LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
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Drucksache 16/8644 |
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12.05.2015 |
Antrag
der Fraktion der CDU
Nordrhein-Westfalens Wirtschaft braucht Freihandel – Wachstumschancen von TTIP nutzen
Nordrhein-Westfalens Wirtschaft wächst seit Jahrzehnten unterdurchschnittlich. So ist die Wirtschaft in den westdeutschen Flächenländern zwischen 1991 und 2013 um mehr als 9 Prozentpunkte stärker gewachsen als in Nordrhein-Westfalen. Allein zum Freistaat Bayern beträgt die Wachstumslücke seit dem Jahr 2000 mehr als 9 Prozentpunkte. Die Unternehmensberatung McKinsey hat berechnet: Ohne diese Wachstumslücke hätten wir heute mehr als 300.000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Damit wäre die Arbeitslosigkeit in unserem Land fast halbiert. Außerdem ständen dem Land jährlich Steuermehreinnahmen von mindestens 3,2 Mrd. € zur Verfügung. Anstatt ständig neue Schulden zu machen, könnte Nordrhein-Westfalen seine Schulden zurückzahlen. Nordrhein-Westfalen braucht daher dringend eine Politik für mehr Wachstum.
Nordrhein-Westfalen ist Exportland: Die Exportquote des verarbeitenden Gewerbes in Nordrhein-Westfalen lag 2014 bei 45%. Die Exportquote der nordrhein-westfälischen Unternehmen des Maschinenbau, der Metallindustrie und der chemischen Industrie lag sogar bei 63%. Wachstumsorientierte Politik muss daher auch die Exportchancen der nordrhein-westfälischen Industrie in den Blick nehmen.
Der wichtigste Markt für nordrhein-westfälische Unternehmen ist die EU. 2014 haben nordrhein-westfälische Unternehmen Waren im Wert von 116 Mrd. Euro in Länder der EU exportiert. Wichtigster außereuropäischer Absatzmarkt sind die USA: 2014 wurden Waren im Wert von 11,9 Mrd. Euro in die Vereinigten Staaten geliefert. Die USA sind aktuell das fünftwichtigste Exportland für unsere heimische Industrie – vor China und Italien. Tendenz steigend: Während die gesamte Exportsumme von 2008 bis 2013 um 4,7% stieg, wuchs die Exportsumme in die USA im gleichen Zeitraum um 25,4%.
Entsprechend große Bedeutung messen nordrhein-westfälische Unternehmen den Verhandlungen über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) mit den USA zu: 62% der nordrhein-westfälischen Unternehmen sprechen sich für einen zügigen Abschluss der Verhandlungen aus. Bei bereits in den USA aktiven Unternehmen sprechen sich sogar 80% für den Abschluss eines solchen Abkommens aus. 85,4% der exportierenden Unternehmen erwarten positive wirtschaftliche Effekte durch die Anpassung/gegenseitige Anerkennung von Normen, Standards und Zertifizierungen, 60% durch den Abbau von Zöllen. Allein der Abbau der mit durchschnittlich 6 Prozent bereits heute geringen Zölle würde nach Berechnungen des IW Köln für die deutsche Industrie jährlich Kosten in Höhe von 3,5 Mrd. Euro einsparen. Nichttarifäre Barrieren (z.B. unterschiedliche Regulierungen, unterschiedliche Zulassungsverfahren) wirken im EU-US-Handel sogar durchschnittlich wie ein Zoll von etwa 20 Prozent. Um die mit TTIP verbundenen Wachstumschancen zu nutzen, muss sich Nordrhein-Westfalen für einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen einsetzen.
I. Der Landtag stellt fest
Der Landtag begrüßt die laufenden Verhandlungen der Europäischen Union mit den USA zum Abschluss eines Freihandels- und Investitionsabkommens. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Bekämpfung von Protektionismus langfristig jeder Volkswirtschaft nutzt und Arbeitsplätze und Wohlstand im eigenen Land schafft. Der „europäische Binnenmarkt“ hat Nordrhein-Westfalen besonders genutzt und muss jetzt auf den transatlantischen Raum ausgeweitet werden.
Der Landtag stellt fest, dass der freie Handel und freie Direktinvestitionen für Wohlstand und Wachstum in Deutschland von größter Bedeutung sind. Gerade für das Industrie- und Exportland Nordrhein-Westfalen ist Freihandel existenziell – ohne Freihandel wäre der Lebensstandard in Nordrhein-Westfalen nur halb so hoch wie heute. Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten, dass durch den Abbau von Handels- und Investitionshemmnissen Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze auch in Nordrhein-Westfalen gesichert und neue Beschäftigungs- und Ausbildungsverhält-nisse entstehen können. Die Europäische Union und die USA stehen gemeinsam für rund ein Drittel des Welthandels. 50 Prozent der Weltproduktion und ein Drittel des weltweiten Waren- und Dienstleistungshandels sind hier gebündelt. TTIP schafft einen Wirtschaftsraum mit 817 Mio. Einwohnern, der damit zu Indien und China aufschließt. Ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen könnte ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 3,5 Prozentpunkten über die kommenden 10 Jahre auslösen. Dies entspricht jährlichen Steuermehreinnahmen von etwa 1,2-1,4 Mrd. Euro allein für das Land Nordrhein-Westfalen.
