Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der Krankenversicherung!

stethoskop

Gestern abend hat sich der Landtag mit meinem Antrag „Für faire Lastenverteilung in der gesetzlichen Krankenversicherung: Kostenerhöhungen gerecht auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber verteilen!“(Drucksache 16/10780) befasst.

Eine bezahlbare Gesundheitsfürsorge für alle Menschen ist eine der wichtigsten Errungenschaften unseres Sozialstaates. Sie ruht auf dem Solidarprinzip, nach dem ein jeder nach seiner persönlichen Leistungsfähigkeit an den gemeinsamen Lasten beteiligt wird. Die Gemeinschaft trägt dabei finanzielle Risiken, die aus Gesundheitsfürsorge einzelner entstehen. Eine ausbalancierte Verteilung aus gutverdienenden bzw. gesunden Menschen einerseits und weniger gut verdienenden bzw. chronisch Kranken ist notwendig, damit dieses System finanzierbar bleibt und für alle angemessene Gesundheitsleistungen zur Verfügung stehen. Die Familienmitversicherung schützt Familien vor finanzieller Überforderung.

Eine weitere wichtige Errungenschaft war die paritätische Aufteilung der Gesundheitskosten zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Gerade Gesundheitsvorsorge kommt auch der Arbeitgeberseite durch geringere Fehlzeiten und Ausfallkosten zugute.

Diese Prinzipien sind von zwei Seiten in Gefahr. Zum einen ist es gut verdienenden und gesunden Personen möglich, die Solidargemeinschaft zu verlassen und sich zu günstigeren Tarifen individuell zu versichern. Einige Personengruppen sind von der gesetzlichen Krankenversicherung komplett ausgenommen. Dies führt dazu, dass tendenziell kränkere und weniger gut verdienende Menschen in der Mitgliederbasis verbleiben als der Schnitt der Gemeinschaft. Das Solidarsystem droht so in eine Schieflage zu geraten, da mehr Kranken weniger zahlungskräftige Mitglieder gegenüberstehen. Der demografische Wandel und gesundheitlicher Fortschritt verschärfen das finanzielle Problem.

Zum Anderen ist seit dem 1. Januar 2015 der Arbeitgeberanteil an den Krankenversicherungskosten gedeckelt. Soweit Krankenversicherungen mit ihren Mitteln nicht auskommen, können sie einkommensabhängige Zusatzbeiträge erheben, die dann ausschließlich vom Arbeitnehmer gezahlt werden. Damit werden zukünftig steigende Krankheitskosten und kommende Beitragserhöhungen einseitig der Arbeitnehmerseite auferlegt. Im Jahr 2016 wird der durchschnittliche Zusatzbeitrag mit 1,1% angegeben. Nahezu alle Kassen machen von der Erhebung eines Zusatzbeitrages Gebrauch, durchschnittlich wurde dieser Beitrag von 2015 auf 2016 um über 22% bzw. 0,2 Prozentpunkte gesteigert.

Ich habe beantragt, dass der Landtag folgende Beschlüsse fasst:

1. Die solidarische Krankenversicherung ist eine der wichtigsten Errungenschaften des Sozialstaates. Für das Funktionieren des Solidarprinzips ist eine ausgewogene Beteiligung vieler Menschen an den gemeinsamen Lasten jeweils nach ihrer individuellen Leistungsfähigkeit wichtig.
2. Ausnahmen speziell für zahlungskräftige oder gesunde Menschen drohen das Solidarprinzip in eine Schieflage zu versetzen.
3. Alle zukünftigen Beitragserhöhungen durch steigende Kosten einseitig der Arbeitnehmerseite aufzuerlegen ist unsolidarisch.

Die Landesregierung habe ich aufgefordert,

1. sich auf allen politischen Ebenen dafür einzusetzen, dass die Mitgliederbasis der gesetzlichen Krankenversicherung möglichst ausgewogen bleibt;
2. eine Bundesratsinitiative zu starten bzw. zu unterstützen, nach der der einkommensabhängige Zusatzbeitrag in Zukunft nicht mehr alleine vom Arbeitnehmer getragen werden soll.

