2014 den Lehrer K. bei einer Buchmesse im Hause der Burschenschaft gesehen und ihn im Unterricht darauf angesprochen, dass er in einer „Art militärischer Uniform“ am Eingang Gäste begrüßt habe.
Die Schulleitung soll einem Schüler, der diese Verbindung nach Auffassung seiner Schulkameraden mit „Mut und Zivilcourage“ offen thematisiert hatte, daraufhin mündlich mit dem Schulverweis gedroht und ihm „Mobbing“ vorgeworfen haben.
Weiterhin sei der Lehrer K. in der Szene als langjähriger Vorsitzender des „Bundes Alter Breslauer Burschenschafter e.V.“ bekannt, was der Erklärung von K. gegenüber seinen Schülern wenig glaubhaft erscheinen lässt, einzig aus familiären Gründen der in Bonn ansässigen „Alten Breslauer Burschenschaft“ beigetreten zu sein.
Die Schüler fühlen sich deshalb von Lehrer K. über seine Verbindung mit der rechtsradikalen Burschenschaft getäuscht. „Wir sind zwar jung, aber nicht blöd“, schreiben sie in einem im Internet veröffentlichten offenen Brief.
Die „Alte Breslauer Burschenschaft“ veranstaltet seit einer Reihe von Jahren regelmäßig sogenannte Schlesienseminare, zu denen u.a. ein einschlägiger Holocaustleugner, ein rechtskräftig verurteilter Rechtsterrorist sowie allerlei weitere einschlägige Rechtsextreme als Referenten eingeladen waren. In diesen Seminaren fanden dann beispielsweise Vorträge zu „deutschen Ostgebieten“ oder zum sogenannten „Traum vom Imperium“ Polens statt.
Lehrer K. ist als Vorsitzender regelmäßig erster Unterzeichner der Einladungen zu diesen Schlesienseminaren gewesen. Auch andere Führungskräfte der „Alten Breslauer Burschenschaft“, die zu diesen Seminaren einluden, haben einen einschlägigen Hintergrund.
Es ist schwer zu glauben, dass K. mit diesen politischen Ansichten, mit den Themen und der politischen Ausrichtung der Seminare, zu denen er selbst eingeladen hat, den Referenten und den übrigen beteiligten Personen nichts zu tun gehabt habe. Insofern wird von einer „Mitte der Gesellschaft“, in die sich nach seiner Aussage der Lehrer K. selbst politisch einordnet, kaum die Rede sein können.
Lehrer K. hat nach Aussagen der Schüler seine Ansichten über die „Alte Breslauer Burschenschaft der Raczek zu Bonn“ im schulischen Rahmen innerhalb einer Schulstunde ausgebreitet. Es ist bedenklich, wenn ausgerechnet ein Politiklehrer einer Schule in der heutigen Zeit Nähe zu geschichtsrevisionistischen und rechtsextremen Themen hat.
1. Wie bewertet es die Landesregierung, wenn ein Politiklehrer führendes Mitglied in einer als extrem rechts geltenden Burschenschaft ist? Gehen Sie darauf ein, wenn Nähe zu rechtem sowie geschichtsrevisionistischen Gedankengut naheliegt, wie es die Themen und Referenten der „Schlesienseminare“ vermuten lassen.
Bei der „Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks“ handelt es sich um eine Studentenverbindung im Dachverband der Deutschen Burschenschaft, die nach Vereinsrecht nicht verboten ist. Die Mitgliedschaft eines Lehrers in der Studentenverbindung hat die Landesregierung nicht zu bewerten.
Die NRW-Burschenschaften wurden bereits in der Kleinen Anfrage 1304 des Abgeordneten Dr. Joachim Paul der Fraktion der PIRATEN (LT-Drs. 16/3124) thematisiert. Die Frage nach konkreten Hinweisen auf rassistische und nationalistische Tendenzen innerhalb der NRW-Burschenschaften hat die Landesregierung wie folgt beantwortet (LT-Drs. 16/3475):
„Teilbereiche des Rechtsextremismus - vor allem innerhalb der NPD als auch innerhalb der revisionistischen Strömung der „Neuen Rechten“ - sehen Burschenschaften als Zielgruppe. Sie wollen Einfluss auf Diskurse nehmen und eigene Positionen dort verankern. Das Ziel ist die Meinungsführerschaft: die kulturelle Hegemonie. Daher haben diese Teile des Rechtsextremismus an Burschenschaften ein strategisches Interesse.
