LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
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Drucksache 16/3403 |
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27.06.2013 |
Kleine Anfrage 1384
des Abgeordneten Daniel Schwerd PIRATEN
Telekom-Drossel, „strikte“ Netzneutralität und Deep Packet Inspection
Die Deutsche Telekom AG hat Tarifänderungen für ihre Internetzugänge angekündigt. Die Pläne der Telekom sehen vor, die Bandbreite von Internetzugängen nach Erreichen eines bestimmten Datenaufkommens bzw. Inklusivvolumens massiv zu drosseln. Allerdings, so wurde berichtet, sollten Diensteanbieter im Internet die Möglichkeit erhalten, ihre Dienste gegen Geldzahlungen von der Drosselung zu befreien. Öffentlich lösten die Pläne der Telekom harsche Kritik aus, da ein solches Erlösmodell einen massiven Angriff auf die Netzneutralität bedeuten würde.
Kürzlich hat die Bundesnetzagentur einen Bericht zu der geplanten Tarifänderung vorgelegt.[1] Laut Bericht hat die Telekom versichert, „zukünftig keine Internetanwendungen von der Volumenberechnung und der Drosselung im Festnetz auszunehmen“ (S. 7) – es solle für Diensteanbieter mithin doch nicht möglich sein, die Drosselung gegen eine Zahlung zu umgehen.
Demgegenüber steht jedoch die Tatsache, dass die Telekom im Mobilfunkbereich mit dem Musikstreaming-Dienst „Spotify“ schon seit einiger Zeit genau dieses Geschäftsmodell verfolgt: Auch im Mobilfunkbereich werden Datenverbindungen der Telekom bei Erreichen eines bestimmten Datenaufkommens stark gedrosselt. Lediglich Spotify ist aufgrund einer Vereinbarung mit der Telekom von dieser Drosselung ausgenommen. Laut Bericht der Bundesnetzagentur „stellt die Nicht-Anrechnung von Spotify eine Diskriminierung dar, da eine bestimmte Anwendung anders als die übrigen Anwendungen behandelt wird.“ (S. 9)
In jedem Fall teilte die Telekom der Bundesnetzagentur mit, dass für den Festnetzbereich priorisierte Dienste, so genannte „Managed Services“ wie bspw. der Telekom-Fernsehdienst „Entertain“, nach den geplanten Tarifänderungen nicht von der Drosselung betroffen sein würden. Die Telekom begründet dies damit, dass Managed Services, auch wenn sie über den Breitbandanschluss empfangen werden, nicht über den Internetzugang, sondern über eine davon vollständig getrennte Transportplattform (auf Basis von IP-Multicast) realisiert würden, weshalb die Internet-Drosselung hier nicht greife und daher auch keine Netzneutralitätsverletzung vorliege.
Laut Bericht der Bundesnetzagentur plant die Telekom zudem, „ab 2016 ein ‚diskriminierungsfreies Vorleistungsangebot für alternative Diensteanbieter einzuführen‘, mit dem diese selbst qualitätsgesicherte Dienste (Managed Services) anbieten könnten (ggf. auch mit einer Nicht-Anrechnung auf das Volumen wie bei Entertain)“ (S. 6). Das bedeutet nichts anderes, als dass Anbieter, die ihre Dienste bisher ausschließlich über das Internet verbreitet haben, die Option erhalten werden, künftig ihren Dienst zusätzlich oder ersatzweise als Managed Service im Telekommunikationsnetz der Telekom anzubieten – natürlich gegen Zahlung eines Entgelts an die Telekom.
Das ökonomische Ziel der Telekom hinter diesen Plänen besteht darin, ihre Erlöse aus dem Provider-Geschäft zu erhöhen, indem sie auf beiden Seiten der Internet-Kommunikation Gebühren abfasst: Künftig sollen nicht mehr nur Privat-Kunden Gebühren für die Bereitstellung des Breitbandanschlusses zahlen, sondern auch die Diensteanbieter Entgelte an die Telekom entrichten, um ihre Angebote über den Umweg der Managed Services von der Drosselung auszunehmen und sie damit dauerhaft in voller Geschwindigkeit erreichbar zu halten.