Der Antrag wurde mit den Stimmen aller Fraktionen abgelehnt. Begründung von SPD und Grünen war, dass er durch einen eigenen Antrag im Bundesrat, den die Regierung stelle, obsolet geworden sei. Verschwiegen wurde, dass der Antrag im Bundesrat vom 22. Januar datiert, also zeitlich erst nach meinem Antrag hier eingereicht worden ist. Wer also hier auf welchen Zug aufgesprungen ist, kann man in Frage stellen.


Den Antrag begründete ich in meiner Rede wie folgt (es gilt das gesprochene Wort):

Frau Präsidentin / Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und in den Netzwerken,

Die Kosten im Gesundheitswesen steigen Jahr für Jahr. Der stärkste Faktor dabei sind die Ausgaben für Arzneimittel. 2014 gab es einen Zuwachs von mehr als 10 Prozent. Im Zeitraum Januar bis September 2015 betrug der Ausgabenanstieg alleine in diesem Bereich 1,3 Milliarden Euro. Es sind diese Kostensteigerungen, die die Beiträge zur Krankenversicherung immer weiter ansteigen lassen. Allerdings treffen sie jedoch nur eine Gruppe. nämlich die abhängig Beschäftigten, während die Kostenerhöhungen auf Arbeitgeberseite eingefroren sind. Alle zukünftigen Steigerungen werden einseitig der Arbeitnehmerseite belastet.

Eine solche Regelung ist „nicht gerecht“. „Die Arbeitnehmer dürfen mit den Kostensteigerungen im Gesundheitswesen nicht allein gelassen werden“. „Es kann nicht sein, dass die Arbeitnehmer alle künftigen Kostensteigerungen allein tragen“ müssen.

Diese drei zutreffenden Aussagen sind nicht von mir. Es sind allesamt Zitate. Sie stammen von Gesundheitsexperten aus den Reihen von SPD und CDU, wie etwa Karl Lauterbach oder Christian Bäumler, dem Bundesvorsitzenden der Christlich Demokratischen Arbeiterschaft.

Doch was für Konsequenzen wurden daraus gezogen? Keine! Die Versicherten alleine zahlen seit Jahresbeginn die Zeche in Form steigender Beiträge. Es reicht nicht aus, immer nur die Lippen zu spitzen. Man muss auch mal pfeifen. Deswegen habe ich diesen Antrag eingebracht.

„Der europäische Sozialstaat und die Zivilisiertheit unserer Städte sind Errungenschaften, so unwahrscheinlich und so kostbar wie Kant, Beethoven, Pascal und Mozart“, erklärte einmal der französische Soziologe und Mitbegründer von Attac, Pierre Bourdieu.

Wir sind heute dabei, dieses kostbare Erbe zu verspielen.

Damit es gar nicht so weit kommt, haben wir gestern gegen die bedrohte Zivilisiertheit unserer Städte wie in Köln einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Was aus ihm für Handlungsempfehlungen erwachsen, werden wir sehen.
Was gegen die schon viel länger anhaltende Erosion des Sozialstaates getan werden muss, das ist auch schon lange bei CDU und SPD bekannt.

Ohne eine Rückkehr zum System der paritätischen Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen, wird die Erosion des Sozialstaates weiter voranschreiten. Da sind sich alle Experten, gleich welcher Couleur, einig.
Von diesem seit Jahrzehnten erfolgreichen Modell ist ohne jede Not abgewichen worden. Diesen Fehler müssen wir wieder korrigieren. Deswegen rufe ich alle Verantwortlichen hier auf: Lassen Sie aus Ihrer Einsicht endlich Taten folgen. Noch ist es dafür nicht zu spät!

Lassen Sie uns hier gemeinsam die dafür notwendigen Schritte einleiten. Wir werden viele Verbündete dabei finden.

Vielen herzlichen Dank.

Aufbruch in Fahrtrichtung links.