Vereinzelt sind Burschenschaftler Mitglieder rechtsextremistischer Organisationen bzw. bestehen Kontakte rechtsextremistischer Personen oder Organisationen zu einzelnen Burschenschaften. In der Vergangenheit haben in den Häusern einzelner Burschenschaften in Nordrhein-Westfalen Vorträge von Rechtsextremisten stattgefunden. Bislang haben sich die tatsächlichen Anhaltspunkte in keinem Fall so verdichtet, dass eine Beobachtung einzelner Burschenschaften als rechtsextremistische Bestrebung erfolgt.“
Neue Erkenntnisse liegen der Landesregierung nicht vor.
2. Ist der Umgang der Schulleitung mit dem Politiklehrer K. angemessen?
Nach dem Bericht der Bezirksregierung Köln ist der Lehrer bisher durch keine politischen Aktionen oder Äußerungen im Kollegium oder in den Klassen aufgefallen, die seine Rolle im Unterricht und auch als Politiklehrer in Frage stellen würden.
3. Hat eine mündliche Androhung des Schulverweises des Schülers M. durch die Schulleitung aufgrund von „Mobbing“ gegen den Lehrer K. nach Wissen der Landesregierung stattgefunden? Bewerten Sie die Angemessenheit einer solchen Maßnahme.
Der Landesregierung liegen keine Anhaltspunkte vor, dass es eine solche Androhung gegeben hat.
4. Welche Stellung nimmt die Landesregierung zu dem offenen Brief der Schüler der Fachoberstufe 12 und 13 des Robert-Wetzlar-Berufskollegs in Bonn?
Die Bezirksregierung Köln hat berichtet, dass ihr kein „offener Brief der Schüler der Fachoberstufe 12 und 13 des Robert-Wetzlar-Berufskollegs in Bonn“ bekannt sei. Vielmehr gebe es ein Flugblatt der Bonner Jugendbewegung bzw. der Verdi Jugend NRW-Süd, das den Eindruck erwecke, von Schülerinnen und Schülern des Lehrers verfasst worden zu sein.
Im Gegensatz dazu spreche die fehlerhafte Klassenbezeichnung in dem „offenen Brief“ vielmehr dafür, dass eine andere Urheberschaft bestehen könnte. Die inhaltlichen Vorwürfe in dem „offenen Brief“ seien - mit Ausnahme der Mitgliedschaft des Lehrers in der Burschenschaft - nicht belegt. Im Übrigen liegt eine Stellungnahme der Klasse vor, mit der sich die Schülerinnen und Schüler für den Lehrer einsetzen.
Schließlich wehrt sich der Lehrer presserechtlich gegen die Berichterstattung. Die Behauptung, die Schülerinnen und Schüler hätten sich in einem offenen Brief von ihrem Politiklehrer distanziert, wurde der Axel Springer SE und der BILD GmbH & Co. KG durch eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 20. April 2015 untersagt.
5. Welcher Umgang soll mit als rechts geltenden Burschenschaften im Politikunterricht nach Ansicht der Landesregierung erfolgen? Gehen Sie darauf ein, ob in diesem Fall ihrer Ansicht entsprochen wurde.
Nach dem „Beutelsbacher Konsens“ aus dem Jahre 1976, einer bundesweiten Festlegung von Grundlagen und Zielsetzungen für den Bereich der politischen Bildung, dem auch die curricularen Vorgaben für Schulen in Nordrhein Westfalen in ihren Bildungs- und Erziehungszielen folgen, ist es „nicht erlaubt, den Schüler - mit welchen Mitteln auch immer - im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils" zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der - rundum akzeptierten - Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.“ (zit. aus: http://www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens).
Hieran orientieren sich die geltenden, für Schulen und Lehrkräfte verbindlichen curricularen Vorgaben und das Verhalten der Schulaufsicht.
Die Schülerinnen und Schüler sollen im Politikunterricht Sach-, Methoden-, Urteils- und Handlungskompetenzen erwerben, um als mündige und handlungsfähige Bürgerinnen und Bürger politische, gesellschaftliche und ökonomische Prozesse aktiv mitgestalten zu können. Sukzessive soll auf der Grundlage von Sachkompetenzen ein Verständnis von der Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschafts- bzw. Staatsform entwickelt werden, um Erscheinungsformen politischen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit davon abgrenzen zu können und dann auf dieser Grundlage sach- und wertorientiert zu urteilen und zu handeln. Dementsprechend bieten die Kernlehrpläne verschiedener Schulformen für die Fächer Gesellschaftslehre, Politik/Wirtschaft und Politik ausreichend Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzung auch mit politisch extremen Burschenschaften.
Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass diesen Grundsätzen im angesprochenen Fall nicht entsprochen wurde.