Wenn die Telekom also behauptet, ihre Tarifänderung sei kein Verstoß gegen die Netzneutralität, da kein Diensteanbieter im Internet die Möglichkeit habe, sich gegen Zahlung von der Internet-Drosselung auszunehmen, so ist dies Augenwischerei. Die Netzneutralität wird durch die geplanten Tarifänderungen der Telekom nur dann nicht verletzt, wenn man Netzneutralität ausschließlich auf den Internetanschluss bezieht. Versteht man Netzneutralität hingegen als Gleichbehandlung aller auf einem Breitbandanschluss realisierten Dienste, so stellen die Tarifänderungen einen klaren Verstoß gegen die Netzneutralität dar – denn als Managed Services könnten (vormalig rein internetbasierte) Diensteanbieter die geplante Drosselung faktisch umgehen.
Die geplanten Tarifänderungen würden damit zu einer Situation führen, in der die vorgesehene (Internet-)Drosselung ab Erreichen des Inklusiv-Volumens nur jene Dienste trifft, die keinen entsprechenden Vertrag mit der Telekom abgeschlossen haben. Andere Angebote hingegen, die ein entsprechendes Entgelt an die Telekom zahlen, wären auch nach dem Einsetzen der Drosselung als Managed Service in voller Geschwindigkeit erreichbar. Die Bundesnetzagentur schreibt dazu in ihrem Bericht auf S. 10: „Da Managed Services mit dem Best-Effort-Internetzugangsdienst um die gemeinsam Ende-zu-Ende genutzten Netzressourcen konkurrieren, würden sie diesen letztlich sogar verdrängen können.“
Es steht zu befürchten, dass ein solches Erlösmodell finanzschwache Betreiber von Internet-Angeboten (bspw. private und nicht-kommerzielle Angebote, kostenlose Nachrichten-Seiten, Start-Ups etc.) benachteiligen würde, die sich das Freikaufen von der Drosselung nicht leisten können. Finanzstarke Unternehmen und Konzerne hingegen wie Google, Amazon oder Ebay könnten als zahlende Managed Services die Drosselung umgehen und ihre Marktmacht auf diese Weise weiter ausbauen.
Dieser Gefahr kann politisch begegnet werden, indem Internet-Provider zur Einhaltung einer „strikten“ Netzneutralität verpflichtet werden. Im Bericht der Bundesnetzagentur heißt es dazu auf S. 7: „Netzneutralität im Sinne einer strikten Gleichbehandlung liegt vor, wenn der gesamte Verkehr in einem Netz gleich (neutral) behandelt wird, unabhängig von (i) Inhalt, (ii) Anwendung, (iii) Dienst, (iv) Absender sowie (v) Empfänger.“
Je nach technischem Ansatz kann die Umsetzung der Drosselungs-Pläne der Telekom die Anwendung der sogenannten Deep Packet Inspection (DPI) nötig machen. Nach Ansicht von Juristen verstößt DPI gegen das Fernmeldegeheimnis nach § 88 Telekommunikationsgesetz (TKG) und wäre damit in Deutschland unzulässig.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
1. Befürwortet die Landesregierung die Forderung, Internet-Provider zur Gleichbehandlung aller auf einem Breitbandanschluss realisierten Dienste („Netzneutralität im Sinne strikter Gleichbehandlung“) zu verpflichten?
2. Die Absicherung der Netzneutralität im Sinne strikter Gleichbehandlung würde laut Bericht der Bundesnetzagentur „über die bestehenden Vorschriften hinaus die Normierung einer symmetrischen Gleichbehandlungspflicht (unabhängig vom Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung) erforderlich machen.“ (S. 12)
Wie steht die Landesregierung zu einer solchen Normierung einer symmetrischen Gleichbehandlungspflicht?
3. Wie bewertet die Landesregierung die Forderung, Internet-Provider dahingehend zu regulieren, dass diese nicht zugleich Anbieter von Inhalten sein dürfen? (Trennung der Netzinfrastruktur-Ebene von der Ebene der Anwendungen und Dienste.)
4. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass es sich bei der Deep Packet Inspection um einen Verstoß gegen § 88 Telekommunikationsgesetz handelt?
5. Wie plant die Landesregierung angesichts der Pläne der Telekom die Grundsätze von Gleichbehandlung und Diskriminierungsverbot zugunsten kleinerer Diensteanbieter zu sichern?
Daniel Schwerd
[1] Bericht der Bundesnetzagentur vom 14. Juni 2013 zur Tarifänderung der Deutschen Telekom AG
für Internetzugänge vom 02. Mai 2013, online unter: http://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Telekommunikation/Unternehmen_Institutionen/Breitband/Netzneutralitaet/Bericht_Bundesnetzagentur_14_Juni_2013.pdf