LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
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Drucksache 16/6924 |
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30.09.2014 |
Antwort
der Landesregierung
auf die Kleine Anfrage 2637 vom 2. September 2014
des Abgeordneten Daniel Schwerd PIRATEN
Antisemitische Plakate mit Duldung des Landes? – Bewertung der „Kölner Klagemauer“
Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 2637 mit Schreiben vom 30. September 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin, dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport und dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet.
Vorbemerkung der Kleinen Anfrage
In Köln wird seit Jahren im Bereich der Kölner Innenstadt die „Kölner Klagemauer“ gezeigt. Seit etwa zehn Jahren stellt der Initiator Walter Herrmann in Form einer Dauerdemonstration Plakate zum Nahostkonflikt aus. Die dort getroffene Darstellung des Konflikts wird vielfach als einseitig und verzerrend eingeschätzt. Manche der Plakate werden als antisemitische Propaganda bezeichnet. (1, 2)
Im Januar 2010 wurde an der Klagemauer die Karikatur einer mit Davidstern gekennzeichneten Person angebracht. Sie hatte vor sich einem Glas mit roter Flüssigkeit sowie einen Teller mit einem palästinensischen Kind vor sich. Mit Messer und Kabel war die Person dabei, das Kind zu zerteilen und zu verspeisen. Die Assoziation zur antisemitischen Ritualmordlegende ist augenscheinlich. (3)
Ein Strafantrag gegen Walter Herrmann wegen Volksverhetzung mit dem Aktenzeichen 121JS51-10 wurde von der Kölner Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Das „verständige Durchschnittspublikum“ würde aufgrund fehlender stereotypischer Gesichtsmerkmale nicht von einem Angriff auf Juden ausgehen (auf dem Bild endete die Figur unterhalb des Kopfes), auch wäre keine allgemeine Unruhe unter einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung zu erwarten. Insbesondere müsse man nicht befürchten, dass dieses Bild die Stimmungslage in der Bevölkerung gegenüber Juden verschlechtere.
Auch Beschwerden bei der Kölner Staatsanwaltschaft sowie bei Justizminister Thomas Kutschaty blieben erfolglos.
Im Sommer 2014 häuften sich auf und im Umfeld sogenannter „Friedensdemos“, die sich anlässlich des Nahostkonfliktes solidarisch mit Gaza zeigen, antisemitische Sprüche, Slogans und Plakate. Es kam zu antisemitisch motivierten Übergriffen auf Juden, jüdischen Einrichtungen und israelsolidarischen Demonstranten in Deutschland. Es wurde übergangs- und nahtlos von der Kritik an Israel zu antisemitischen Slogans und Bildern übergegangen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz schrieb kürzlich in seinem BfV-Newsletter Nr. 3/2014:
In den Sozialwissenschaften wurden Kriterien entwickelt, die geeignet sind, eine antisemitische von einer nichtantisemitischen Kritik an Israel abzugrenzen:
· Aberkennung des Existenzrechts Israels und des Rechts auf Selbstverteidigung
· Gleichsetzung israelischer Palästinenserpolitik mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung
· Beurteilung Israels mit doppelten Standards
· Übertragung antisemitischer Stereotype auf den israelischen Staat
· Verantwortlichkeit der Juden weltweit für die Politik Israels.
Zusammengefasst sind es die drei D’s, die eine Abgrenzung ermöglichen:
· Delegitimierung
· Dämonisierung
· doppelte Standards.
Der antizionistische Antisemitismus negiert das Existenzrecht Israels und diffamiert den jüdischen Staat, indem er ihm einen „Vernichtungskrieg“ und eine Politik der „Ausrottung“ vorwirft
Das Bundesamt für Verfassungsschutz nennt damit die Kriterien, die auf die Klagemauer anzuwenden wären, um den darin inhärenten Antisemitismus zu entlarven. Im geschilderten Fall wäre das „Übertragung antisemitischer Stereotype auf den israelischen Staat“ sowie die „Dämonisierung“ Israels. Gerade diese Punkte werden zu Recht als antisemitische Vorkommnisse auf den sogenannten „Friedensdemos“ bezeichnet.
