< Zurück zum Blog
Das Dokument als PDF abrufen: Hier klicken!

LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/14488

 

14.03.2017

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 5555 vom 3. Februar 2017

des Abgeordneten Daniel Schwerd   FRAKTIONSLOS

Drucksache 16/14142

 

 

 

Bad news are good news? Sperrungsverfügungen von Internetseiten in NRW 

 

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

 

 

„Irritare canem noli dormire volentem,

Nec moveas iram post tempora longa latentem“

Philosophia Patrum (Julius Wegeler)

 

Schlechte Nachrichten erhöhen die Aufmerksamkeit der Rezipienten – und steigern oftmals die Auflage. Dies ist eine langjährige Erkenntnis im Medienbereich. Gilt sie auch im Internet, etwa bei gesperrten Seiten, deren Sperrung sich mitunter umgehen lässt und somit einen gegenteiligen Effekt erzeugt? 

 

Diese Frage lässt sich womöglich aus Internetsperren beantworten, die vor geraumer Zeit in Nordrhein-Westfalen ausgesprochen worden sind. So beschuldigte im Oktober 2001 die Bezirksregierung Düsseldorf unter dem Regierungspräsidenten Jürgen Büssow (SPD) sechsundfünfzig Internet-Provider, über ihre Zugänge unzulässige Inhalte zu verbreiten. 

 

Dabei wurde den genannten Providern mit einem Bußgeld von bis zu einer Millionen DM oder einem gerichtlichen Verfahren gedroht, sollten sie der Aufforderung nicht nachkommen und die beanstandeten Seiten weiter verbreiten. Zwölf der betroffenen Provider kamen der Aufforderung umgehend nach, andere klagten dagegen. 

 


 

Gesperrt wurden schließlich drei Webseiten mit rechtsextremem Inhalt wie auch die Schockerseite rotten.com, die sich unter anderem mit der Darstellung von Terrorismus, brutalen Morden, Suiziden, Grausamkeit oder Vergewaltigung befasste.

 

Da rotten.com nach Protesten von der Sperrung ausgenommen worden und die rechtsextreme Seite Front14 zwischenzeitlich vom Netz gegangen war, blieben letzten Endes nur das Internetforum Stormfront und die Website der NSDAP-Aufbauorganisation des US-amerikanischen Neonazis und Holocaustleugners Gary L. als von der Verfügung betroffene übrig.

 

Im Juni 2005 bestätigte das zuständige Oberverwaltungsgericht die Netzsperre als rechtmäßig. Eine spätere Analyse offenbarte, dass sämtliche Provider einerseits mehr Inhalte sperrten als vorgeschrieben und andererseits viele die zu sperrenden Inhalte nicht vollständig blockierten. 

 

Dabei kann man die Sperren aus technischen Gründen allenfalls als symbolisch betrachten: Für interessiere Internetnutzer sind sie einfach zu umgehen. Weitergehende Sperren sind nur unter erheblichen Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis möglich, und wären ebenfalls niemals vollständig. Andererseits können Sperrverfügungen erst recht Aufmerksamkeit auf zu sperrende Inhalte lenken, damit also kontraproduktiv sein.

 

Da die Bezirksregierung Düsseldorf die Sperrverfügungen bislang nicht zurückgenommen hat, dauern die Netzsperren im Grunde bis heute an. Die beiden gesperrten Webseiten sind hingegen mittlerweile aus dem Netz der deutschen Telekom wieder erreichbar.

 

 

Der Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien und Chef der Staatskanzlei hat die Kleine Anfrage 5555 mit Schreiben vom 13. März 2017 namens der Landesregierung beantwortet.

 

 

Vorbemerkung der Landesregierung

 

Die Zuständigkeit für die relevanten Sperrungsverfügungen liegt bei der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM). Die Landesregierung übt wegen der verfassungsrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit nur eine beschränkte staatliche Rechtsaufsicht über die LfM aus und darf auf keinen Fall unmittelbar gegenüber privaten Medienunternehmen aufsichtsrechtlich eingreifen (Vgl. BVerfG, Urteil vom 28.02.1961 -
2 BvG 1/60 u.a. = BeckRS 1961, 00387). Hierauf ist auch bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage besondere Rücksicht zu nehmen. Aus diesem Grund wurde die LfM um Stellungnahme gebeten.

 

 

1.      Welche der genannten Sperrungen sind immer noch in Kraft? Nennen Sie betroffene Provider und gesperrte Webseiten.

