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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/6905

 

29.09.2014

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 2638 vom 2. September 2014

des Abgeordneten Daniel Schwerd   PIRATEN

Drucksache 16/6683

 

 

Antisemitische Straftaten mit Unterstützung der Polizei? - Verfehlter Polizeieinsatz bei Demonstration am 01. August in Hagen

 

 

Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2638 mit Schreiben vom 26. September 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales und dem Justizminister beantwortet.

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

Während einer Demonstration am 01. August 2014 in Hagen sollen Teilnehmer antijüdische Parolen skandiert haben. Die Ausfälle gingen insbesondere von arabischstämmigen Demonstranten sowie von Mitgliedern rechtsextremer Gruppierungen aus, die sich der Kundgebung angeschlossen und einen Polizeilautsprecher missbräuchlich verwendet hatten, der ihnen zuvor vom Einsatzleiter der Polizei überlassen worden war.

 

Nachdem der Lautsprecher für die Parolen der Demonstranten zweckentfremdet wurde, hielt sich die Polizei zurück, beobachtete alleine die Vorgänge, ohne jedoch auch nur den Versuch zu unternehmen, den Lautsprecher in einem Polizeieinsatz zurückzuholen und die Demonstranten von ihren strafbewehrten Taten abzuhalten, die geeignet sind das Ansehen des Landes im Ausland zu schädigen.

 

Nach Bericht des WDR war auch der Hagener Polizeipräsident Frank Richter auf der Demonstration persönlich anwesend, der daraufhin in einer Erklärung die Einsatztaktik der Polizei mit dem Argument gerechtfertigt hat, dass „eine Rücknahme zu einer Eskalation der bereits aufgeheizten Stimmung geführt und einen friedlichen Verlauf gefährdet“ hätte.

 

 

 

 

 

 

1.    Welche Parolen wurden von den Demonstranten mit Hilfe des Polizeimegafons skandiert?

 

Ein Versammlungsteilnehmer skandierte mit Hilfe des Polizeimegafons „Kindermörder Israel“.

 

 

2.    Welche strafrechtlichen Ermittlungen sind aufgenommen worden? Nennen Sie jeden einzelnen Fall mit jeweiligem Tatvorwurf und der Information, ob die Person identifiziert ist oder nicht.

 

Es wurden keine Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die von Demonstrati-onsteilnehmern skandierte Parole „Kindermörder Israel“ begründet nach dem Ergebnis der Prüfung durch die Staatsanwaltschaft Hagen und den Generalstaatsanwalt in Hamm nicht den Anfangsverdacht eines straf-rechtlich relevanten Verhaltens.

 

 

3.    Hat sich die Polizei nach Einschätzung der Landesregierung in ihrer Einsatztaktik einer passiven Duldung antisemitischer Vorkommnisse angemessen verhalten? Gehen Sie insbesondere auf die Möglichkeiten ein, das Megafon auszuschalten, an sich zu bringen, oder die Übertragung aus der Ferne zu deaktivieren.

 

Grundsätzlich stellt die Polizei Versammlungsleitern kein Megafon zur Verfügung. Vielmehr ist bei der Anmeldung einer Versammlung darauf hinzuwirken, dass ein Megafon mitzuführen ist.

Wie ein Vertreter des Ministeriums in der Innenausschusssitzung vom 18.09.2014 zur TOP 3 in Ergänzung des vorliegenden Berichtes ausführte, wurde der Versammlungsleiterin im Sinne einer deeskalierenden Maßnahme durch Übergabe des polizeilichen Megafons ausschließlich für diese Zwecke die Möglichkeit gegeben, auf die Versammlungsteilnehmer im Sinne ihrer Verantwortung einzuwirken.

Tatsächlich sprach die Versammlungsleiterin auch mittels Megafon die Versammlungsteilnehmer an, verlas die Auflagen und beschrieb den geplanten Verlauf. Auch während des Aufzuges richtete sie mehrfach im Sinne der kooperierten Verhaltensweisen und der Auflagen das Wort an die Versammlungsteilnehmer und nutzte hierfür das ausgehändigte Megafon. Sie erwies sich in diesem Zusammenhang als kooperativ und im Ergebnis ist der Versammlungsverlauf als ausgesprochen friedlich und störungsfrei zu bezeichnen. Die Versammlungsleiterin beendete die Versammlung letztlich unter Inanspruchnahme des Megafons.

