LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
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Drucksache 16/12235 |
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13.06.2016 |
Antwort
der Landesregierung
auf die Kleine Anfrage 4742 vom 4. Mai 2016
der Abgeordneten Daniel Schwerd FRAKTIONSLOS
und Hanns-Jörg Rohwedder PIRATEN
Giftmülltourismus nach NRW: Werden Gefahren durch giftige Bohrschlämme in der Deponie Hünxe-Schermbeck unterschätzt?
Wortlaut der Kleinen Anfrage
„An dünnen unmerkbaren Seilen hängen oft fürchterliche Gewichte“.
Friedrich Schiller
Seit Jahrzehnten wird in Niedersachsen nach Öl und Gas gebohrt. Dabei fallen auch viele Tonnen Bohrschlamm an, die mit gefährlichen Rückständen wie den Schwermetallen Quecksilber und Arsen sowie mit radioaktiven Stoffen wie Radium 226 verseucht sind.
Die Schlämme wurden jahrzehntelang in Schlammdeponien gesammelt, die dort das Grundwasser und den Boden belasteten. Allein bei der Sanierung von drei Bohrschlammgruben in Niedersachsen in den vergangenen zehn Jahren fielen rund 720.000 Tonnen Giftmüll an.
Zukünftig soll giftiger Bohrschlamm in Nordrhein-Westfalen nicht nur in Hürth-Knapsack und in Altenberge, sondern auch in Hünxe-Schermbeck entsorgt werden. Die Rede ist von 200.000 Tonnen aus der niedersächsischen Öl- und Gasindustrie, die in Hünxe-Schermbeck deponiert werden sollen.
Die in der Nähe lebenden Bürger und Gemeinden sind besorgt über unterschätzte Gefahren, welche von der Deponie ausgehen können.
Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4742 mit Schreiben vom 10. Juni 2016 namens der Landesregierung beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Wie im Bericht der Landesregierung vom 6. April 2016 zu Top 6 „Aktueller Sachstand zur Entsorgung von Bohrschlämmen in NRW“ der Sitzung des Ausschusses für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Landtags-Vorlage 16/3840) dargelegt, findet im Zeitraum 2016/2017 der Rückbau der Bohrschlammgrube „Erika“ (Gemeinde Geeste, Niedersachsen) statt. Im Zuge der Sanierung dieser Bohrschlammgrube werden die dortigen Bohrschlämme sowie Teile des umgebenden Erdreichs abgegraben, chemisch analysiert und je nach Belastung auf verschiedenen Deponien entsorgt. Da Niedersachsen seit 2005 über keine öffentlich zugängliche Sonderabfalldeponie der Klasse DK III mehr verfügt, sollen die Rückbauabfälle, die auf einer Sonderabfalldeponie zu entsorgen sind, das sind bei der Bohrschlammgrube „Erika“ ölhaltige Bohrschlämme (Abfallschlüssel 01 05 05*) sowie verunreinigtes Bodenmaterial und verunreinigter Bauschutt (Abfallschlüssel 17 05 03*) auf der Sonderabfalldeponie (DK III) in Hünxe-Schermbeck, Kreis Wesel der AGR (Abfallentsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet GmbH) beseitigt werden. Die Sonderabfalldeponie Hünxe/Schermbeck erfüllt alle technischen Anforderungen, die die Deponieverordnung an die sichere Entsorgung solcher Abfälle stellt.
Für die Entsorgung der mit Öl verunreinigten Bohrschlämme und Böden, die auf einer Deponie der Klasse DK III entsorgt werden müssen, liegen die entsprechenden Genehmigungen vor. Die Abfälle unterliegen – als gefährliche Abfälle – besonderen abfallrechtlichen Nachweispflichten. Zur Gewährleistung einer umweltverträglichen und allgemeinwohlverträglichen Entsorgung wird die Zulässigkeit des geplanten Entsorgungsweges vor der Durchführung im Rahmen des Entsorgungsnachweisverfahrens geprüft. Hierzu gehören auch chemische Abfallanalysen, sog. Deklarationsanalysen. Bei der Annahme der Abfälle auf der Deponie werden weitere Proben stichprobenartig entnommen und durch den Deponiebetreiber untersucht.
