LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
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Drucksache 16/1196 |
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25.10.2012 |
Antwort
der Landesregierung
auf die Kleine Anfrage 498 vom 25. September 2012
des Abgeordneten Daniel Schwerd PIRATEN
Transparenz und demokratische Verfahren bei den Industrie- und Handelskammern
Der Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk hat die Kleine Anfrage 498 mit Schreiben vom 24. Oktober 2012 namens der Landesregierung beantwortet.
Vorbemerkung der Kleinen Anfrage
Die Industrie- und Handelskammern (IHK’n) sind Körperschaften öffentlichen Rechts und Ausdruck der Selbstverwaltung der Wirtschaft. Die Mitgliedschaft ist nicht freiwillig: Aufgrund eines Bundesgesetzes müssen alle Unternehmen und Gewerbetreibenden – mit Ausnahme von Handwerkern, Bauern und nicht im Handelsregister eingetragenen Freiberuflern – einer IHK angehören. Mit dieser Pflichtmitgliedschaft sind entsprechende finanzielle Pflichtbeiträge verbundenen.
Sowohl an den internen Willensbildungsprozessen der IHK’n als auch an der Verwendung der von ihnen eingezogenen Beiträge hat sich immer wieder Kritik entzündet. Die häufigsten Vorwürfe betreffen undurchsichtige Strukturen, eine undemokratische Selbstverwaltung und angebliche Misswirtschaft bei den IHK’n (vgl. bspw. brand eins, Heft 09/2012: „Die Gralshüter“):
· So veröffentlichen die 16 IHK’n in NRW bis heute nicht die Gehälter ihrer Vorstände. Andere Körperschaften öffentlichen Rechts gehen mit solchen Informationen wesentlich transparenter um: Die meisten Krankenkassen und Rundfunkanstalten publizieren die Gehälter ihrer Führung, zumeist sogar individualisiert.
· Oberstes Gremium der IHK’n sind die Vollversammlungen. Viele IHK’n weisen jedoch ein proportionales Wahlsystem auf, bei dem die Anzahl der Stimmen unter anderem von Mitarbeiterzahl und Umsatz eines Unternehmens abhängt. Dies, so der Vorwurf, benachteilige kleinere Unternehmen gegenüber Großunternehmen, die in den IHK’n zugleich die Mitglieder mit den höchsten Beitragszahlungen darstellen.
· Oftmals tun sich IHK’n lautstark mit politischen Forderungen hervor. Kritiker bemängeln, dass solche Initiativen mit den Mitgliedern nicht ausreichend abgestimmt würden.
Die bundesgesetzliche Fixierung der Pflichtmitgliedschaft bei den IHK‘n und der Umstand, dass die IHK‘n verschiedene hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, weisen auf die große öffentliche Bedeutung des Themas hin. Wer jedoch öffentliche Aufgaben wahrnimmt, muss sich dem Anspruch der Öffentlichkeit stellen, sowohl Klarheit über die Verwendung eingezogener Pflichtbeiträge herzustellen, als auch die interne Willensbildung durch transparente und faire demokratische Verfahren nachvollziehbar zu machen.
1. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass bezüglich der internen Willensbildungsprozesse, Vorstandsgehälter bzw. Boni sowie Bilanzierung der wirtschaftlichen Tätigkeit der IHK‘n in NRW die Prinzipien Demokratie und Transparenz in der derzeitigen Praxis in politisch wünschenswertem Maße verwirklicht sind?
Die Landesregierung beabsichtigt, die Weiterentwicklung der Selbstverwaltung der Wirtschaft im Dialog mit den Selbstverwaltungs-organen, insbesondere dem die Kammern tragenden Ehrenamt, zu begleiten und zu unterstützen. Gegebenenfalls ist dabei zu prüfen, ob Prozesse durch gesetzliche Maßnahmen optimiert oder gefördert werden können. Grundsätzlich soll aber ehrenamtliches Engagement nicht durch ein überbordendes Regelwerk erschwert oder abgeschreckt werden. Nach dem Verständnis der Landesregierung können Selbstverwaltung und Eigenverantwortung auch nicht durch gesetzliche Maßnahmen erzwungen, sondern müssen täglich in den Kammern gelebt werden. Nur so kann die notwendige Akzeptanz der Selbstverwaltung mit Pflichtmitgliedschaft auf Dauer erhalten bleiben.