VonHierAus

Eine Erkenntnis des Jahres 2015 ist: Die Piratenpartei ist tot. Als ehemalige Angehörige, Funktionsträger*innen und Mandatsträger*innen der Piratenpartei arbeiten wir seit Jahren an den Fragen für die Politik des 21. Jahrhunderts. Die Unzulänglichkeit gewohnter Vorstellungen von Gesellschaft und Politik in einer immer enger zusammenwachsenden Welt gehört genauso zu diesen Fragen wie die konkreten politischen, ökonomischen und sozialen Umwälzungen durch Migration und Digitalisierung. Klassische Begriffe der deutschen Politik, des sozialen Austauschs und der privatrechtlichen Ordnung – wie Arbeit, Wissen und Sicherheit – funktionieren inzwischen anders und verhalten sich in aktuellen politischen Kontexten völlig unterschiedlich zu unseren politischen Erfahrungswerten. Wir haben erkannt, dass – wenn wir ein offenes und menschliches Europa und einen sozialen und freien Umgang mit neuen Technologien wollen – es unsere Aufgabe ist, ebensolchen Unzulänglichkeiten zu begegnen und neue Antworten zu finden.

Obwohl einst genau zu diesem Zweck angetreten, ist die Piratenpartei dabei keine Hilfe mehr. Dem zum Trotz haben wir uns dazu entschieden, uns weiter für ein sozialeres und offeneres Europa und Berlin einzusetzen. Keine Politik zu machen ist für uns keine Option.

Deutschland hat im Jahr 2015 mehr als 700.000 Geflüchtete aufgenommen und zunächst notdürftig versorgt. Wie sehr die europäische und die bundesrepublikanische Gesellschaft durch diesen Umstand erschüttert worden sind, ist noch nicht erforscht. Die Implikationen können uns noch nicht klar werden, sie beginnen und sie enden sicher nicht mit dem Aufstieg der Deutschen Rechten in Form rechtspopulistischer Bewegungen und der rechtsradikalen AfD. Wie sich unsere Gesellschaft verändern muss und verändern wird mit den Menschen in Not, denen wir die Hand reichen, lässt sich sicher auch nicht im Jahr 2016 beantworten. Das muss in den nächsten Jahrzehnten diskutiert und gestaltet werden. Wir sind überzeugt, dass es eine linke Diskurshoheit bei diesen und allen anderen umwälzenden Prozessen der globalisierten Gesellschaft und Ökonomie braucht, wenn nicht nur der gesellschaftliche Fortschritt der nächsten Jahre vorangetrieben, sondern auch der Fortschritt der letzten Jahrzehnte bewahrt werden soll.

Das 21. Jahrhundert zeichnet sich durch eine technologische und gesellschaftliche Entwicklung aus, die Kommunikation global und somit grenzübergreifend ermöglicht. Primat linker Politik muss es jetzt sein, diese globale Bewegungsfreiheit für alle Menschen zu ermöglichen. Nach der industriellen Revolution bietet sich durch die rasante Digitalisierung der globalen Gesellschaft die nächste Chance, grundlegende Prinzipien neu zu bewerten. Immer stärker automatisierte Produktionsprozesse können es ermöglichen, menschliche Arbeit weitgehend überflüssig zu machen. Damals wie heute liegt es in der Verantwortung der menschlichen Gesellschaft selbst, dafür zu sorgen, diese Entwicklungen zu nutzen. Wenn uns Maschinen noch mehr Arbeit abnehmen können, muss das auf eine Art geschehen, dass Arbeiter*innen nicht schlechter dastehen als zuvor, denn die Befreiung von der Arbeit kann auch befreiend für uns alle sein. Es gilt, dem dystopischen, permanent überwachenden und verwertenden Repressionsapparat eine positive, in Freiheit vernetzte Gesellschaftsvision gegenüberzustellen.

