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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/10190

 

11.11.2015

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 3951 vom 12. Oktober 2015

des Abgeordneten Daniel Schwerd (fraktionslos)

Drucksache 16/9965

 

 

Brandstiftung aus „Angst vor Flüchtlingen“? Erleben wir neben den physischen auch noch eine geistige Brandstiftung in NRW?

 

 

Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3951 mit Schreiben vom 9. Oktober 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet.

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

"Leicht wird ein kleines Feuer ausgetreten, das - erst geduldet - Flüsse nicht mehr löschen.“ - William Shakespeare

 

Polizei und Staatsanwaltschaft haben nach der Brandstiftung in einer Flüchtlingsunterkunft in Altena am 03.10.2015, bei der sieben syrische Menschen vor den Flammen fliehen mussten, zwei mutmaßliche Täter im Alter von 23 und 25 Jahren ermittelt.  Nachdem die Verdachtsmomente sich verdichtet hatten, wurden die beiden Beschuldigten am 08.10.2015 vorläufig festgenommen und vernommen, sie legten ein Geständnis ab. Das Tatmotiv sei in der „Verärgerung“ über den Einzug von Flüchtlingen in das Haus in direkter Nachbarschaft zu suchen, so berichtet es die Pressemitteilung der Polizei [1]. Da weiterführende Haftgründe nach Meinung der Behörden nicht vorlagen, wurden die jungen Männer wieder entlassen.

 

In einem Bericht der Westdeutsche Allgemeinen Zeitung (WAZ) [2] heißt es: „Die jungen Männer sollen aus "Angst vor Flüchtlingen" gehandelt haben. Sie wollten nicht, dass die sieben Syrer - darunter eine schwangere Frau - in dem Haus an der Brandstraße wohnen.“ Ein rechtsradikaler Hintergrund läge nicht vor, hätte die Polizei mitgeteilt, so stand es in dem Artikel eine Zeit lang zu lesen, dieser Satz wurde später gelöscht.

 

Die beiden Männer bleiben nach ihrer Vernehmung auf freiem Fuß, weil rechtlich kein Haftgrund vorläge, so berichtet es die WAZ. Nach Abschluss der Ermittlungen und Anklage der Staatsanwaltschaft müsse das Duo mit einem Gerichtsverfahren wegen vorsätzlicher Brandstiftung rechnen.

 

In dieser von den Behörden verwendeten Sprache kann man verharmlosende Begrifflichkeiten wahrnehmen, dessen Folgen fatal sein könnten. Es stellt sich die Frage, ob hier neben der physischen auch noch eine geistige Brandstiftung begangen wird. Fremdenfeindliche Taten müssen auch entsprechend bezeichnet werden.

 

 

1.    Hält die Landesregierung es für eine typische Reaktion auf Angst, wenn jemand daraufhin mit einem Benzinkanister in das Haus desjenigen eindringt, vor dem er „Angst hat“, um es anzuzünden?

 

Erkenntnisse aus der psychologischen Angstforschung liegen der Landesregierung nicht vor. Es stellt sich die Frage, was unter einer „typische[n] Reaktion“ verstanden wird. Wenn von einer „typische[n] Reaktion“ im Sinne einer regelmäßigen und von einem Großteil der von Angst betroffenen Bevölkerung zu erwartenden Reaktion ausgegangen wird, ist - nicht zuletzt auch angesichts der allgemeinen Lebenserfahrung - anzunehmen, dass die Begehung von Brandstiftungsdelikten keine „typische Reaktion“ darstellt.

 

 

2.    Warum verwenden die zuständigen Behörden die verharmlosende Begrifflichkeiten von „Angst vor Fremden“, bzw. von „Verärgerung“ und reden nicht, wie es zutreffend wäre, von „Hass auf Fremde“?

 

In der Pressemitteilung der Polizei Hagen heißt es: „Das Tatmotiv ist in der Verärgerung über den Einzug von Flüchtlingen in das Wohnobjekt in direkter Nachbarschaft zu suchen.“ Hierin ist lediglich eine Wiedergabe des Tatmotivs zu erkennen, wie es sich den Beamten in den Ermittlungen dargestellt hat. Die Aussage stellt insoweit keine Aussage dar, die durch die Polizei Hagen getätigt wurde beziehungsweise sich von dieser zu Eigen gemacht wurde.

 

Auch soweit in Presseberichten unter Berufung auf Mitteilungen der Staatsanwaltschaft Hagen ausgeführt worden ist, die Beschuldigten hätten „aus Angst vor Fremden“ und „Verärgerung“ gehandelt, handelt es sich um die Wiedergabe der Einlassung eines Beschuldigten, nicht um die Wertung der Staatsanwaltschaft.