Der Landtag warnt vor einem Scheitern der Verhandlungen. Denn TTIP stärkt nicht nur die Handelsbeziehungen mit den USA, es bietet auch die Chance, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten Regulierungsstandards festzulegen, die Grundlage für die Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) werden könnten. TTIP wirkt damit über seinen eigentlichen Regelungsbereich hinaus und könnte zur Blaupause eines freien Welthandels werden. Parallel zu TTIP verhandeln die USA auch mit China und weiteren Pazifik-Anrainern über ein Freihandelsabkommen (FTAAP). Scheitert TTIP, werden zukünftig die Standards der Weltwirtschaft nicht zwischen Europa und Nordamerika, sondern zwischen Asien und Nordamerika ausgehandelt – zum Schaden und zum Nachteil unserer Konsumenten und unserer Wirtschaft und zu Lasten der durch Europa gesetzten hohen sozialen und ökologischen Standards.
Der Landtag erwartet durch TTIP einen spürbaren Abbau bei Regelungen im Bereich Zoll und Zulassung. Allein der Abbau der mit durchschnittlich 6 Prozent bereits heute geringen Zölle würde nach Berechnungen des Instituts für Wirtschaft Köln für die heimische Industrie jährlich Kosten in Höhe von 3,5 Mrd. Euro einsparen. Noch wichtiger ist ein Abbau der nichttarifären Barrieren (z.B. unterschiedliche Regulierungen, unterschiedliche Zulassungsverfahren), die im EU-US-Handel durchschnittlich wie ein Zoll von etwa 20 Prozent wirken. Nichttarifäre Barrieren versperren damit insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen oft den Marktzutritt. Ein Abbau der tarifären und nichttarifären Regelungen sichert bestehende und schafft neue Arbeitsplätze. Er bedeutet für Verbraucher niedrigere Preise sowie eine höhere Produktvielfalt.
Der Landtag sieht in TTIP die Chance, gewerbliche Schutz- und Urheberrechte zu harmonisieren. Sie sind Grundlage einer innovativen Wirtschaft. Gerade hier bestehen aber große Unterschiede zwischen den USA und der Europäischen Union.
Der Landtag ist davon überzeugt, dass deutsche Sicherheitsstandards durch TTIP nicht abgesenkt werden. Der pauschale Vorwurf mancher TTIP-Gegner, die hohen EU-Standards würden zu Gunsten niedriger oder nicht existierender US-Standards abgesenkt, ist in der Sache gleich mehrfach falsch. So sind die Standards in Europa nicht generell höher als in den USA. Im Gegenteil: Gerade bei Kinderspielzeug oder Lebensmitteln sind viele Standards in den USA höher als in der Europäischen Union. TTIP sorgt für die gegenseitige Anerkennung gleichwertiger Standards und schafft unnötige weil doppelte Zulassungsverfahren ab. Gerade bei Industrieprodukten zielen die Produktvorschriften dies- und jenseits des Atlantiks auf ein ähnliches Sicherheitsniveau ab, die sich oft nur in technischen Details unterscheiden. Diese Unter-schiede sorgen aber für hohe Zusatzkosten bei Produktion und Zulassung, ohne die Sicherheit des Produktes tatsächlich zu verbessern. Wenn zum Beispiel ein Auto den Sicherheitsnormen in der Europäischen Union entspricht und zugelassen ist, muss es bislang in den USA einem weiteren Zulassungsverfahren unterzogen werden. Und das, obwohl die Sicherheitsstandards in beiden Ländern sehr ähnlich sind. Eine gegenseitige Anerkennung der Sicherheitsstandards und Zulassungsverfahren würde deutsche Sicherheitsstandards weder aushöhlen noch absenken, gleichzeitig jedoch die Unternehmen von hohen Zusatzbelastungen befreien. Anders ist dies bei Lebensmitteln: Hier resultieren unterschiedliche Produktstandards aus unterschiedlichen Vorlieben der jeweiligen Bevölkerung. Eine Vereinheitlichung der Standards wäre hier nicht sinnvoll und wird daher vom Europäischen Parlament abgelehnt. Auch zukünftig wird es deshalb kein Chlorhühnchen in Europa geben und genveränderte Lebensmittel müssen weiterhin gekennzeichnet werden.
Der Landtag nimmt die Sorgen der Bürger ernst. Er lehnt jedoch Versuche ab, unbegründete Sorgen und Ängste bezüglich TTIP zu schüren. Europäer wie Amerikaner haben das Ziel vereinbart, dass es weder beim Verbraucherschutz noch bei Umwelt- und Datenschutz oder der Nahrungsmittelsicherheit geringere Standards geben wird.