Das Jahr 2016 nimmt dabei nicht nur für uns eine Schlüsselrolle ein, angesichts der Tatsache, dass die Piratenpartei, mit der immer noch viele von uns identifiziert werden, im Herbst des Jahres sehr wahrscheinlich keine Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus mehr stellen wird. Es ist vielmehr das erste Wahljahr, nach dem die Migrationsbewegung nach Europa auch Deutschland erreichte. Es ist das Jahr in dem nach fünf Jahren völligen Versagens einer uneinigen Zweckregierung in Berlin wieder neu gewählt werden muss. Die fehlende linke Diskursmehrheit hat sich in den letzten Jahren der großen Koalition deutlich bemerkbar gemacht. Die Seehofers, die Henkels und die Czajas dieser Republik stören sich nicht an dem etablierten braunen Mob, begründet er doch ihre „besorgte Bürger“-Rhetorik und entschuldigt das Versagen bei Aufklärung und Verhinderung von rechten Gewaltexzessen. Wir halten dagegen. Wir fordern politischen Umschwung und werden dafür kämpfen, dass rechte Parolen und Ressentiments in der Berliner Politik nicht weiter Fuß fassen. Wir treten mit aller Kraft gegen die AfD ein, die droht in das Abgeordnetenhaus einzuziehen. Wir arbeiten daran, die Menschen in der Stadt über den wahren Charakter ihrer rechtsnationalen völkischen Verirrung aufzuklären.

Wir stehen für „Netze in Nutzerhand“ und „Religion privatisieren“. Wir fordern endlich eine transparente und offene Verwaltung und nachvollziehbares Regierungshandeln ein. Das hat sich seit dem Einzug der Berliner Piratenfraktionen in das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen weder geändert, noch ist es heute weniger nötig als 2011. Im Gegenteil, das Parlament der Hauptstadt wird seit fast fünf Jahren kontinuierlich entmachtet und in seinen Kontrollmöglichkeiten behindert. Es ist kein Zufall, dass Untersuchungsausschüsse sprießen, wo eine transparentere Verwaltung und ein handlungsfähiges Parlament gemeinsam mit der Öffentlichkeit Skandale schon in der Entstehung hätten verhindern können. In einem Klima des Filzes und der Handlungsunfähigkeit empfinden wir es als Pflicht, politisch aktiv zu bleiben und zu werden und rufen dazu auf, sich mehr und nicht weniger in demokratische Prozesse und Diskurse einzubringen.

Für uns ist der freie Zugang zu Wissen und Informationen für alle eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Für uns sind Gleichstellung und ein diskriminierungsfreier Zugang zu Sicherheit, Wohlstand und individueller Entfaltung kein Versprechen für eine ferne politische Zukunft, sondern eine Frage der Notwendigkeit. Das Aufbegehren der „technologisierten Jugend“ gegen den Missbrauch von Technologie zur lückenlosen Überwachung aller Menschen ist zum Kampf vieler gesellschaftlicher Gruppen gegen den offen auftretenden Polizei- und Überwachungsstaat geworden. Wir brauchen ein Gesellschaftsbild, das fundamental vom Status quo der Leistungs- und Segregationsgesellschaft abweicht und über den nächsten Wahltermin hinaus reicht. Die organisierte Linke – und damit auch die Partei die LINKE – entwickeln und diskutieren als einzige in Deutschland ein solches Gesellschaftsbild in unserem Sinne. Wir möchten dazu beitragen, diese politische Vision gemeinsam mit der Linken zu entwickeln. Wir haben uns dazu entschieden, die Linke in Berlin im Jahr 2016 und darüber hinaus kritisch und solidarisch zu unterstützen und so an einer solidarischen Alternative zum bürgerlichen Mainstream in Europa mitzuarbeiten.

Wir sehen uns.