(1) https://web.archive.org/web/20070928193444/http://www.sgk.de/GB-ARCHIV/2005/Juli-August2005/s_03.pdf
(2) http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article12297429/Der-Koelner-der-mit-Antisemitismus-vorm-Dom-nervt.html
(3) http://www.gegen-antisemitismus-in-koeln.eu/de/
Vorbemerkung der Landesregierung
Die Kleine Anfrage knüpft an das bei der Staatsanwaltschaft Köln im Jahr 2010 anhängig gewesene Ermittlungsverfahren 121 Js 51/10 wegen Verdachts der Volksverhetzung und anderem an. Die Staatsanwaltschaft hatte aufgrund mehrerer Strafanzeigen die in der Kleinen Anfrage angesprochene, an der so genannten Kölner Klagemauer seinerzeit angebrachte Fotografie unter strafrechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten.
Zu dem bei Einstellung des Verfahrens zugrunde liegenden Sachverhalt hat der Generalstaatsanwalt in Köln dem Justizministerium aus Anlass einer weiteren Dienstaufsichtsbeschwerde im Januar 2011 zusammenfassend Folgendes berichtet:
Der Beschuldigte veranstaltet seit 1991 eine öffentliche Plakatdemonstration auf der Domplatte, die gemeinhin als „Kölner Klagemauer" bekannt geworden ist, sich verschiedenen pazifistischen und sozialkritischen Themen widmete und zuletzt als „Dauerdemonstration" von den Ordnungsbehörden geduldet wird. Unlängst hatte der Beschuldigte den Gaza-Konflikt zum Thema seiner Plakataktion gewählt und dabei Aufnahmen gezeigt, auf denen verletzte und getötete Menschen, überwiegend Kinder, abgebildet waren. In diesen Kontext reihte der Beschuldigte Anfang 2010 die verfahrensgegenständliche Fotografie ein, die mit dem Untertitel „Protest in Indien: Studentin hält ein Plakat, auf dem ein Israeli ein palästinensisches Kind zerschneidet. DPA" und der handschriftlichen Notiz „GAZA 08/09" versehen ist. Die Fotografie zeigt eine junge Frau, die ein Plakat über dem Kopf hält. Dieses Plakat - eine farbige Zeichnung - ist Hauptbildinhalt. Es enthält auf der vom Betrachter linken Seite den Aufdruck: „GUPS" (General Union of Palestine Students) und auf der rechten Seite einen Hinweis in arabischer Schrift und die Aufschrift „www.aljazzera.net“. Die Zeichnung zeigt den Oberkörper einer Person, die nach Art einer Serviette einen weißen Latz um den Hals trägt, auf dem ein blauer Davidstern abgebildet ist, und die mit einem Essbesteck dabei ist, ein palästinensisches Kind zu zerteilen.
Diese Abbildung veranlasste den damaligen Anzeigeerstatter, der sich durch die Art und Weise der Darstellung persönlich angegriffen fühlte, am 21.01.2010, Polizeibeamte hinzuzurufen. In der Folgezeit nahmen weitere Personen und Institutionen aus dem In- und Ausland, ausgelöst durch eine entsprechende Berichterstattung in den Medien, Anstoß an dem Plakat.
Die massive öffentliche Kritik nahm der Beschuldigte schließlich zum Anlass, alle Plakate zum Gaza-Konflikt, unter ihnen das verfahrensgegenständliche, abzunehmen und sich dem neuen Thema Wohnungsnot zuzuwenden.
Im April 2010 stellte die Staatsanwaltschaft das eingeleitete Ermittlungsverfahren nach eingehender Prüfung ein, da nach ihrer Bewertung das Zeigen der Fotografie keinen Straftatbestand erfüllte. Die dagegen gerichteten Beschwerden wies der Generalstaatsanwalt in Köln im Juli 2010 als unbegründet zurück. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Generalstaatsanwalt stellten in ihren ausführlichen Einstellungs- bzw. Beschwerdebescheiden umfassend die Rechtslage dar, sowohl in straf- als auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht, wobei insbesondere auch auf die für das Verfahren relevante Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz (GG) näher eingegangen wurde. Zusätzlich erläuterten der zuständige Dezernent der Staatsanwaltschaft und dessen Abteilungsleiter Anzeigeerstattern die Entscheidungsgründe auch ausführlich in persönlichen Gesprächen. Der Generalstaatsanwalt in Köln nahm in seinen Beschwerdebescheiden darauf Bezug und machte zur weiteren Verdeutlichung noch klarstellende Anmerkungen. Zusammenfassend stellte er fest, dass das öffentliche Ausstellen des verfahrensgegenständlichen Plakats durch den Beschuldigten weder den Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Strafgesetzbuch (StGB) noch den der Beleidigung gemäß § 185 StGB erfülle, weil dem im Kontext der Protestaktion gezeigten Plakat nicht nur ein einziger strafrechtlich relevanter Erklärungsinhalt beigemessen werden könne. Einen solchen setzten aber beide Tatbestände zu ihrer Verwirklichung im Lichte der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit zwingend voraus.