 

 

3.    Inwieweit handelt es sich bei einer Tat aus Fremdenfeindlichkeit nicht um eine Tat mit rechtsradikalem Hintergrund? Gehen Sie darauf ein wann eine eindeutig fremdenfeindliche Tat rechtsradikal ist und wann nicht.

 

Die statistische Erfassung Politisch motivierter Kriminalität (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierter Kriminalität“.

Der PMK werden danach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie

·         den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten,

·         sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben,

·         durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,

·         gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.

 

Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.

 

Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet. Fremdenfeindlichkeit ist der Teil des Themenfeldes „Hasskriminalität“, der aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion und/oder Herkunft des Opfers verübt wird. Fremdenfeindliche Straftaten können insoweit dem Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität-Rechts (PMK-Rechts) zugeordnet werden, aber auch den Phänomenbereichen PMK-Ausländer oder PMK-Links. Soweit die Motivation nicht hinreichend feststeht, erfolgt eine Zuordnung der fremdenfeindlichen Straftat in dem Phänomenbereich Sonstige/nicht zuzuordnen.

 

 

4.    Welches sind die Gründe, warum die zuständigen Behörden eine Mord- oder Tötungsabsicht ausschließen, und offenbar nur wegen Brandstiftung anklagen?

 

Die Beantwortung erfolgt insoweit auf der Grundlage von Berichten der Leitenden Oberstaatsanwältin in Hagen und der Generalstaatsanwältin in Hamm:

 

Die Beschuldigten seien nach den bisherigen Ermittlungen eines Ver-brechens der schweren Brandstiftung gemäß § 306a des Strafgesetz-buches dringend verdächtig. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sie mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt haben könnten, bestünden bislang nicht. Einen entsprechenden Vorsatz hätten die Beschuldigten in Abrede gestellt. So habe sich der beschuldigte Feuerwehrmann insoweit dahin eingelassen, sie hätten „nicht gezielt Menschen schaden“ wollen und seien wohl „deshalb auch automatisch ganz nach oben gegangen“. Unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach allein aus einem gefährlichen Tun nicht auf das Vorliegen eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes geschlossen werden könne, sei diese Einlassung bislang nicht zu widerlegen. Nach den bisherigen - noch nicht abgeschlossenen - Ermittlungen sei die Vorgehensweise der Beschuldigten nicht auf eine maximale Brandentfaltung gerichtet gewesen und habe eine Fluchtmöglichkeit offengelassen. Zu berücksichtigen sei dabei insbesondere die räumliche Entfernung zwischen den bewohnten Räumlichkeiten in dem mehrstöckigen Haus und dem Dachboden als Ort der Brandlegung. Bei dem Tatobjekt handele es sich um ein konventionell gemauertes Haus, das aus Keller, Hochparterre, erstem und zweitem Obergeschoss sowie aus einem Spitzboden bestehe. Die Asylbewerber seien im Hochparterre des im Übrigen unbewohnten Hauses untergebracht gewesen. Das Feuer sei in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 2015 auf dem Spitz-boden gelegt worden und habe im weiteren Verlauf zu einem Schwel-brand geführt. Der dadurch hervorgerufene Brandgeruch sei Zeugen, die die Asylbewerber hätten betreuen wollen, am Mittag des 3. Oktober 2015 gegen 13.00 Uhr in dem Haus aufgefallen. Bei einer anschließenden Nachsuche hätten sie aufsteigenden Qualm im Spitzboden bemerkt. Sie hätten sodann die Bewohner des Hauses in der Nachbarschaft untergebracht und zeitgleich die Feuerwehr informiert, die den Schwelbrand kurzfristig habe löschen können.

 

 

5.    Welchen Einfluss hat ein derartig verharmlosender Umgang und verharmlosende Sprache der Behörden des Landes NRW auf eventuelle nachahmende Täter? Gehen Sie darauf ein, inwieweit sich Täter durch solch verharmlosenden Umgang zu weiteren Taten ermutigt fühlen könnten.

 

Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen.

 

Die nordrhein-westfälischen Behörden sind besonders wachsam gegenüber rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Tendenzen. Das Verwenden einer angemessenen und differenzierten Sprache stellt für nordrhein-westfälische Behörden eine grundlegende Eigenschaft dar.

 

 



[1] http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/30835/3143713

[2] http://www.derwesten.de/region/sauer-und-siegerland/zwei-festnahmen-nach-brandstiftung-in-fluechtlingshaus-in-altena-id11169922.html


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