Unterstützende

Gerhard Anger, ehem. Landesvorsitzender Piratenpartei Berlin
Monika Belz, Mitglied BVV Treptow-Köpenick
Leonard Bellersen, Generalsekretär Junge Pirat*innen
Benjamin Biel, ehem. Pressesprecher Piratenpartei Berlin
Florian Bokor, ehem. Vorstand Piratenpartei Sachsen
Joachim Bokor, ehem. Justiziar Piratenpartei Deutschland
Frederik Bordfeld, Mitglied BVV Pankow
Marius J. Brey, ehem. Piratenpartei
Steffen Burger, Mitglied BVV Neukölln
Katja Dathe, ehem. Schatzmeisterin Piratenpartei Berlin
Martin Delius, Mitglied des Abgeordnetenhauses
Konstanze Dobberke, ehem. Piratenpartei
Cornelius Engelmann-Strauß, Mitglied BVV Treptow-Köpenick
Anisa Fliegner, Sprecherin BAG Netzpolitik die LINKE
Marcel Geppert, Mitglied BVV Marzahn-Hellersdorf
Björn Glienke, ehem. Direktkandidat BTW13 Piratenpartei Berlin
Anne Helm, Mitglied BVV Neukölln
Oliver Höfinghoff, Mitglied des Abgeordnetenhauses
Michael Karek, ehem. Vorstand Piratenpartei Berlin
Jan Kastner, ehem. Kandidat für die Piratenpartei Deutschland
Steven Kelz, Mitglied BVV Marzahn-Hellersdorf
Martin Kliehm, Stadtverordneter Frankfurt am Main
Fabian Koleckar, ehem. Vorstand Junge Pirat*innen Berlin
Lasse Kosiol, Mitglied BVV Spandau
Matthias Koster, ehem. Vorstand Piratenpartei Trier
Andreas Krämer, ehem. Vorstand Piratenpartei Bremen
Peter Laskowski, Bundeskoordinierungskreis der Ema.Li
Hartmut Liebs, ehem. Piratenpartei
Steffen Ostehr, Mitglied BVV Marzahn-Hellersdorf
Julia Schramm, ehem. Bundesvorstand Piratenpartei Deutschland
Volker Schröder, Mitglied BVV Treptow-Köpenick
Daniel Schwerd, Mitglied des Landtages NRW
Dr. Benedict Ugarte Chacón, ehem. Piratenpartei
Dr. Simon Weiß, Mitglied des Abgeordnetenhauses
Jan Zimmermann, ehem. Vorstand Piratenpartei Berlin

Sozialleistungen an EU-Bürger kürzen? Scheinproblem und fatales Signal!

europa

„Der Neidische wird ärmer, wenn er andere reicher werden sieht.“
Christian Friedrich Hebbel

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat sich in einem Interview dafür ausgesprochen, Sozialleistungen für EU-Ausländer einzuschränken. „Freizügigkeit bedeutet nicht, dass man sich aussuchen kann, wo man Sozialleistungen erhält“, antwortete er dem Magazin „Der Spiegel“ auf entsprechende Fragen. Wanderungsbewegungen, die durch höhere Sozialleistungen motiviert werden, möchte er damit unterbinden. Auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte vorgeschlagen, Sozialleistungen für EU-Ausländer zu beschneiden. Die Nordrhein-Westfälische CDU prescht mit einem Antrag an die NRW-Landesregierung vor (Drucksache 16/10790).

Hinweise, dass es sich tatsächlich um ein regelungsbedürftiges Problem handelt, gibt es nicht, vielmehr leisten EU-Bürger einen hohen Anteil an Sozialbeiträgen innerhalb unseres Landes. Freizügigkeit ist eine wichtige Errungenschaft innerhalb der Europäischen Union, und eine negativ gefärbte Diskussion kann dem Ansehen Europas in Deutschland Schaden zufügen. Ich fürchte, hier sollen verschiedene bedürftige Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Ist das ganze nur ein Scheinproblem? Und was für ein Bild der Europäischen Union wird damit transportiert? Daher habe ich der Landesregierung heute einige Fragen gestellt:

1. Gibt es Hinweise darauf, dass es gerade Sozialleistungen sind, die EU- Ausländer dazu bewegen, nach NRW einzuwandern? Gehen Sie darauf ein, inwieweit sich ein Handlungsbedarf in dieser Frage ergibt.
2. In welcher Höhe gab es 2015 einen Sozialleistungsbezug durch EU- Ausländer in NRW?
3. Welchen Anteil an Sozialbeiträgen haben 2015 EU- Ausländer in NRW erbracht?
4. Inwieweit steht Bedürftigkeit dem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der europäischen Union im Wege? Gehen Sie darauf ein, inwieweit die Freizügigkeit vom sozialen Status eines EU-Bürgers abhängig sein sollte.
5. Welches Signal sendet eine solche Debatte für die Akzeptanz der Europäischen Union sowie eines solidarischen Europas?