Gegen die Beschwerdeentscheidung des Generalstaatsanwalts wurde von einer einzelnen Person, die weder Anzeige erstattet noch gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt hatte, im Dezember 2010 Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt. Diese wies die Fachabteilung des Justizministeriums im Februar 2011 unter Bezugnahme auf den Inhalt des Bescheides des Generalstaatsanwalts von Juli 2010 als unbegründet zurück.
1. Folgt der Justizminister nach wie vor der Einschätzung, die Darstellung des zerstückelten Kindes auf dem Teller Israels wäre nicht als antisemitisch bzw. volksverhetzend einzustufen?
Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte unseres Landes sind inhaltlich unabhängig. Ihnen und nicht dem Justizministerium obliegt die Entscheidungshoheit über die Ermittlungen.
Der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln hat die Kleine Anfrage zum Anlass genommen, die Verfahrenseinstellung aus dem Jahr 2010 nochmals zu prüfen. Die Prüfung hat ihm auch unter Berücksichtigung des Inhalts der Kleinen Anfrage keinen Anlass gegeben, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Die nach der Kleinen Anfrage seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz in dessen Newsletter 3/2014 aufgestellten Kriterien für die Annahme antisemitischer Kritik an Israel vermochten an der strafrechtlichen Bewertung des dem eingestellten Ermittlungsverfahren 121 Js 51/10 zugrunde liegenden Sachverhalts nichts zu ändern. Maßgeblicher Grund der seinerzeitigen Einstellungsentscheidung war - so der Leitende Oberstaatsanwalt - die Erwägung, dass dem fraglichen Bildinhalt nicht ausschließlich ein volksverhetzender Aussagegehalt zugemessen werden konnte, sondern auch andere Interpretationen möglich waren und daher unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung der Tatbestand des § 130 StGB nicht als erfüllt anzusehen war. Auch die (heutige) Generalstaatsanwältin in Köln hat die Sachbehandlung der Staatsanwaltschaft nochmals überprüft. Sie sieht - in Übereinstimmung mit der zuständigen Fachabteilung des Justizministeriums - zu Maßnahmen keinen Anlass.
2. Wie bewertet die Landesregierung die Darstellung heute? Gehen Sie insbesondere darauf ein, inwieweit es sich bei dieser Darstellung um eine Dämonisierung Israels bzw. die Übertragung antisemitischer Stereotypen auf den Staat Israel handelt.
Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen.
3. Ist die Landesregierung der Meinung, dass ein „verständiges Durchschnittspublikum“ diese Darstellung nicht auch ohne Abbildung eines Kopfes Juden zuordnet?
Auf die Vorbemerkung und die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen.
4. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, antisemitische Darstellungen auf der „Kölner Klagemauer“ zu verhindern?
Über etwaige zu ergreifende Maßnahmen entscheiden die zuständigen Behörden vor Ort im Rahmen des geltenden Rechts - insbesondere auch des Verfassungsrechts - nach Prüfung ggf. zu entscheidender Einzelfälle. Dem greift die Landesregierung nicht vor.
5. Wie ist es angesichts der Bedrohungslage zu rechtfertigen, dass eine Dauerausstellung mit mindestens grenzwertigen Darstellungen des Nahostkonfliktes die Stimmung gegen Juden in unserem Land weiter verschärft? Begründen Sie insbesondere, ob ein „verständiges Publikum“ die Vorwürfe gegen Israel nicht auf Juden überträgt, wie das im Rahmen der „Friedensdemonstrationen“ geschah.
Mit Urteil vom 22.08.2007 (6 C 22/06) hat das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich einer der „Kölner Klagemauer“ vergleichbaren, von demselben Verantwortlichen in Berlin geplanten Veranstaltung entschieden, dass es sich dabei um eine Versammlung im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 GG und des Versammlungsgesetzes handelt. Artikel 8 Absatz 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung schützen.
Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 Bezug genommen.