Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags ist am 27.06. in der Tageszeitung „neues deutschland“ in der Rubrik „Meinung“ erschienen.
Vergangenen Samstag hat der SPD-Parteikonvent den Antrag der Parteispitze zur Wiedereinführung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikations-Verbindungsdaten in Deutschland mehrheitlich angenommen. Hinter verschlossenen Türen berieten 250 Delegierte über die Zukunft der Privatsphäre in Deutschland, während die versammelte Presse vor den Türen, und wir alle vor den Fernsehgeräten mit Phoenix-TV-Programm warteten.
Der Parteivorsitz hatte sich zuvor eindeutig für die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen: Nur zwei der 35 Führungsmitglieder stimmten letztlich dagegen. Ganz anders die Parteibasis: Über 100 Gliederungen der SPD, darunter 11 Landesverbände, hatten sich gegen die Vorratsdatenspeicherung positioniert. Widerspruch kam von SPD-Netzpolitikern. Auch aus der Jugendorganisation der SPD rumorte es gewaltig.
Gabriel und Fahimi holten die große Keule der „Regierungsfähigkeit“ heraus, Rücktrittsdrohungen standen im Raum, und auf dem Konvent wurden Kritiker und Befürworter in geschickter Reihenfolge orchestriert: Und der Konvent kuschte. Letztlich sprachen sich 124 der Delegierten für, 88 gegen den Vorstandsantrag aus. Mit knapp 60% setzt die SPD ihre Beschlusslage auf Bundesebene Pro Vorratsdatenspeicherung fort. Überraschend ist das also im Grunde nicht.
Große Keulen geschwungen
Es wackelt der Schwanz mit dem Hund: Wie kommt es, dass die Delegierten all dieser SPD-Gliederungen entgegengesetzt stimmen? Wenn sich sämtliche politischen Schwergewichte eindeutig positionieren, so sorgt das offenbar in der offenen Abstimmung für Eindruck. Womöglich hat aber auch das Dauerfeuer polemischer Argumentation für Überwachung zu langsamer Gehirnerosion geführt. So twitterte der baden-württembergische SPD-Innenminister Reinhold Gall am Abend nach der Abstimmung: „Ich verzichte gerne auf vermeintliche Freiheitsrechte wenn wir einen Kinderschänder überführen“ (Das Komma fehlt bereits im Original). Sehr schön ist erkennbar, wie nachhaltig erfolgreich die unbewiesene Behauptung ist, Vorratsdatenspeicherung würde Kinderleid verhindern, ebenso wie das Mantra, man müsse auf Freiheiten verzichten, um Sicherheit zu gewinnen. Es traut sich offenbar niemand, diese Behauptungen zu hinterfragen – wenn man sich dann im Ruf eines Kinderschänderfreundes wiederfinden muss.
Schmallippig diktiert der Bundesvorsitzende auf der Pressekonferenz kurz nach der Abstimmung den Journalisten in den Block, dass Freiheit und Sicherheit sich nicht ausschließen – und das unmittelbar nach den Diskussionen, die gerade das eine gegen das andere erfolgreich ausgespielt haben. Angesprochen auf die Terroranschläge von Paris weist er darauf hin, niemals die Vorratsdatenspeicherung in diesem Fall angeführt zu haben, die in Frankreich bestand und die ganz offensichtlich keinen Beitrag zur Verhinderung dieser Taten leistete. Leider spricht ihn keiner der anwesenden Journalisten auf den Anschlag durch Anders Breivik an, zu dem Gabriel schon mehrfach behauptete, die Vorratsdatenspeicherung wäre in diesem Fall erfolgreich gewesen, obgleich sie in Norwegen technisch zu diesem Zeitpunkt gar nicht umgesetzt war, also keinen Beitrag geleistet haben kann.
Linke Positionen ohne Not geräumt
Derweil ist es seitens der CDU auffallend still: Weder wurde vorher erkennbar Druck auf den Parteikonvent ausgeübt, noch wurde anschließend die Entscheidung genüsslich kommentiert – die CDU kann sich hier vollkommen zurücklehnen, denn der ganze Empörungssturm geht ausschließlich auf die SPD nieder. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft soll nach Medienberichten gesagt haben, sie ärgere sich, dass die SPD das Thema auf sich gezogen habe. Und damit hat sie Recht: Die SPD hat ohne Not ein polarisierendes Thema durchgekämpft, in dem sie dem großen Koalitionspartner einen Gefallen tut und bei dem sie nichts gewinnen kann. Umso unverständlicher, warum der große Vorsitzende sein gesamtes Gewicht dafür in die Waagschale warf. Merkel ist da geschickter, sich aus unangenehmen Themen vollkommen herauszuhalten.
Die Hoffnungen liegen erneut auf dem Bundesverfassungsgericht. Denn an der grundsätzlichen Konstruktion, dass Daten massenhaft, flächendeckend und anlasslos gespeichert werden, hat auch der neue Gesetzentwurf nichts geändert. Darüber wird der neue Name „Mindestspeicherfrist“ nicht hinwegtäuschen. Amüsantes Detail am Rande: Selbst Gabriel nennt die Maßnahme immer wieder „Höchstspeicherfrist“ – die Unsinnigkeit dieser Sprachverwirrung wird deutlich, wenn beide Begriffe synonym verwendet werden können. Von glaubwürdiger Netzpolitik hat die SPD jedenfalls Abstand genommen.
Übrig bleibt eine innen- und bürgerrechtspolitisch deutlich nach rechts gerückte SPD: Da, wo die CDU bereits ist. Das ist keine profilschärfende Maßnahme, im Gegenteil: Eine CDU „light“ braucht niemand. Ohne Not räumen die Sozialdemokraten reihenweise Positionen links der Mitte. Sie erledigen damit die schmutzige Arbeit der Union, der nachher die Früchte zufallen werden – der SPD wird das niemand danken. Ich sehe jedenfalls schwarz für die nächsten Wahlen.
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