Die zugehörige kleine Anfrage wurde heute unter der Drucksachennummer 16/10801 veröffentlicht.

Diskriminierung: Warum ist Flüchtlingen der Zutritt zum Hallenbad in Bornheim verboten?

Hallenbad

Gegen einen Flüchtling einer Bornheimer Unterkunft wird wegen sexueller Belästigung ermittelt. Außerdem soll es verbale Übergriffe gegen Frauen im städtischen Hallenbad gegeben haben. Dies nahm der Erste Beigeordnete der Stadt Bornheim zum Anlass, ein Zutrittsverbot für alle erwachsenen männlichen Flüchtlinge zum städtischen Hallenbad durch die Stadt Bornheim aussprechen zu lassen. Dies berichtet der WDR.

Es ist vollkommen korrekt und nachvollziehbar, wenn Personen, die sich im Schwimmbad danebenbenehmen oder andere Badegäste belästigen, des Hauses verwiesen werden. Deswegen aber gleich sämtliche Flüchtlinge in Sippenhaft zu nehmen und für die Taten einzelner zur Verantwortung zu ziehen ist meines Erachtens nach diskriminierend und rassistisch. Das konterkariert jedes Bemühen um Integration und Inklusion. Ich fordere die Stadt Bornheim auf, diese Praxis umgehend zu beenden.

Zudem habe ich der Landesregierung heute einige Fragen zu dem Vorfall gestellt. Sie möge mir bitte beantworten:

  1. Auf welcher Rechtsgrundlage kann die Stadt Bornheim allen erwachsenen männlichen Flüchtlingen den Zutritt zum städtischen Hallenbad verweigern?
  2. Inwieweit handelt es sich bzw. handelt es sich nicht bei diesem Verbot um Diskriminierung?
  3. Inwieweit handelt es sich bzw. handelt es sich nicht bei diesem Verbot um Rassismus?
  4. Wie wirkt sich dieses Verbot nach Meinung der Landesregierung auf die Inklusions- und Integrationsbemühungen von geflüchteten Menschen aus?
  5. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung gegenüber der Stadt Bornheim bzw. dem ersten Beigeordneten der Stadt, diese Angelegenheit betreffend?

Sobald die Anfrage veröffentlicht ist, werde ich sie hier verlinken. Auch über die Antworten und die weitere Entwicklung werde ich Euch auf dem Laufenden halten.

Innenminister Jäger macht Polizei in Köln verantwortlich. Fragen bleiben offen

hbf

Die Ereignisse der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof waren gestern Gegenstand einer Sondersitzung des Innenausschuss. In dieser hat Innenminister Jäger sowie führende Beamte seines Hauses einen Bericht erstattet. Verteilt wurde auch ein schriftlicher Bericht des Innenministeriums und einer des (ehemaligen) Polizeipräsidenten von Köln. Wir hatten diese Informationen also auch erst zu Beginn der Sitzung selbst.

Ich bin kein Mitglied des Ausschusses, habe als Gast beigewohnt. Ein Rederecht, wie ich zuvor beantragt hatte, um eigene Fragen an das Innenministerium stellen zu können, haben die Fraktionen von SPD, CDU, Grüne und FDP bei Enthaltung der Piraten zu Beginn der Sitzung abgelehnt. Diese Entscheidung sehe ich im Hinblick auf die Abgeordnetenrechte sehr kritisch.

Jägers Bericht und die vorgestellten Dokumente konnten nicht überzeugen. Er schiebt Schuld und Verantwortung recht deutlich der Kölner Polizeiführung zu: Diese habe angebotene Verstärkung nicht abgerufen. Zudem habe es Mängel in der behördeninternen Kommunikation gegeben, so dass zu keiner Zeit ein vollständiges Lagebild an einem Ort vorgelegen habe. Auch wurde der Dienstgrad des leitenden Beamten als zu gering eingestuft.

