LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
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Drucksache 16/7167 |
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28.10.2014 |
Antrag
der Fraktion der FDP
Abstand nehmen von der Gebührenfinanzierung der Regelkontrollen in der Lebensmittelüberwachung
I. Ausgangslage
Die Lebensmittelüberwachung ist in erster Linie ureigene Aufgabe der Unternehmen in der Lebens- und Futtermittelwirtschaft. Vom Acker bis zum Teller stehen Hersteller, Einzelhandel und Dienstleister in der Verantwortung, die lebensmittel- und futterrechtlichen Vorgaben zu erfüllen, um Verbraucher zu schützen. Der Schutz des Verbrauchers vor Gesundheitsschäden, irreführenden Angaben und Täuschung erfordert systematische Eigenkontrollen nach zertifizierten Qualitätsmaßstäben.
Zudem unterliegen die Unternehmen aus der Lebensmittelkette aufgrund auch europarechtlicher Vorgaben einer regelmäßigen amtlichen Kontrolle. Bisher galt der Grundsatz, dass die amtliche Lebensmittelüberwachung durch Pflichtkontrollen eine ordnungsbehördliche Tätigkeit im öffentlichen Interesse und damit Bestandteil der staatlichen Daseinsvorsorge ist, die aus Steuermitteln finanziert wird. Behördliche Regelkontrollen sind demnach keine Dienstleistung für den Lebensmittelunternehmer, für die Gebühren erhoben werden könnte.
In Zeiten knapper öffentlicher Kassen wird dieser Grundsatz jedoch von Seiten der Länder in Frage gestellt. Der Bundesrat hat am 11. Oktober 2013 in seiner Stellungnahme zur Revision der Verordnung (EG) 882/2004 bereits beschlossen [BR-Drs. 412/13 (Beschluss) (2)], dass die EU-Mitgliedstaaten zur Gebührenerhebung bei Regelkontrollen verpflichtet werden sollten. Denn die Umstellung der Steuerfinanzierung auf eine Gebührenfinanzierung ermöglicht die Entlastung der öffentlichen Haushalte zulasten von Verbrauchern und Unternehmen.
Sollte dieser Vorstoß Schule machen, könnte konsequenterweise auch bald die Forderung erhoben werden, dass für das Durchführen routinemäßiger Geschwindigkeitskontrollen im Straßenverkehr – selbst bei vorschriftsmäßigem Fahren – Gebühren erhoben werden sollen.
Eine Vorreiterrolle in dem Bestreben, bei Verbrauchern und Mittelstand durch zusätzliche Gebühren abzukassieren, haben bisher die unter rot-grüner Schuldenpolitik leidenden Bundesländer Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen eingenommen. Der niedersächsische grüne Verbraucherschutzminister Christian Meyer hat mit der Novellierung der „Verordnung über Gebühren für den Verbraucherschutz und die Veterinärverwaltung und der Änderung der Allgemeinen Gebührenordnung“ bereits die Einführung einer Pflichtgebühr für amtliche Regelkontrollen in Niedersachsen vorgesehen.
In Nordrhein-Westfalen bereitet sein grüner Amtskollege, Verbraucherschutzminister Johannes Remmel, die Anpassung der entsprechenden Gebührenordnungen des Landes NRW vor. Verbraucherschutzpolitisch kommt dieses Vorgehen einer Kapitulation gleich. Künftig werden Bäckereien, Fleischereien, Lebensmitteleinzelhandel und Gastronomie, jeder, der in NRW gewerbsmäßig Umgang mit Lebensmitteln hat, von Rot-Grün unter den Generalverdacht gestellt, dass von ihm potentiell eine Gesundheitsgefährdung oder Verbrauchertäuschung ausgeht.
Die Pläne der Grünen-Verbraucherschutzminister sind daher auch bereits auf erhebliche öffentliche Kritik gestoßen. Insbesondere auch der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure hält die Gebührenpflicht für Routinekontrollen schädlich und lehnt sie ausdrücklich ab.
Da jeder kontrollierte Betrieb bei jeder Kontrolle ohne Berücksichtigung des Kontrollergebnisses oder eines speziellen Anlasses eine Kontrollgebühr zahlen müsste, ist zu erwarten, dass die Gebühren zu einer unzumutbaren Belastung, speziell für kleine und mittlere Betriebe, führen werden. Vor allem Befürchtungen hinsichtlich einer willkürlich hohen und sachlich kaum gerechtfertigten Häufigkeit von Prüfungen und den sich daraus ergebenden Kosten sind Anlass zur Sorge. Wie die bekanntgewordenen Verordnungsentwürfe aus Niedersachsen zeigen, sind auch die Befürchtungen von teilweise sehr hohen Gebührensätzen, die weit über den eigentlichen Personal- oder Laborkosten liegen, nicht unbegründet.