Der Landtag weist darauf hin, dass entgegen vielfacher Behauptungen in der Öffentlichkeit der Schutz regionaler Marken und Produkte durch TTIP keineswegs in Frage gestellt wird. Das Gegenteil ist richtig: Die Europäische Union setzt sich in den Verhandlungen sogar für einen besseren Schutz von Ursprungsangaben ein. Die Sicherung geschützter geographischer Herkunftsbezeichnungen ist ein elementarer Bestandteil des TTIP-Verhandlungsmandats der EU-Kommission und stellt für die europäische Delegation eine ihrer Prioritäten dar. „Kölsch“, „Aachener Printen“ und „Westfälischer Schinken“ dürfen daher auch in Zukunft nur in den für sie namensgebenden Regionen produziert werden. Mehr noch: erst durch TTIP können regionale Spezialitäten und Marken aus Europa auch auf dem US-amerikanischen Markt geschützt werden.
Der Landtag stellt sich hinter das Bestreben der EU-Kommission, die kulturelle Vielfalt in Europa auch im Rahmen eines Freihandelsabkommens mit den USA abzusichern und zu stärken. Dabei teilen wir die Forderung aus dem Kulturbereich, im Rahmen von TTIP die besonderen Anforderungen und Belange von Kunst und Kultur zu berücksichtigen. Audiovisuelle Dienstleistungen wie die Bereiche der Filmförderung und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind zu Recht nicht Gegenstand der Verhandlungen. Auch die Buchpreisbindung steht nicht zur Debatte. Die Kommission hat immer wieder betont, dass sie das kulturelle Erbe Europas und dessen Förderung keinerlei Gefahr aussetzen wird. Wir unterstützen dieses Anliegen nachdrücklich.
Der Landtag unterstützt die von europäischer Seite in die Verhandlungen eingezogenen „Leitplanken“: öffentliche Daseinsvorsorge (insb. Wasser), freie Berufe und Handwerk sowie audiovisuelle Dienstleistungen sind von den Verhandlungen über TTIP ausgeschlossen. Wir teilen das klare Bekenntnis der Bundesregierung zu der Bedeutung der Daseinsvorsorge, der Wichtigkeit des Subsidiaritätsprinzips und der Erhaltung der Gestaltungshoheit der Kommunen bei der Daseinsvorsorge.
Der Landtag begrüßt, dass im Rahmen der Verhandlungen neue Standards für internationale Investitionsschutzklauseln gesetzt werden sollen. Deutschland hat bislang mehr als 130 Investitionsabkommen mit Investitionsschutzklauseln geschlossen. Sie schützen Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland und sichern so auch Arbeitsplätze in unserem Land. Sie bedürfen überwiegend einer Überarbeitung, da die Verfahren oftmals intransparent sind und die Regelungen große Interpretationsspielräume bei der Auslegung der Rechtsbegriffe bieten. TTIP bietet hier die Chance, neue Standards für Investitionsschutzklauseln zu setzen, das internationale Investitionsrecht zukunftsfähig zu gestalten und bisherige Schwachstellen auszuräumen.
Der Landtag plädiert für eine sachliche Diskussion über die Notwendigkeit von Schiedsgerichten. Auch in einer demokratischen Rechtsordnung wie derjenigen der USA müssen Unternehmen vor willkürlichen staatlichen Entscheidungen geschützt werden. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich bei Streitfragen an eine neutrale Instanz zu wenden. Dies gilt im besonderen Maße für kleine und mittlere Unternehmen, für die Fragen der Investitionssicherheit einen existenziellen Charakter entwickeln können.Solange sichergestellt ist, dass Besetzung und Arbeitsweise der Schiedsgerichte rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen und ein hohes Maß an Transparenz aufweisen, gibt es keinen Grund, sie kategorisch abzulehnen.
II. Der Landtag beschließt
1. Der Landtag fordert von der Landesregierung, sich für einen erfolgreichen Abschluss des Abkommens einzusetzen und die Bundesregierung hierbei zu unterstützen. Gerade für das Exportland Nordrhein-Westfalen bietet TTIP große Chancen. Die Landesregierung muss diese ergreifen und sich im Bundesrat für eine Ratifizierung von TTIP stark machen.
2. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, öffentlich für TTIP zu werben und durch eine Aufklärungskampagne den Menschen im Land Sorgen vor dem Abkommen zu nehmen. Aufgrund der derzeit überzogenen Kritik schwindet allmählich die Akzeptanz in der Bevölkerung. Hier ist die Landesregierung aufgefordert, zum Wohle des Landes gegenzusteuern.
Armin Laschet
Lutz Lienenkämper
Ilka von Boeselager
Hendrik Wüst
und Fraktion