Die Verantwortung auf eine nachgeordnete Behörde in dieser Form abzuschieben ist schon ein starkes Stück. Darauf angesprochen brachte er den (hinkenden) Vergleich, dass auch die Gesundheitsministerin nicht selbst am Blinddarm operiert, gewissermaßen also für Fehler dabei nicht verantwortlich sei.

Die ganze Vorstellung hat nicht alle Fragen beantwortet, und zahlreiche neue Fragen aufgeworfen. Da ich diese in der Sitzung nicht stellen konnte, nutze ich nun das Instrument der kleinen Anfrage. Dabei gibt es soviele komplexe offene Fragen, dass ich bereits insgesamt 17 kleine Anfragen formuliert habe, jede mit 5 Unterfragen ausgestattet. Die ersten neun Anfragen sind bereits eingereicht, die übrigen werden noch bearbeitet. Ich werde sie an dieser Stelle wie gewohnt veröffentlichen.

Fragen bezüglich der politischen Konsequenzen sind dabei noch gar nicht enthalten.

Die Landesregierung hat zwischenzeitlich auch eine Unterrichtung für die nächste Plenarsitzung Ende Januar angekündigt. CDU und FDP wollen nicht so lange warten, sie beantragten eine Sondersitzung des Parlaments, die am Donnerstag, den 14.01. ab 10 Uhr stattfinden wird, so dass die Unterrichtung bereits da stattfinden soll.

Berichte sprechen deutliche Sprache: Polizeiführung hat Lage am Hauptbahnhof verharmlost

Polizei

Lageberichte von Polizeibeamten aus der Silvesternacht vom Hauptbahnhof in Köln werfen mehr Fragen auf als sie beantworten. Polizisten berichten in Einsatzberichten, die der Presse vorliegen, von chaotischen Zuständen, weinenden Frauen, denen die Wäsche vom Leibe gerissen war, zahlreichen Festnahmen und ausgebliebener Verstärkung.

Das deckt sich so gar nicht mit der ersten Pressemitteilung der Polizei, wo von einer „ausgelassenen“ und „friedlichen“ Silvesterfeier die Rede war, sowie den Folgeerklärungen des Kölner Polizeipräsidenten, wonach die Polizei erst im Laufe des Folgetages durch die Anzeigen der Gewaltopfer von den Geschehnissen erfahren habe.

Warum wurde die Lage zunächst verharmlost? Warum wurde trotz der vorliegenden Berichte behauptet, erst durch die Anzeigen vom Ausmaß der Straftaten erfahren zu haben? Warum wurde nicht bereits in der Nacht ausreichende Verstärkung bereitgestellt? Wenn man sich vor Augen hält, mit welchem Polizeiaufgebot Demonstranten im RWE-Tagebau begegnet wurde, muss man die Prinzipien der polizeilichen Einsatzplanung mal in Frage stellen.

Am 11. Januar befasst sich der Innenausschuss des Landtages in einer Sondersitzung mit den Vorkommnissen. Ich habe zu diesem Anlass eine Berichterstattung des Innenministers beantragt und ihn aufgefordert, sämtliche Einsatz- und Lageberichte der Silvesternacht vorzulegen. Ich will wissen, was die Polizei vor Ort schon gewusst hat, und ob tatsächlich keine Verstärkung zur Verfügung stand.

Die Polizei in Köln war nicht Herr der Lage – wie schon bei der ersten HoGeSa-Demonstration – und wir wurden darüber belogen. Das muss personelle Konsequenzen haben. Man arbeitet mit einer viel zu dünnen Personaldecke. In wirklichen Gefahrensituationen stehen viel zu wenig Beamte bereit. Da nützen dann auch Überwachungskameras und gute Ratschläge nichts.

Edit 19:05: Meine Kritik richtet sich gegen die Polizeiführung, nicht gegen die einzelnen Beamten vor Ort. Denen meine Hochachtung, sich an einem Feiertag mit einem gefährlichen Mob auseinanderzusetzen. Ich bin sicher, sie haben das ihnen mögliche getan. Sie waren offensichtlich vollkommen unterbesetzt.