Die Kammern sind bereits an umfangreiche gesetzliche und satzungsrechtliche Vorgaben gebunden, die auch die Prinzipien der Demokratie und Transparenz umfassen. Die Landesregierung erkennt darüber hinaus an, dass die Kammern in Sachen Transparenz in den letzten 10 Jahren deutlich vorangekommen sind. Die Öffentlichkeit der Wahlauszählungen und die Veröffentlichung von Wahlergebnissen im Internet, die Einführung des kaufmännischen Rechnungswesens und die Veröffentlichung von Jahresabschlüssen, die Mitgliederöffentlichkeit der Vollversammlungssitzungen, das breitgefächerte Informations-angebot im Internet und eine insgesamt verbesserte Kundenorientierung sind Beispiele dafür.
2. Welche Möglichkeiten kommen für die Landesregierung – speziell in juristischer Hinsicht, aber auch in jeder weiteren Hinsicht – grundsätzlich in Betracht, um die IHK’n in NRW auf dem Weg der Landesgesetzgebung zu größerer Transparenz, bspw. hinsichtlich der Offenlegung von Vorstandsgehältern zu verpflichten?
Siehe Antwort zu Frage 1.
3. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung in der aktuellen Legislaturperiode ergreifen, um den Grad an Demokratie und Transparenz bei den IHK‘n in NRW und/oder bundesweit zu erhöhen? Bitte listen Sie begonnene sowie geplante Maßnahmen auf, und nennen sie deren Beginn und Ende.
Siehe Antwort zu Frage 1.
4. Wie bewertet die Landesregierung die Sorge, dass in den IHK’n die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber denen von Großunternehmen unterrepräsentiert sein könnten?
Die Landesregierung teilt diese Sorge nicht. Die Berücksichtigung der Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen ist bei den IHK´n auf allen Ebenen gesetzlich angelegt. Durch § 1 IHKG ist festgelegt, dass die IHK´n nicht nur die Aufgabe haben, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, sondern auch für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Dies umfasst gerade auch die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen.
Über die Angelegenheiten der IHK beschließt, soweit nicht die Satzung etwas anderes bestimmt, gemäß § 4 IHKG die Vollversammlung. Besonders wichtige Bereiche, wie die Satzung oder die Wahl-, Beitrags-, Sonderbeitrags- und Gebührenordnung, unterliegen sogar der ausschließlichen Beschlussfassung durch die Vollversammlung. Die Mitglieder der Vollversammlung werden von den Kammerzugehörigen gewählt. Dabei besitzt grundsätzlich jeder Kammerzugehörige sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht und kann so seine Interessen im Rahmen der Bildung des obersten Organs in die Organisationsstruktur und damit die Ausrichtung der IHK einbringen. Zudem haben die Stimmen aller Kammerzugehörigen, unabhängig davon, wie gewichtig das einzelne Unternehmen ist, den gleichen Zählwert (jeder hat eine Stimme). Innerhalb der zu bildenden besonderen Wahlgruppen (siehe § 5 Abs. 3 IHKG) haben die Stimmen auch denselben Erfolgswert (jede Stimme zählt gleich viel).
Da jeder Kammerzugehöriger Mitglied der Vollversammlung werden kann, kann auch jeder Kammerzugehöriger Mitglied des Präsidiums werden (vgl. § 6 IHKG).
Weiterhin besteht für die kleinen und mittleren Unternehmen wie auch für die übrigen Unternehmen die Möglichkeit, in Ausschüssen tätig zu werden und so durch ihre beratende und vorbereitende Funktion an der Arbeit der Kammerorgane mitzuwirken.
5. Hält die Landesregierung den Zwangscharakter der IHK-Mitgliedschaft für politisch und gesellschaftlich geboten oder ist sie der Auffassung, dass auch Verbände mit freiwilliger Mitgliedschaft die bisherigen Aufgaben der IHK‘n erfüllen könnten? Bitte begründen Sie Ihre Auffassung.
Ein wesentlicher Gedanke des Gesetzgebers zur Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft war, dass Verbände mit freiwilliger Mitgliedschaft naturgemäß viel mehr dem Verdacht ausgesetzt sind, dass dort die größten Beitragszahler die Verbandspolitik bestimmen. Eine abwägende Interessensvertretung der Gewerbetreibenden einer Region schien so nicht möglich zu sein. Die Landesregierung ist der Auffassung, dass dies unverändert gilt. Die Kammern haben ihrerseits bewiesen, dass sie ein wichtiges Element des wirtschaftlichen Lebens sind und wichtige Aufgaben im gesamtwirtschaftlichen Interesse übernehmen können.