Die zur Entsorgung vorgesehenen ölhaltigen Bohrschlämme und der verunreinigte Boden/verunreinigter Bauschutt erfüllen in vollem Umfang die Anforderungen der Deponieverordnung für Deponien der Klasse DK III.
Zudem wurden behördlicherseits zusätzliche chemische Analysen veranlasst, sowohl im Hinblick auf Schwermetalle als auch in Bezug auf eine mögliche radiologische Belastung. Die Laborergebnisse sollen Ende Mai 2016 vorliegen und werden dann dem Landtag (AKUNLV) berichtet.
Um eine möglichst große, über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehende Transparenz herzustellen, veröffentlicht die Bezirksregierung Düsseldorf die Abfallanlieferungen aus der Sanierung der Bohrschlammgrube Erika zur Sonderabfalldeponie Hünxe/Schermbeck auf ihrer Internetseite (http://www.brd.nrw.de/umweltschutz/abfallwirtschaft/bausteine/MTT_Fortsetzung_Bohrschlaemme-Deponie-Huenxe.html) in tabellarischer Form. Mit Stand 13.05.2016 wurden im Zeitraum vom 29.03. 2016 bis 09.05.2015 insgesamt 36.573 Tonnen ölhaltige Bohrschlämme (Abfallschlüssel 01 05 05*) sowie 32.573 Tonnen ölverunreinigte Böden (Abfallschlüssel 17 05 03*) beseitigt.
1. Wann genau sowie aus welchen Gründen hat das Umweltministerium NRW die Anlieferung des Bohrschlamms in Hünxe-Schermbeck gestoppt?
Da die Entsorgung der Abfälle aus der Bohrschlammgrube Erika zur Sonderabfalldeponie Hünxe-Schermbeck zuvor ordnungsgemäß genehmigt wurde, die Deponie dafür zugelassen und geeignet ist und es auch sonst keine Beanstandungen gab, besteht rechtlich keine Möglichkeit, die Anlieferung zu stoppen. Aufgrund der öffentlichen Diskussion wurde aber auf Initiative des MKULNV mit den beteiligten Unternehmen – der Firma ENGIE E&P Deutschland GmbH sowie der AGR GmbH und der Arbeitsgemeinschaft der Firmen REMONDIS/Küppers, die im Auftrag von ENGIE die Entsorgung durchführen – am 03.05.2016 eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet (siehe Landtags-Vorlage 16/3916). Hierin erklären sich die Unternehmen bereit, durch entsprechende Maßnahmen auf der „Baustelle“ Erika dafür zu sorgen, die zur Deponierung in Hünxe/Schermbeck geplante Menge für einen Zeitraum von vier Wochen um bis zu 25 % zu reduzieren. Die Unterzeichner der Vereinbarung haben sich weiterhin dazu bereit erklärt, durch erweiterte Untersuchungen zu erreichen, dass Abfälle, die nicht auf einer Deponie der Klasse DK III entsorgt werden müssen, identifiziert und in geeigneten Anlagen außerhalb von Nordrhein-Westfalen entsorgt werden. Nach jetzigem Stand ist davon auszugehen, dass dadurch die nach Nordrhein-Westfalen zu verbringende Menge auf ca. 150.000 bis 160.000 Tonnen reduziert werden kann.
Darüber hinaus haben Vertreter des niedersächsischen Umweltministeriums erklärt, dass außer den Abfällen aus dem Rückbau der Bohrschlammgrube Erika, zumindest bis Ende 2016 keine weiteren Bohrschlämme zur Entsorgung nach Nordrhein-Westfalen verbracht werden.
