Landeshaushalt 2017: Beleg der Selbstentleibung der Politik

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Heute wurde erstmals im Landtag über den Haushalt 2017 von Nordrhein-Westfalen debattiert. Mir hat man in der Debatte ganze fünf Minuten Redezeit eingeräumt. Hier ist der Redetext:

Jedes fünfte Kind in Nordrhein-Westfalen ist arm. Unser Land ist sogar besonderes Negativbeispiel, denn hier ist der Anteil armer Kinder in den letzten Jahren sogar gestiegen.

Armut ist ein Lebensurteil. Arme Kinder wachsen zu armen Erwachsenen heran, die dann wieder arme Kinder bekommen. Armut wird gewissermaßen vererbt. Die Durchlässigkeit ist wie auch bei der Bildung in unserem Land besonders gering.

Wir leisten uns eine beispiellose soziale Spaltung in unserem Land. Wir lassen zu, dass diese weiter wächst. Wir beobachten ein explosives Potential, das Jahr für Jahr anwächst.

Die Ursache dieser Spaltung, der Grund für die Endgültigkeit des Urteils, Arm zu sein, ist Hartz IV. Hartz IV ist staatlich verordnete Armut. Menschen in Hartz IV werden auf ein Lebensniveau gebracht weit unter dem, was gesellschaftliche Teilhabe und würdige Existenz ermöglichen würde. Ich brauche ihnen das doch nicht vorzurechnen.

Menschen sind gezwungen, prekäre Jobs ohne Zukunftsaussichten anzunehmen. Auch Arbeit schützt heute vor Armut nicht. Ein Heer von Aufstockern hat selbst mit Arbeit nicht genug. Und wer sein Leben lang gearbeitet hat, bekommt dann oft genug nur Rente unter Existenzminimum.

Auch das hat einen Grund: Die Aufkündigung der solidarischen Sozialversicherungssysteme. Junge, gesunde, gut verdienende Menschen können sich ausklinken, übrig bleiben nur tendenziell alte, kranke und geringer verdienende. Ich muss ihnen doch nicht vorrechnen, dass ein solidarisches System so nicht funktionieren kann.

In unserem reichen Land müsste niemand arm sein. Gesellschaftliches Vermögen ist genug da. Doch es ist ungerecht verteilt. Wir haben uns vom Solidargedanken in unserer Gesellschaft verabschiedet. Jeder ist sich selbst der nächste. Das nennt man Neoliberalismus. Dabei waren wir schon mal weiter. Wir hatten mal ein System, das nannte sich soziale Marktwirtschaft. Keiner soll sich über schleppende Binnenkonjunktur wundern, wenn die Gehälter schon seit Jahren real nicht mehr steigen.

Der hier vorgelegte Landeshaushalt 2017 ist Beleg der Selbstentleibung der Politik. Jahrelang wurde die Einnahmeseite des Staates beschnitten, indem Steuern insbesondere auf Vermögen und Unternehmensgewinne entfielen. Internationale Konzerne können die Kannibalisierung der Steuersysteme der verschiedenen Länder untereinander ausnutzen, und nichts wird dagegen unternommen.

Jahrelang wurden Vermögenswerte der öffentlichen Hand verschleudert. Die lukrativen Besitztümer der Allgemeinheit wechseln in private Hände. Dem Staat, den Kommunen bleiben nur unwirtschaftliche Stücke.

Gleichzeitig steigen durch demografische Effekte die Ausgaben. Die meisten Haushaltspositionen lassen gar keinen Spielraum zu: Jede Einsparung ist ein schmerzhafter Schnitt in die Substanz. Und so hat sich die Politik selbst jeder Möglichkeit politischer Gestaltung durch den Haushalt beraubt. Die Königsdisziplin des Landtages ist eine Farce.

Die Krönung dieser Selbst-Strangulation ist der Popanz der schwarzen Null. Die Politik hat sich das Aufnehmen von Krediten selbst verboten. Auch hier waren wir schon mal weiter, bei Keynes Deficit Spending, als Lehre des schwarzen Freitags.

Aufnahme von Krediten ist doch nicht grundsätzlich schlecht. Ein guter Kaufmann wird selbstverständlich einen Kredit aufnehmen, wenn beispielsweise eine Produktionsmaschine defekt ist. Denn sonst kann er seinen Laden gleich zumachen. Er wird selbstverständlich einen Kredit aufnehmen, wenn die Zinsen, die er dafür zu bezahlen hat, unter dem Return on Investment liegen, die er erwartet. Und er wird einen Kredit aufnehmen, wenn er damit sehr viel höhere Ausgaben in der Zukunft verhindern kann.

Unser Land macht das alles falsch. Unser Land verhält sich nicht wie ein verantwortungsbewusster Kaufmann: Dringend notwendige Investitionen, etwa in Bildung oder Infrastruktur unterbleiben, obwohl man genau weiß, dass uns das in Zukunft teurer zu stehen kommt. Nicht renovierte Infrastruktur sind doch einfach nur nicht deklarierte Schulden. Wollen wir den Laden, wollen wir das Land jetzt zumachen?

Es wäre sinnvoll, angesichts der niedrigen Zinsen jetzt Schulden aufzunehmen und dringend notwendige Investitionen zu tätigen, in Bildung und Infrastruktur, sowie beispielsweise einst öffentliche Netze zurückzukaufen, solange die Zinsen unter den zu realisierenden, gesellschaftlichen Vorteilen liegen. Das wäre weitsichtig.

Und ein letztes noch: Armut und Existenzsorgen sind der Boden, auf denen rechtspopulistisches Gedankengut keimt. Die Wahlerfolge der AfD wären nicht denkbar ohne Abstiegsängste, die da geschickt ausgenutzt werden. Lassen Sie das nicht weiter zu.