Ferner ist eine Verschlechterung des Verbraucherschutzes zu erwarten. Sollten für sämtliche Kontrollen kostendeckende Gebühren anfallen, würde den Überwachungsbehörden jeglicher Anreiz auf Effizienzsteigerung und zur Verbesserung der Koordination von Kontrollmaßnahmen genommen, wenn jede Probenahme bzw. Probenuntersuchung gebührenpflichtig wird und damit zur Auslastung und Finanzierung der Untersuchungsämter beiträgt.
Um den Verbraucherschutz im Lebens- und Futtermittelbereich voran zu bringen, führt der schlichte Ruf nach dem Staat nicht weiter. Die von der Landesregierung forcierte umfassende staatliche Kontrolltätigkeit ist auch mit der Umstellung der Kontrollen auf eine Gebührenfinanzierung nicht leistbar. Ein staatlicher Kontrolleur kann nicht ständig in jedem Stall und an jeder Ladentheke überwachen.
Vielmehr ist es notwendig, die drei Säulen der Lebensmittelkontrolle, betriebliche Eigenkontrollen, amtliche Überwachung und Verbraucherverhalten, gleichermaßen zu stärken:
Die Eigenverantwortung und Selbstkontrolle der Wirtschaft sowie die staatliche Kontrolle der Eigenkontrollsysteme ist qualitativ weiterzuentwickeln und zu stärken. Lebensmittelbetriebe betreiben im Zusammenhang mit den nachzuweisenden vorgeschriebenen Hygienemanagementkonzepten (HACCP) bereits erheblichen Aufwand im Dienste der Hygieneüberwachung. Diese Eigenkontrollkonzepte sind weiter fortzuentwickeln und zu standardisieren. Sie sollen durch umfassende Qualitätsmanagement- und Produktsicherheits-Konzepte, deren verbindliche Einhaltung von unabhängigen Kontrollinstituten zertifiziert und fortlaufend überprüft wird, abgelöst werden. Ist die „Kontrolle der Kontrolleure“ künftig in erster Linie Aufgabe der amtlichen Lebensmittelkontrolle, können öffentliche Haushalte tatsächlich entlastet werden, ohne dass dies zu Abstrichen an den Standards der Lebensmittelüberwachung führt. Ferner werden die Verbraucher bei Kaufentscheidungen gestärkt, wenn Produzenten und Handel zukünftig die Qualität und Sicherheit ihrer Produkte gegenüber dem Verbraucher mittels entsprechender Zertifikate lückenlos dokumentieren und garantieren.
II. Der Landtag stellt fest:
Die Umstellung der Steuerfinanzierung der Regelkontrollen in der Lebensmittelüberwachung ausschließlich auf eine kostendeckende Gebührenfinanzierung dient einzig der Entlastung der öffentlichen Haushalte zulasten von Verbrauchern und Unternehmen sowie der Qualität der amtlichen Lebensmittelüberwachung.
Die Einführung einer allgemeinen Kostenpflicht für amtliche Regelkontrollen in den Bereichen der Lebensmittel-, Futtermittel-, Tiergesundheits-, Tierschutz- und Marktüberwachung würde zu einer weiteren von Rot-Grün geschaffenen Benachteiligung der nordrhein-westfälischen Unternehmen im nationalen und internationalen Wettbewerb führen.
Die Verbesserung der Lebensmittelüberwachung erfordert eine qualitative Fortentwicklung sowohl der betrieblichen Eigenkontrollen als auch der amtliche Überwachung. Betriebliche Eigenkontrollen, Kontrollen durch unabhängige Dritte und zertifiziertes Qualitätsmanagement sowie amtliche Kontrollen müssen künftig besser verknüpft werden und sich gegenseitig ergänzen.
III. Beschlussfassung:
Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- von der geplanten Einführung einer kostendeckenden Gebührenfinanzierung bei Regelkontrollen in der Lebensmittelüberwachung Abstand zu nehmen und die diesbezüglichen Pläne aufzugeben;
- Bestrebungen auf europäischer Ebene zur Einführung einer Gebührenpflicht bei Regelkontrollen in der Lebensmittelüberwachung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger sowie der mittelständischen Betriebe in NRW konsequent entgegenzutreten;
- sich auf europäischer und Bundesebene für die verpflichtende Einführung von wirksamen Eigenkontrollsystemen auf Basis eines umfassenden und zertifizierten Qualitätsmanagement- und Produktsicherheits-Konzeptes, deren Einhaltung durch betriebliche Eigenkontrollen sowie unabhängige Kontrollinstitute sicherzustellen ist, einzusetzen.
Christian Lindner
Christof Rasche
Ralph Bombis
Henning Höne
Dietmar Brockes
Kai Abruszat
und Fraktion