2. Wie groß sind die restlichen Kapazitäten der Klasse-3-Deponien in Nordrhein-Westfalen – bitte Einzelauflistung!
In Nordrhein-Westfalen werden acht Deponien der Deponieklasse III, so genannte Sonderabfalldeponien, betrieben. Bei zwei Sonderabfalldeponien handelt es sich um Werksdeponien, die ausschließlich zur Entsorgung von Abfällen aus dem eigenen Unternehmen bzw. Konzern genutzt werden (Werksdeponie Halde III, Klärschlammhochdeponie Oberbruch). Hinzu kommen drei Deponien, die über Abschnitte der Deponieklasse III verfügen (Zentraldeponie Emscherbruch, Deponie Dortmund-Nordost, Zentrale Reststoffdeponie des Hochsauerlandkreises).
Die Sonderabfalldeponien und die DK III-Abschnitte der drei oben genannten Deponien haben ein Restvolumen von insgesamt rund 19 Millionen Kubikmetern. Angaben zu den Restvolumina der einzelnen Deponien sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen, soweit die Betreiber einer Veröffentlichung zugestimmt haben.
Lfd. Nr. |
Deponie |
Betreiber |
Standort |
Restvolumen |
m3 |
||||
1 |
Werksdeponie Halde III |
Huntsman P&A Germany
GmbH |
Duisburg |
35.021 |
2 |
Sonderabfalldeponie |
Currenta GmbH & Co. OHG |
Dormagen |
977.143 |
3 |
Deponie Eyller-Berg |
Eyller-Berg Abfallbeseitigungs GmbH |
Kamp-Lintfort |
|
4 |
SAD Hünxe-Schermbeck |
AGR Abfallentsorgungs-Gesellschaft Ruhrgebiet mbH |
Hünxe |
123.000 |
5 |
SAD Leverkusen-Bürrig |
Currenta GmbH & Co. OHG |
Leverkusen |
7.771.790 |
6 |
SAD Knapsack |
REMONDIS Industrieservice GmbH |
Hürth |
|
7 |
Klärschlammhochdeponie |
NUON Energie und Service GmbH |
Heinsberg |
34.938 |
8 |
Sonderabfalldeponie |
MINERALplus GmbH |
Troisdorf |
204.157 |
Deponien mit DK III-Abschnitten |
|
|||
1 |
Zentraldeponie |
AGR Abfallentsorgungs-Gesellschaft Ruhrgebiet mbH |
Gelsenkirchen |
2.633.206 |
2 |
Deponie Dortmund Nord-Ost |
EDG Entsorgung Dortmund GmbH |
Dortmund |
|
3 |
Zentrale Reststoffdeponie |
AHSK
Abfallentsorgungsbetrieb |
Meschede |
2.889.076 |
Drei Betreiber haben einer Veröffentlichung der derzeitigen und zukünftigen Restkapazitäten ihrer Deponien widersprochen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass sie diese Daten als Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnisse betrachten. Die Frage, ob es sich bei der Restkapazität einer Deponie um ein Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnis handelt, lässt sich nicht pauschal beantworten. Zur Klärung wäre eine Prüfung des jeweiligen Einzelfalls ggf. mit anschließendem verwaltungsgerichtlichen Verfahren erforderlich. Da dies einen unverhältnismäßig langen Zeitraum in Anspruch nehmen würde, werden die Restvolumina der Deponien, deren Betreiber einer Veröffentlichung nicht zugestimmt haben, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in vertraulicher Form zur Verfügung gestellt.
3. Auf der letzten Sitzung des Umweltausschusses von Hünxe berichteten Jäger, dass in der Umgebung der Deponie geschossenes Wild auffällig oft Tumore aufweist, vor allem in der Leber. In welcher Form wird solchen und vergleichbaren Hinweisen auf eine möglicherweise unzureichende Abschirmung der Deponie nachgegangen? Nennen Sie ggf. ermittelte Ergebnisse der Nachforschungen.
Die Bezirksregierung Düsseldorf hat hierzu berichtet, dass ihr keine Anhaltspunkte zu Tumoren bei Wildtieren vorliegen. Nach Auskunft von Jagdberechtigten wird aus diesem Gebiet das geschossene junge und mittelalte Wild selbst verwertet, nur selten werden alte Tiere an den Zerlegebetrieb abgegeben. Zur Trichinenschau müssen zudem Teile des erlegten Wildes dem Kreisveterinär vorgelegt werden. Nach Auskunft des Kreises Wesel hat der Kreisveterinär mitgeteilt, dass er von einer auffällig hohen Anzahl von Tumoren, vor allem in der Leber, keinerlei Kenntnisse hat.