 

Die LfM teilte hierzu mit:

 

Im Februar 2002 hatte die Bezirksregierung Düsseldorf als damals noch zuständige Aufsichtsbehörde für Nordrhein-Westfalen 76 nordrhein-westfälischen Access-Providern aufgegeben, die beiden rechtsextremistischen Internetseiten „nazi-lauck-nsdapao“ und „stormfront“ zu sperren. Hierbei ergingen 26 Sperrungsverfügungen gegenüber Hochschulen. Die Hälfte der angeschriebenen Provider (davon 13 Hochschulen) sperrte daraufhin die beiden Angebote. Alle anderen erhoben Widerspruch gegen die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung, welche von der Bezirksregierung als unbegründet zurückgewiesen wurden. Gegenüber den 14 daraufhin klagenden Providern (wovon es sich bei vieren um Hochschulen handelte) ordnete die Bezirksregierung Düsseldorf im Oktober 2002 die sofortige Vollziehung ihrer Sperrungsverfügungen an. Damit sollte verhindert werden, dass die Anbieter die strafbaren Websites bis zum rechtskräftigen Abschluss der Gerichtsverfahren weiterverbreiten. Die betroffenen Provider beantragten daraufhin bei den jeweils zuständigen Verwaltungsgerichten einstweiligen Rechtsschutz. Das Oberverwaltungsgericht Münster - in den Eilverfahren die letzte Gerichtsinstanz - entschied im März 2003, dass die beiden rechtsextremistischen Seiten von den Access-Providern vorerst gesperrt bleiben bzw. werden müssen.

 

Im April 2003 trat der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in Kraft, wonach die Zuständigkeit hinsichtlich der Sperrungsverfügungen rückwirkend auf die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) übergegangen ist. Demnach führte seither die LfM die Klageverfahren weiter.

 

Insgesamt wurden 5 Klagen seitens der Provider (davon 2 Hochschulen) im Laufe des Verfahrens zurückgenommen, sodass die Klageverfahren eingestellt wurden. 6 Klagen wurden vom jeweils zuständigen Verwaltungsgericht als unbegründet abgewiesen. 2 Sperrungsverfügungen wurden durch die Verwaltungsgerichte aufgehoben, eine Sperrungsverfügung hatte aufgrund der Verlegung des Geschäftssitzes in ein anderes Bundesland ihre Rechtswirkung verloren. In einem Fall konnte der Abschluss des Gerichtsverfahrens nicht mehr festgestellt werden.

 

Die LfM teilte außerdem mit, dass die Sperrungsverfügungen nach wie vor gegenüber 34 Providern (davon 26 Hochschulen) Geltung besitzen.

 

Weiterführende Angaben kann die Landesregierung mit Blick auf die Wahrung der verfassungsrechtlich geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Unternehmen nicht erteilen. Die Provider haben ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung. Bei einer Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der betroffenen Unternehmen und dem Veröffentlichungsinteresse fällt zugunsten der betroffenen Unternehmen vor allem ins Gewicht, dass eine Veröffentlichung der Providernamen im Zusammenhang mit den rechtsextremistischen Internetseiten geeignet ist, die Provider in ihrem öffentlichen Ansehen erheblich zu beeinträchtigen und möglicherweise auch ihre geschäftliche Tätigkeit zu erschweren. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die betroffenen Unternehmen lediglich als Zugangsanbieter in Anspruch genommen wurden und nicht selbst Inhalte-Anbieter der rechtsextremistischen Internetseiten gewesen sind. Demgegenüber wiegt das Interesse an der Namensnennung als eher gering (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. 3. 2006 - 1 BvR 2087/03 u.a. = NVwZ 2006, 1041).

 

 

2.      Wurde die einmal erlassenen Maßnahmen anschließend jemals überprüft? Stellen Sie eventuell den formellen Ablauf der Überprüfung an jeder der gegebenen einzelnen Blockaden dar.

 

Die LfM teilte hierzu mit:

 

Nachdem die jeweiligen Sperrungsverfügungen rechtskräftig geworden waren, wurden die Provider durch die Bezirksregierung Düsseldorf aufgefordert, einen Test-Account bereitzustellen. Anhand dessen wurde überprüft, ob die Internet-Seiten www.nazi-lauck-nsdapao.com und www.stormfront.org durch die Provider tatsächlich gesperrt worden sind. Die Überprüfung erfolgte durch NSLookup mittels Domain-Name-System.

