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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/8110

 

10.03.2015

 

 

 

 

Antrag

 

der Fraktion der PIRATEN

 

 

Generalangriff auf freie WLAN-Netzwerke stoppen: Verschärfung der Störerhaftung muss ver­hindert werden!

 

 

I.       Sachverhalt

 

Im §8 des Telemediengesetzes (TMG) ist das sogenannte Providerprivileg von Internet-Dienstean­bietern geregelt. Hierin ist niedergelegt, dass Dienstanbieter für fremde Informationen, die durch ihre Netze und Angebote durchgeleitet werden, ohne eigene Kenntnis oder Mitwirkung grundsätzlich nicht verantwortlich sind.

 

In der deutschen Rechtsprechung gab es bisher unterschiedliche Interpretationen, ob derjenige, der einen drahtlosen Netzwerkzugang bereitstellt, ebenso als Internet-Diensteanbieter zu gelten hat, und inwieweit er von der Haftung für fremde Inhalte freigestellt ist. Aufgrund dieser Unklarheiten hat sich eine Abmahnindustrie darauf spezialisiert, Betreiber von WLAN-Netzwerken abzumahnen, indem ihnen Verantwortung für fremde Inhalte aufgrund einer angenommenen Störerhaftung zugewiesen wird.

 

Die Bundesregierung plant, den §8 des Telemediengesetzes zu überarbeiten. Es sollen zwei weitere Absätze hinzugefügt werden, die zur rechtlichen Klarstellungen dienen sollen. Ein entsprechender Entwurf ist an die Öffentlichkeit gelangt. Dieser gibt Anlass zu Besorgnis, denn er führt zu einer Ver­schlechterung der Lage von WLAN-Anbietern und ruft neue rechtliche Unsicherheiten hervor.

 

Zwar wird im Entwurf die Haftungsfreistellung explizit auf Betreiber von WLAN-Netzwerken ausge­dehnt. Gleichzeitig wird dem Netzwerkbetreiber auferlegt "zumutbare Maßnahmen" zu ergreifen, um Missbrauch zu verhindern. Es soll, so der Entwurf, "in der Regel durch Verschlüsselung oder ver­gleichbare Maßnahmen" verhindert werden, dass sich "außenstehende Dritte" unberechtigten Zugriff auf das jeweilige WLAN verschaffen.

 

Damit ist der Betrieb eines echten Freifunknetzes nicht mehr möglich. Dieses richtet sich ausdrücklich an jedermann im Netzbereich, ohne dass die Identität jedes Nutzers bekannt ist. Gerade durch den Verzicht auf Verschlüsselung oder Zutrittskontrolle steht ein solches Netz jedem Menschen im Ein­zugsbereich zur Verfügung, auch Passanten und Besuchern. Es ist schlichtweg nicht möglich, jeden im Einzugsbereich eines Freifunknetzes zu registrieren und zu identifizieren. Der "digitale Schluck Wasser", den man seinen Nachbarn und Passanten seines Hauses anbieten möchte, wird dadurch faktisch ausgeschlossen.

 

Dies ist ein fatales Signal für den Standort Deutschland: In nahezu allen Ländern Europas ist ein freier WLAN-Zugang an allen Orten eine Selbstverständlichkeit. Man kann sich überall in den Städten und öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen und findet an vielen Orten freie Netzwerkzugänge ohne Regist­rierung und Namenspflicht. Nur in Deutschland kann es solche Zugänge dann nicht mehr geben. Da­mit schließt sich Deutschland selbst vom digitalen Fortschritt, Partizipation und Teilhabe im Netz aus. Die Breitbandstrategie von Bund und Ländern wird konterkariert. Breitbandzugang, der laut Bundes­gerichtshof Teil der materiellen Lebensgrundlage der Menschen ist, wird verkompliziert und verwehrt.

 

Aber selbst ein verschlüsseltes WLAN mit Zutrittskontrolle ist nicht sicher darstellbar. Wie Passanten eines WLANs in zumutbarer Weise identifiziert werden sollen, ist vollkommen unklar und wird auch wieder Gegenstand von juristischer Klärung und neuen Abmahnwellen sein. Die Erfassung und Spei­cherung von Nutzern stellt ihrerseits ein Datenschutzrisiko dar. Durch die Identifikation und Vorrats­datenspeicherung innerhalb der WLANs werden Bewegungsprofile möglich. Eine solche Speicherung auf Ebene der Netzwerke ist mit dem Gebot der Datensparsamkeit nicht zu vereinen.