Das Megafon war ein geeignetes und erforderliches technisches Hilfsmittel für die Versammlungsleiterin, um aktiv einen friedlichen Verlauf der Versammlung zu gewährleisten.

Dass sie das Megaphon zwischenzeitlich an einen Versammlungsteilnehmer übergab, der dann mit diesem Megafon antiisraelische Parolen (Kindermörder Israel) verbreitete, war weder vorhersehbar noch akzeptabel.

Dies hätte aber auch von den eingesetzten Polizeikräften nur in Form der Ansprache an diesen Versammlungsteilnehmer bzw. der Wegnahme des Megafons verhindert werden können.

Diese Maßnahmen wurden seitens der Polizei Hagen jedoch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit verworfen.

Es bestand die Möglichkeit, dass dadurch ungewünschte emotionale Reaktionen bis hin zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die eingesetzten Beamten aus den Reihen der bislang friedlichen Versammlungsteilnehmer hervorgerufen worden wären und der bis zu diesem Zeitpunkt angestrebte und erreichte positive Effekt der proaktiven Einflussnahme der Versammlungsleiterin auf die Versammlungsteilnehmer vereitelt worden wäre.

Vor dem Hintergrund dieses Abwägungsprozesses vor Ort entschied der Polizeiführer, dem Versammlungsteilnehmer das Megafon  nicht wegzunehmen.

Dieser Abwägungsprozess des Polizeiführers auf der Grundlage der damaligen Situation sowie auch der Einsatz insgesamt werden durch die Polizei Hagen nachbereitet.

Ein Deaktivieren aus der Ferne war technisch nicht möglich, da es sich um ein Handmegafon handelte.

 

Vor der Versammlung führte die Polizei Hagen ausführliche Gespräche mit der Jüdischen Gemeinde Hagen. Im Nachgang der Versammlung und nach den Presseveröffentlichungen haben weitere einvernehmliche Gespräche stattgefunden.

In einem Gemeindebrief der Jüdischen Gemeinde vom 04.08.2014 wird die Übergabe des Megafons zwar bedauert jedoch auch dargestellt: „Kein Megaphon und damit keine Möglichkeit der Lenkung des Zuges durch einen Menschen, dem die aufgebrachte Menge vertraut, hätte die Wahrscheinlichkeit von Ausschreitungen erhöht“.

 

4.    Wie bewertet die Landesregierung das Geschehen in Hagen vor dem Hintergrund der Aufmerksamkeit, die antisemitische Vorfälle in Deutschland im Zusammenhang mit der deutsch-jüdischen Geschichte des 20. Jahrhunderts im Ausland erregen?

 

Für antisemitische Hetze ist in Nordrhein-Westfalen kein Raum. Sie gefährdet das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft und kann das freundschaftliche und vertrauensvolle Verhältnis zu unseren jüdischen Mitbürgerinnen und -bürgern beschädigen.

Zudem gilt als generelle Linie der Polizei:

Wer das Demonstrationsrecht missbraucht, um volksverhetzende Parolen zu grölen, muss die Konsequenzen tragen. Die Polizei verfolgt strafrechtlich relevantes Verhalten entschlossen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Dies gilt auch, wenn ein direktes Einschreiten im Rahmen des Demonstrationsgeschehens aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und zur Vermeidung einer weiteren Eskalation nicht unmit-telbar erfolgt.

 

5.    Welchen Verbesserungsbedarf sieht die Landesregierung in der Schulung und Einsatztaktik der Polizei bei Demonstrationen, bei denen antisemitische Ausschreitungen zu erwarten sind.

 

Die nordrhein-westfälische Polizei und insbesondere die Einheiten der Bereitschaftspolizei sind geschult und - wie sie landes- und bundesweit immer wieder unter Beweis stellen - in der Lage, in Konfliktsituationen sowohl durch Kommunikation deeskalierend zu wirken, als auch durch gezieltes Vorgehen gegen erkannte Gewalttäter konsequent einzuschreiten.

Sofern im Einzelfall aus einsatztaktischen oder aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein unmittelbares Vorgehen gegen erkannte Straftäter nicht angezeigt oder möglich ist, werden anlassbezogene Maßnahmen (beispielsweise Videoaufnahmen) durchgeführt, um eine beweissichere Strafverfolgung zu gewährleisten.

Im Übrigen verweise ich auf die Antwort zu Frage 3.

 

 


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