 

Weitere Überprüfungen erfolgten nicht.

 

 

3.      Sind diese Sperrungen nach Ansicht der Landesregierung angemessen? Gehen Sie auch auf die technisch leicht mögliche Umgehung ein, inwieweit solche symbolischen Sperren wirksam sein können, sowie auf die Risiken von Overblocking und eventuellen Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis.

 

Die LfM teilte hierzu mit:

 

Die Bezirksregierung Düsseldorf hatte seinerzeit u. a. argumentiert, dass der Zumutbarkeit einer Sperrung nicht ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Effektivität entgegenstehe. Die Inhalte-Anbieter der beiden rechtsextremen Angebote konnten selbst nicht in Anspruch genommen werden, da ihre Seiten in den USA gehostet wurden. Daher sah sich die Bezirksregierung Düsseldorf gezwungen, diejenigen Anbieter mit Verfügungen zu belegen, derer sie habhaft werden konnte. Sie hatte argumentiert, dass bei der DNS-Sperrung nicht von einem erheblichen Eingriff in die technische Infrastruktur des Providers ausgegangen werden könne, da für die Sperrung bspw. nach der DNS-Methode lediglich ein geringer Personal- und keinerlei Sachaufwand erforderlich sei. Dieser geringe Aufwand bewirke eine deutliche Erschwerung des Zugangs zu den verbotenen Angeboten für den durchschnittlichen Internetnutzer mit einfachen technischen Kenntnissen.

Die Problematik des sog. Overblockings, die sich nicht im Zusammenhang mit der DNS-Sperrmethode, jedoch z. B. mit der IP-Sperrmethode stellt, wurde seinerzeit weder von der Bezirksregierung Düsseldorf noch von den Gerichten diskutiert.

Zum damaligen Zeitpunkt war zumindest fraglich, ob zur Gefahrenabwehr andere Möglichkeiten offenstanden. Auch dürfte der durchschnittliche Internetnutzer weniger versiert gewesen sein als er es heute, fast 15 Jahre später, ist.

Mehrere Gerichte, zuletzt das OVG Münster, haben sich mit der Argumentation der Bezirksregierung Düsseldorf juristisch auseinandergesetzt und die Angemessenheit der Maßnahme grundsätzlich bestätigt.

 

Aufgrund der beschränkten Rechtsaufsicht über die LfM hat sich die Landesregierung mit eigenen rechtlichen Bewertungen zurückzuhalten. Der Landesregierung liegen keine Anhaltspunkte vor, die ein rechtsaufsichtliches Einschreiten gegenüber der LfM erforderlich machen würden.

 

 

4.      Inwieweit ist nach Ansicht der Landesregierung womöglich ein gegenteiligen Effekt erzielt worden, der durch die Sperrung der Seiten ihre Bekanntheit und das Interesse daran gesteigert hat (sog. Streisand-Effekt)?

 

Die LfM teilte hierzu mit:

 

Ob ein gegenteiliger Effekt durch die Sperrungsverfügungen erlangt wurde, kann mangels Vorliegen entsprechender Erhebungsdaten nicht festgestellt werden. Selbst wenn es während der laufenden Verfahren häufigere Aufrufe der beiden inkriminierten Seiten gegeben haben sollte, stellt sich die Frage, ob allein aus diesem Grund solche Maßnahmen nicht ergriffen werden sollten. Vielmehr muss dieses Phänomen, das häufig dann virulent wird, wenn inkriminierte Inhalte öffentlich auf den Prüfstand gestellt werden, zur Abwehr der von ihnen ausgehenden Gefahren in bestimmten Fällen in Kauf genommen werden.

 

Aufgrund der beschränkten Rechtsaufsicht über die LfM hat sich die Landesregierung mit eigenen rechtlichen Bewertungen zurückzuhalten. Der Landesregierung liegen keine Anhaltspunkte vor, die ein rechtsaufsichtliches Einschreiten gegenüber der LfM erforderlich machen würden.

 

 

5.      Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung darüber vor, wie sich Besucherzahlen bzw. Verbreitung der gesperrten sechsundfünfzig Seiten vor und nach der (versuchten) Blockade entwickelt haben?

 

Die LfM teilte mit, dass eine solche Erhebung nicht stattgefunden hat. Der Landesregierung liegen daher keine Erkenntnisse vor.


< Zurück zum Blog
Das Dokument als PDF abrufen: Hier klicken!