 

Weiter sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Nutzer des WLAN explizit einwilligen sollen, in der Nut­zung des Dienstes keine Rechtsverletzungen zu begehen. Eine solche Einwilligung ist ein rein forma­ler Akt und bestätigt eine Selbstverständlichkeit, welche niemand von Rechtsverletzungen abhält, der solche zu begehen plant. Sie ist inhaltlich unwirksam und stellt Zugangsanbieter vor Probleme, eine solche Zustimmung rechtssicher einzuholen und zu dokumentieren. Die Probleme der Störerhaftung werden mit den vorgesehenen Änderungen nicht aus dem Weg geräumt, sie werden verschärft.

 

Im vorliegenden Entwurf findet sich ein Formulierungsvorschlag, der Anbietern, die den Zugang nicht "anlässlich einer geschäftsmäßigen Tätigkeit oder als öffentliche Einrichtung zur Verfügung stellen", auferlegt, auch den Namen des Nutzers zu kennen. Dies beträfe dann neben allen Privatleuten auch alle Freifunk-Anbieter. Wie Privatleute und Freifunk-Anbieter den tatsächlichen Namen aller ihrer Be­sucher feststellen und speichern sollen, ist vollkommen unklar und technisch sowie rechtlich nicht sicher darstellbar.

 

Im Übrigen kann ein Rechtsverstoß ohnehin nicht einer einzelnen Person zugeordnet werden, da alle Nutzer in einem WLAN-Netzwerk unter derselben IP im Internet unterwegs sind, und die Aufzeich­nung, wer dieser Benutzer wann, welche Inhalte im Netz abgerufen hat, gegen das Recht auf informa­tionelle Selbstbestimmung der Benutzer verstößt.

 

Zur rechtssicheren Erfüllung dieser Auflage wären sonst ausgerechnet gerade die privaten Betreiber von WLAN-Netzwerken zu einer sogenannten „Deep Packet Inspection“ sowie einer vollständigen Vorratsdatenspeicherung genötigt. Unter Deep Packet Inspection ist zu verstehen, Datenpakete in­haltlich zu überwachen und zu filtern. Es müssten sowohl der Datenteil als auch der Headerteil des Datenpaketes untersucht werden, um festzustellen und zu speichern, wer welche Inhalte wann aufge­rufen hat. Ein tatsächlicher, vom Nutzer beabsichtigter Missbrauch eines offenen Netzzuganges würde damit in keinem Fall verhindert.

 

§10 des Telemediengesetzes regelt, wann Provider für Daten haften, die sie für einen Nutzer spei­chern. Bislang tritt diese Haftung erst nach Kenntnis eines rechtswidrigen Vorgangs ein, auch hier profitiert der Provider von einem Haftungsprivileg für fremde Inhalte.

 

Dieses Privileg soll nun eingeschränkt werden. Der Entwurf sieht vor, "besonders gefahrgeneigte Dienste" zu definieren, auf die das Privileg nicht anzuwenden ist. Ein solcher Dienst sei dadurch ge­kennzeichnet, dass

 

·         "die Speicherung oder Verwendung der weit überwiegenden Zahl der gespeicherten Informationen rechtswidrig erfolgt",

·         "der Diensteanbieter durch eigene Maßnahmen gezielt die Gefahr einer rechtsverletzenden Nut­zung fördert",

·         "in vom Diensteanbieter veranlassten Werbeauftritten mit der Nichtverfolgbarkeit bei Rechtsverstö­ßen geworben wird" oder

·         "keine Möglichkeit besteht, rechtswidrige Inhalte durch den Berechtigten entfernen zu lassen".

 

 

Was eine "weit überwiegende Zahl" ist, wie diese festgestellt wird und welches eigene Maßnahmen sind, eine solche Gefahr zu fördern, ist vollkommen unklar und wird Gegenstand von rechtlichen Aus­einandersetzungen und neuen Abmahnungswellen sein. Prinzipiell kann jeder Speicheranbieter ge­nutzt werden, auch illegale Inhalte abzuspeichern - es kann aber nicht die Lösung sein, ganze Dienst­klassen zu kriminalisieren.