4. Welche weiteren Hinweise auf mögliche Umweltgefährdung liegen der Landesregierung noch vor? Nennen Sie auch den Zeitpunkt der Kenntnisnahme.
Es gibt keine Hinweise auf mögliche Umweltgefährdungen im Zusammenhang mit der Deponie Hünxe. Die Deponie Hünxe wird gemäß den gesetzlichen Vorgaben nach dem Stand der Technik und mit allen erforderlichen Sicherungsmaßnahmen betrieben, so dass nicht davon auszugehen ist, dass durch die Deponie Umweltgefährdungen erfolgen.
5. Bei der Bohrschlammentsorgung treten bekannte Messprobleme auf. Die Belastung des Materials kann von Fuhre zu Fuhre stark schwanken, die Konzentration von Quecksilber ist am Boden der Fuhre höher durch unterschiedliche spezifische Gewichte etc. Wie wird mit diesen Problemen konkret umgegangen, um die bei der Bohrschlammentsorgung ausgehende Gefährdung möglichst zutreffend zu beurteilen?
In Bohrschlämmen sind, wie in vielen anderen Abfällen, die Schadstoffe inhomogen verteilt. Eine Anreicherung von Quecksilber im unteren Bereich einer LKW-Fuhre ist jedoch nur dann gegeben, wenn das Quecksilber in elementarer Form vorliegt. Dies ist bei den Bohrschlämmen nicht der Fall. Das Quecksilber liegt als Quecksilberverbindung vor. Die Quecksilberverbindungen sind an der Oberfläche des tonigen Grundmaterials adsorbiert. Dennoch ist bei den Bohrschlämmen mit Inhomogenität zu rechnen.
Wegen der Inhomogenität bei Abfällen stellen alle Teilschritte der Untersuchung, die Probenahme, die Probenvorbehandlung, die Probenvorbereitung und die Analytik sowie die Interpretation der Messergebnisse besondere Anforderungen an den Probenehmer und die Untersuchungslabore. Die analytischen Untersuchungen haben das Ziel, den Schadstoffgehalt der zu charakterisierenden Grundmenge hinreichend genau qualitativ zu ermitteln. Da nicht die gesamte Grundmenge untersucht werden kann, bedient man sich der Probenahme die, vereinfacht gesagt, nur eine einfache Massenreduktion ist. Dabei haben die Probenahme und die nachfolgenden Schritte so zu erfolgen, dass sich das in der Ausgangsmasse enthaltene Schadstoffpotential möglichst unverändert in der Analysenprobe wiederspiegelt. Man spricht von einer abfallcharakterisierenden Probenahme.
Hierfür wurden Mindestanforderungen (Regelvorgaben) an die Art und Weise der Probenahme festgelegt, die dem Ziel dienen, gesicherte Aussagen über tatsächliche Schadstoffgehalte in Abfällen zu erhalten. Diese Anforderungen sind im Merkblatt 32 (Richtlinie für das Vorgehen bei physikalischen, chemischen und biologischen Untersuchungen im Zusammenhang mit der Verwertung/Beseitigung von Abfällen (PN98)) der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall, kurz PN 98 genannt, beschrieben.
Im konkreten Fall der Probenahme von Bohrschlämmen auf der Deponie Hünxe durch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) wurde analog der PN 98 verfahren. Bei der unangemeldeten Probenahme wurden innerhalb von drei Stunden stichprobenartig vier LKWs mit Bohrschlämmen aus Niedersachsen beprobt. Die LKW-Ladungen wurden nach getrennter Ablagerung einzeln beprobt. Hierzu wurden verteilt über den gesamten Schüttkörper rasterartig 32 bis 36 Einzelproben genommen und zu einer Mischprobe vereint. Die Mischproben werden zurzeit im LANUV untersucht.