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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/1789

 

04.01.2013

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 695 vom 16. November 2012

der Abgeordneten Birgit Rydlewski und Daniel Schwerd   PIRATEN

Drucksache 16/1521 (Neudruck)

 

 

 

Genitalverstümmelungen bei Mädchen und Frauen

 

 

 

Der Justizminister hat die Kleine 695 mit Schreiben vom 2. Januar 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, der Ministerin für Schule und Weiterbildung und dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet.

 

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

Die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen ist eine Praxis, bei der die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane teilweise oder ganz entfernt werden. Der Eingriff ist oftmals erheblich und schmerzhaft, er führt in der Regel zu starken physischen und psychischen Schäden bis hin zum Tod der so verstümmelten Mädchen und Frauen. Eine medizinische Begründung gibt es nicht. In bestimmten Gegenden des westlichen und nordöstlichen Afrikas, Jemen, Irak, Indonesien und Malaysia wird sie durchgeführt.

 

Viele Menschenrechtsorganisationen kämpfen weltweit gegen diese Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit. In den meisten Ländern der Welt, auch in Deutschland, ist dieser Eingriff verboten und steht unter Strafe. Gleichwohl kommt es vor, dass Familien und Eltern aus den entsprechenden Herkunftsgebieten diesen Eingriff durchführen lassen. Oftmals werden Genitalverstümmelungen bei Mädchen dann auf einer Auslandsreise in diese Länder vorgenommen. Es stellt sich die Frage, in welchem Umfang solche Fälle in Nordrhein-Westfalen auftreten bzw. bekanntwerden, und welche Maßnahmen zur Verhinderung dieser Taten getroffen werden.

 

 

1.         Zu wie vielen Strafanzeigen und daraus resultierenden Strafverfahren bzw. Verurteilungen ist es im Zusammenhang mit der Verstümmelung weiblicher Genitalien in den letzten 10 Jahren in NRW gekommen – aufgeschlüsselt nach Jahren?

 

In den Statistiken der Polizei und der Strafrechtspflege werden Fälle der Verstümmelung weiblicher Genitalien nicht gesondert erfasst. Eine den Zeitraum der letzten zehn Jahre umfassende Sonderauswertung, die von Hand vorzunehmen wäre, ist in der Kürze der Zeit nicht möglich. Ergänzend wird auf Abschnitt 2.7 der Stellungnahme des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen vom 29.04.2011 (Vorlage 15/544) verwiesen.

 

 

2.       Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, um von Genitalverstümmelung bedrohte Mädchen und deren Eltern frühzeitig über Umstände und Folgen dieser Tat, eingeschlossen ihrer Strafbarkeit in Deutschland, aufzuklären?

 

Zur Bekämpfung von Genitalverstümmelung sind neben gesetzlichen Verboten intensive Aufklärung und weiterführende Beratung notwendige Bestandteile präventiver Arbeit. Das Gesundheitswesen hat hierbei eine wichtige Rolle. Insbesondere Gynäkologinnen und Gynäkologen, Hebammen und Entbindungspfleger sowie Kinderärztinnen und Kinderärzte kommen mit Female Genital Mutilation (FGM) in Berührung; sie können Aufklärungs- und Beratungsarbeit leisten und kompetente medizinische Betreuung anbieten. Daneben kommen pädagogische Fachkräfte wie Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden etc. mit der Problematik Genitalverstümmelung in Berührung. Systematische Aufklärung und Sensibilisierung dieser Berufsgruppen ist nötig, um Gefahren zu erkennen und angemessen handeln zu können. Mit vorhandenen Aufklärungs- und Informationsangeboten insbesondere in Schulen können betroffene Kinder und deren soziales Umfeld erreicht werden.

 

Für betroffene Mädchen und Frauen sind Angebote der Beratung, Begleitung und Unterstützung bei gesundheitlichen, sozialen und rechtlichen Problemen zur individuellen Stärkung und zur Aufklärung über Folgen der Genitalverstümmelung von zentraler Bedeutung.

 

Deshalb unterstützt das Land Nordrhein-Westfalen die Beratungsstelle "Stop Mutilation", den Runden Tisch NRW gegen Beschneidung von Mädchen sowie die Herausgabe von Informationsmaterialien und Flyern.

 

 

3.       Welche präventiven Maßnahmen zum Schutz potentiell gefährdeter Mädchen werden ergriffen, speziell bei Antritt von Reisen in das Heimatland der Eltern?

 

Reisen von Mädchen, die aus Ländern stammen, in denen Beschneidung von Mädchen und Frauen praktiziert wird, werden durch allgemeine polizeiliche Maßnahmen nicht festgestellt. Nur wenn im Einzelfall Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht auf eine geplante Durchführung einer Beschneidung begründen, können gezielte Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ergriffen werden.

 

In der Sitzung des Runden Tisches NRW gegen Beschneidung von Mädchen am 29.08.2012 wurde im Rahmen der Vorstellung des Polizeilichen Opferschutzes an die beteiligten Ärztinnen und Ärzte sowie Hilfs- und Beratungsstellen appelliert, betroffenen Mädchen und Frauen auch den Weg zur Polizei und die Möglichkeit einer Strafanzeige als Handlungsoptionen zu vermitteln.

 

Das Familiengericht kann bei einer Kindeswohlgefährdung durch eine drohende Genitalverstümmelung gemäß § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gerichtliche Maßnahmen - wie die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge - treffen.

 

Besteht durch eine drohende Genitalverstümmelung eine dringende Gefahr für das Wohl eines Kindes oder einer Jugendlichen und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, ist das Jugendamt verpflichtet, ein Kind oder eine Jugendliche gemäß §§ 8a Absatz 2 Satz 2, 42 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) in seine Obhut nehmen.

 

 

4.       Plant die Landesregierung – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit anderen Bundesländern – auf Bundesebene aktiv zu werden, um eine Verbesserung der strafrechtlichen Verfolgung weiblicher Genitalverstümmelung zu erreichen?

 

Der Bundesrat hat mit Unterstützung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen durch Beschluss vom 12.02.2010 den "Entwurf eines … Strafrechtsänderungsgesetzes - Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien" (BR-Drs. 867/09) in den Deutschen Bundestag eingebracht. Der Entwurf sieht u. a. die Einführung eines eigenständigen Straftatbestandes "Genitalverstümmelung" in das Strafgesetzbuch, die Nebenklageberechtigung der Opfer und das Ruhen der Verjährung bis zum achtzehnten Lebensjahr der Geschädigten vor. Zudem soll die Vorschrift auch sogenannte "Ferienbeschneidungen" von in Deutschland lebenden Migrantinnen anlässlich eines vorübergehenden Aufenthalts im Herkunftsland erfassen.

 

Dieser Gesetzentwurf konnte jedoch bis heute nicht im Bundestag aufgerufen werden, da die abschließende Stellungnahme der Bundesregierung dazu noch aussteht.

Daher hat die Landesregierung einen Beschluss der Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen, -minister, -senatorinnen und  -senatoren der Länder am 14./15.06.2012 unterstützt, der die Bundesregierung auffordert, sich für die Fortsetzung des parlamentarischen Verfahrens einzusetzen.

 

 

5.       Welche Strategien anderer europäischer Länder sind der Landesregierung bekannt, um den Schutz von Frauen und Mädchen vor Genitalverstümmelung sicherzustellen?

 

Der Landesregierung liegen keine gesicherten Erkenntnisse zu Strategien anderer europäischer Länder vor.

 

 


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