Politiker sein ist ein Beruf. Ich stelle immer mehr fest, dass parlamentarische Politik nach eigenen Regeln läuft, die man erst erlernen muss. Wie der frische Azubi, der „den Spannungsabfall wegwerfen“ soll, oder den man „100 Gramm Lotrecht“ kaufen schickt, fühlt man sich bisweilen als frischer Abgeordnete.
Es ist offenbar üblich, bei Redebeiträgen des politischen Gegners nicht zu klatschen, egal wie gut sie waren. Man muss den Parlamentspräsidenten ansprechen zu Beginn einer Rede. Redebeiträge sind minutengenau ausgehandelt, das Verlassen und Wiederbetreten des Saals kurz vor und nach Abstimmungen folgt gewissen Regeln.
Das kann man blöd finden oder nicht – man muss damit leben. Man muss zwar nicht jeden Mist mitmachen, aber an gewisse Gepflogenheiten muss man sich halten, oder vielmehr: Man muss lernen, sie sich zunutze zu machen.
Ein Beispiel parlamentarischen Geschäfts sind die sogenannten Kleinen Anfragen, die jeder Abgeordnete an die Regierung richten darf. Die Regierung übergibt diese zur Beantwortung an die zuständigen Ministerien, von denen die Antworten innerhalb von vier Wochen erfolgen sollen.
Mit den Kleinen Anfragen adressiert der Abgeordnete oftmals Probleme aus seinem Wahlkreis oder aus seinem politischen Wirkungsbereich. Ziel soll sein, Informationen aus der Administration herauszukitzeln, oder ein Bekenntnis oder eine Aussage der Regierung zu einem Thema zu erlangen.
Es gehört offenbar auch zu den politischen Gepflogenheiten, mit kleinen Anfragen zu provozieren, indem man die Administration damit flutet (indem man z.B. nach den Lehrerzahlen diverser Gemeinden fragt – für jede Gemeinde einzeln in einer eigenen Anfrage) oder populistische, nahezu beleidigende Überschriften wählt (z.B. „Gefährdet die Rot-Grüne Landesregierung die Sicherheit und Ordnung im Kreis Paderborn„). An diesen Gepflogenheiten möchte ich mich übrigens nicht beteiligen.
Umgekehrt ist es üblich, um exakte Antworten herumzulavieren, indem man Fragen möglichst spitzfindig interpretiert und nur genau das daraus beantwortet, was man verstanden haben will.
Ich durfte das bei der Antwort zu meiner Anfrage „Berücksichtigung des Haftungsrisikos der West-LB gegenüber Kommunen“ erfahren.
Um kurz auszuholen, worum es in dieser Anfrage ging: Derzeit klagen Städte und Gemeinden aus Nordrhein-Westfalen wegen Derivatgeschäften gegen die West-LB, welche ihnen zur Zinsoptimierung angeboten und verkauft wurden. Dazu wurden Zins-Swap-Geschäfte abgeschlossen, welche eine Wette auf ein Zinsdifferenzverhältnis verschiedener Währungen darstellten. Die Kommunen beklagen, unzureichend über Risiken aufgeklärt und beraten worden sein.
In einem ersten Verfahren hat die Stadt Ennepetal am 11. Mai 2012 vom Landgericht Düsseldorf in erster Instanz Recht bekommen, Verluste in Höhe von rund 10 Millionen Euro aus solchen Derivaten muss die West-LB tragen.
Ich wollte wissen, welches Haftungsrisiko durch laufende Prozesse auf die WestLB zukommt. Dazu fragte ich, welche und wie viele Gemeinden gegen die WestLB klagen, welche Ansprüche die Gemeinden anmelden, und welche Vorsorge die WestLB dafür getroffen hat. Natürlich geht es mir darum, festzustellen, ob diese Summen ausreichen berücksichtigt worden sind.
Die Antwort erhielt ich diese Woche. Ich muss feststellen, dass sich das Wirtschaftsministerium erfolgreich um eine konkrete Antwort herumgedrückt hat, indem sie meine Fragen geschickt interpretiert hat.
So antwortete man beispielsweise auf meine Frage nach den Ansprüchen, die die Gemeinden angemeldet haben:
Die von den 26 klagenden Kommunen geltend gemachten Schadenersatzforderungen betragen insgesamt 11.811.733,51 EUR. Darüber hinaus klagen die Kommunen auf die Rückabwicklung der zugrunde liegenden Geschäfte.
Dass es mir natürlich in erster Linie um das Volumen der rückabzuwickelnden Geschäfte geht, hat das Ministerium erfolgreich „übersehen“ – die Angabe des Risikos dieser Geschäfte fehlt. Ich habe es ja nicht exakt so gefragt. Stattdessen antwortet man nur mit den Schadenersatzzahlen – die aber nur einen (kleineren) Teil der Forderung darstellen. Das Rückabwicklungsrisiko ist deutlich größer, was man an den zu tragenden Verlusten in Höhe von 10 Millionen Euro für die Stadt Ennepetal sehen kann – bei 25 Gemeinden wird das Risiko insgesamt also ein Vielfaches davon sein.
Danke, liebes Wirtschaftsministerium, für diesen Azubi-Initiationsritus. Mich lehrt das, die Fragen in Zukunft noch viel präziser zu stellen, das weniger Ausweichmöglichkeiten verbleiben.
Besonders schön ist die Antwort auf meine Frage, welche Risikovorsorge die WestLB denn getroffen habe. Man antwortet:
Die WestLB AG, die seit dem 01.07.2012 als Portigon AG firmiert, hat für die genannten Rechtsrisiken bei diesen Geschäften eine entsprechende Risikovorsorge vorgenommen, die sie für derzeit angemessen hält.
Auch hier bin ich selbst schuld. Ich habe ja nicht nach der Höhe gefragt.