Interview WDR 5 Westblick „War Reker-Attentäter V-Mann?“

radio

Heute hat mich die Moderatorin Edda Dammmüller für die Sendung „Westblick“ im Radiosender WDR 5 interviewt. Thema war die Kleine Anfrage, ob es sich bei dem Reker-Attentäter um einen V-Mann des Verfassungsschutzes gehandelt haben könnte, und die Nicht-Antwort unseres Innenministers darauf. Hier kann man das Interview nachhören:

Vielsagend Nichtssagend: Innenminister Jäger möchte nicht verraten, ob Reker-Attentäter ein V-Mann war

Messer

NRWs Innenminister Ralf Jäger möchte nicht beantworten, ob der Mann, der die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker am 17. Oktober mit einem Messer lebensgefährlich verletzt hatte, vom Verfassungsschutz als V-Mann geführt worden ist. Ich hatte ihn vier Tage nach der Tat in einer kleinen Anfrage danach befragt. Eine Führung als Informant oder V-Person durch den Verfassungsschutz NRW werde „aus Gründen des Geheimschutzes weder bestätigt noch verneint“, hieß es jetzt in der Antwort. Erkenntnisse über den Täter lägen beim Verfassungsschutz aus den 90er Jahren, sowie aus 2002 und 2008 jeweils im Zusammenhang mit Veranstaltungen der rechtsextremen Szene vor.

Ungereimtheiten im Lebenslauf und der Arbeitslosengeschichte des Attentäters hatten Spekulationen ausgelöst, ob eine „höhere Behörde“ eine „schützende Hand“ über den Täter halten würde.

Diese Antwort ist vielsagend nichtssagend. Sie sorgt nicht gerade dafür, den Verdacht zu zerstreuen, dass der Verfassungsschutz zuvor über diese Person und ihre Gefährlichkeit genau im Bilde war. Für eine fortgesetzte Geheimhaltung besteht kein Grund: Sollte er V-Person gewesen sein, müssen wir das erfahren, eine Verstrickung des Verfassungsschutzes in diesen Mordversuch muss Konsequenzen haben. Ein weiterer Einsatz des Attentäters als Informant in der Szene wäre ohnehin unvorstellbar. Und wenn Frank S. keine V-Person war, könnte der Minister diesen Verdacht leicht entkräften.

Die Verfassungsschutzbehörden stehen nach zahlreichen Affären, dem Versagen angesichts des NSU-Terrorismus und wegen indirekter Unterstützung der rechten Szene in der Kritik. Ihnen wird vorgeworfen, sich als auf dem rechten Auge blind gezeigt zu haben. Sollte auch der Reker-Attentäter im Vorfeld als Informant des Amtes tätig gewesen sein, wäre das ein neuer Tiefschlag für die Glaubwürdigkeit der Sicherheitsbehörden.

Die Antwort des Innenministers ist nicht ausreichend. Angesichts der Skandale in verschiedenen Verfassungsschutzämtern ist ein gesundes Misstrauen nicht unbegründet. Ich fordere Ralf Jäger auf, rückhaltlos für Klarheit zu sorgen, inwieweit seine Behörden mit dem Attentäter in Verbindung standen. Das Verdecken einer unbequemen Wahrheit rechtfertigt jedenfalls keine Geheimhaltung.

Die kleine Anfrage wurde trotz ihres Einreichens am 21. Oktober 2015 erst fünf Wochen später im Landtagssystem veröffentlicht – eine Verzögerung, für die es ebenfalls keine Erklärung gibt, und die bei diesen Dokumenten absolut unüblich ist.

Unter der Drucksachennummer 16/10321 ist die Anfrage veröffentlicht. Die Antwort des Innenministers wird am 6. Januar unter der Drucksachennummer 16/10628 erscheinen.

Unter anderem haben der Kölner Stadt-Anzeiger und Neues Deutschland berichtet.

2016-01-04 17_40_33-Original Antwort KA 4089.pdf - SumatraPDF