 

Gerade Anbieter von Cloud-Dienstleistungen in Deutschland werden sich mit Problemen der Ausle­gung auseinandersetzen müssen, welches den digitalen Gründerstandort Deutschland erneut schwächt. Eine Haftung für fremde Inhalte auch ohne Kenntnis davon macht den Betrieb eines sol­chen Dienstes unmöglich.

 

Mit Drucksache 16/4427 hat der Landtag NRW in einem gemeinsamen Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piratenpartei die Landesregierung aufgefordert, auf die Beschränkung des Haf­tungsrisikos für die Betreiberinnen und Betreiber offener WLANs durch eine Ausweitung der Haf­tungsprivilegierung für Access-Provider gemäß §8 Telemediengesetz hinzuwirken sowie die stärkere Verbreitung offener Zugänge zum Internet zu fördern.

 

Der derzeitige Entwurfsstand des Telemedien-Änderungsgesetzes erfüllt diese Forderungen nicht nur nicht, er sorgt sogar für eine Verschlechterung der Lage. In ihrer Regierungserklärung vom 29.01.2015 hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die Bedeutung des digitalen Wandels herausge­stellt und erklärt, den notwendigen Beitrag leisten zu wollen, diesen Wandel zum Wohle des Landes, seiner Wirtschaft und seiner Bürgerinnen und Bürger zu gestalten. Gerade die konsequente Hinwen­dung zur Digitalisierung bietet Chancen für unsere Wirtschaft, wie sie die Ministerpräsidentin in ihrer Rede betonte. Auch die Bedeutung von frei zugänglichen WLAN für unser Land hat sie herausgestellt.

 

Der vorliegende Entwurf stellt einen Rückschritt auf dem Weg zur Informationsgesellschaft dar und steht dem digitalen Wandel im Weg.

 

 

II.      Der Landtag stellt fest

 

·         Der unbeschränkte Zugang zu freien Netzen an möglichst vielen Orten ist Voraussetzung eines erfolgreichen Wandels zur Informationsgesellschaft. So wird das Grundrecht auf breitbandigen Internetzugang unterstützt, welcher zur materiellen Daseinsvorsorge aller Menschen gehört.

·         Betreiber offener Netzzugänge müssen dem Providerprivileg unterliegen, ganz gleich ob der Zu­gang per WLAN oder kabelgebunden erfolgt, ganz gleich ob der Zugang aus kommerziellen oder nicht geschäftsmäßigen Gründen zur Verfügung steht.

·         Der Landtag begrüßt die Absicht, das Providerprivileg in §8 TMG grundsätzlich auch auf WLAN -Betreiber auszudehnen.

·         Die vorgesehenen Kontroll-, Identifikations-, Belehrungs- und Aufzeichnungspflichten stellen Betreiber vor neue Haftungsrisiken und ungeklärte technische und rechtliche Probleme, ohne dass sie zu zusätzlicher Sicherheit vor Rechtsverletzungen führen.

·         Hürden und Einschränkungen von offenen Netzwerkzugängen sind kontraproduktiv für den digita­len Wandel.

·         Innovative Anbieter neuer Cloud-Dienstleistungen dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden.

 

 

III.    Der Landtag fordert die Landesregierung auf

 

·         sich auf allen politischen Ebenen dafür einzusetzen, dass die Änderung des Telemediengesetzes auf die Klarstellung beschränkt bleibt, dass die Haftungsfreistellung gem. §8 TMG auch für Anbieter von WLAN-Zugängen gilt,

·         sich gegen Kontroll-, Identifikations-, Belehrungs- und Aufzeichnungspflichten einzusetzen, die WLAN-Betrei­bern auferlegt werden sollen,

·         sich gegen die Einführung neuer "besonders gefahrgeneigter Dienste" in §10 TMG einzusetzen, welche für gespeicherte Inhalte ihrer Nutzer auch ohne Kenntnis haften sollen.

 

 

 

Dr. Joachim Paul

Marc Olejak

Daniel Schwerd

 

und Fraktion


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