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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/5276

 

18.03.2014

 

 

 

 

Antrag

 

der Fraktion der PIRATEN

 

 

 

 

Zeitgemäße Evaluierungskultur für Wirtschaftsförderprogramme aufbauen – Wirksamkeit und Transparenz sicherstellen

 

 

I.             Sachverhalt

 

Zu den Grundlagen einer guten Wirtschaftspolitik gehört die Wirksamkeitsprüfung der bestehenden Förderprogramme. Dabei werden die Programme auf Effektivität (erreicht eine Maßnahme ihr Ziel?) und Effizienz (welche Maßnahme erreicht ihr Ziel zu geringstmöglichen Kosten?) geprüft. Besonders in Zeiten einer angespannten Haushaltslage muss die Landesregierung dafür Sorge tragen, dass die Förderprogramme ihre wirtschaftspolitische Zielsetzung erreichen und keine Steuergelder verschwendet werden. In Nordrhein-Westfalen beträgt die Projektförderung des Wirtschaftsministeriums 309 Millionen Euro für das Haushaltsjahr 2014 nach Abzug von Verwaltungskosten und institutioneller Förderung.

 

Der Qualität der Evaluierungen kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. In den letzten Jahren ist es der Wissenschaft gelungen, das Evaluierungsinstrumentarium deutlich zu verbessern. Um diese neuen wissenschaftlichen Standards für die Wirtschaftspolitik fruchtbar zu machen, hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (heute Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) ein Gutachten[1] mit Empfehlungen erarbeitet. Dabei kommt der Beirat zu dem Urteil, „dass die Möglichkeiten der modernen Evaluierungsforschung in der Evaluierung wirtschaftspolitischer Fördermaßnahmen in Deutschland derzeit nicht ausreichend ausgeschöpft werden.“ Das Gutachten stellt weiterhin fest, dass die Evaluierung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in Deutschland sowie wirtschaftspolitischen Maßnahmen im Ausland  bereits weiter entwickelt sei.

 

Die moderne Evaluierungsmethodik kann durch den Einsatz von randomisierten Feldexperimenten und quasi-experimentellen Analysemethoden klare Aussagen zu der Wirkung von Fördermaßnahmen treffen. Bis jetzt werden aber nur wenige Förderbereiche auf diese Weise evaluiert. Stattdessen kommen oftmals nur Prozessevaluierungen und Teilnehmerbefragungen zum Einsatz. Diese Art der Evaluierung genügt der Evaluierungsforschung jedoch heutzutage nicht mehr, wie das Gutachten klarstellt: „Auch ist nicht alles, was sich in der bisherigen Praxis Evaluierung nennt, eine Evaluierung im Sinne dieses Gutachtens, die Mindestanforderungen der empirisch-kausalanalytischen Wirkungsforschung wie dem Vergleich von geförderten mit vergleichbaren nicht geförderten Objekten genügen muss.“

 

Evaluierungen mit ungenügender methodischer Grundlage stellen eine Gefahr für die Wirksamkeitsbetrachtung der wirtschaftspolitischen Instrumente dar, da sie leicht zu irreführenden Schlussfolgerungen führen. So können rein qualitative Wirkungskontrollen, zum Beispiel die in Nordrhein-Westfalen oft benutzte Teilnehmerbefragung, für sich genommen noch keine belastbaren Aussagen zu der Wirksamkeit der Förderprogramme treffen. Das Gutachten beschreibt diese Problematik wie folgt: „Beispielsweise könnten im Rahmen eines Förderprogramms, das Beratungsleistungen für die Innovationstätigkeit von KMU finanziert, die geförderten Unternehmen über die Art und Weise befragt werden, wie sie die Fördermittel eingesetzt haben, und inwiefern sie denken, dass dies ihre unternehmerischen Prozesse verbessert hat. Solche Informationen sind durchaus nützlich, um mögliche Wirkungsmechanismen besser zu verstehen. Sie erlauben aber keine kausale Wirkungsanalyse. Denn möglicherweise haben sich etwa gerade solche Unternehmen für die Maßnahme beworben, die ein größeres Bewusstsein für die Notwendigkeit gezielter Innovationsmaßnahmen haben und deshalb ihre Innovationsanstrengungen auch ohne die Förderung gesteigert hätten. Offensichtlich ist es bei einer solchen Vorgehensweise auch naheliegend, dass Unternehmen, die in den Genuss von Fördermaßnahmen gekommen sind, keinen Anreiz haben zu erklären, diese Maßnahmen hätten keine entsprechende Wirkung gehabt. Insofern ist ein Vergleich objektiver Ergebnisindikatoren zwischen geförderten und nicht geförderten Unternehmen für eine überzeugende Evaluierung unabdingbar.“

 

Eine zeitgemäße Evaluierungskultur erschöpft sich jedoch nicht nur in der Frage nach der bestmöglichen Evaluierungsmethodik. Ein weiterer Aspekt umfasst die politische Kontrolle und Transparenz. Der Landtag und die Öffentlichkeit können nur dann die wirtschaftspolitischen Fördermaßnahmen der Landesregierung fundiert bewerten und kontrollieren, wenn zielführende Studien durchgeführt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Abzulehnen sind daher sowohl unkritische Evaluierungsstudien, die allein zur Legitimation der verwendeten Mittel in Auftrag gegeben werden, als auch Studien, die negative Ergebnisse enthalten, aber von der Landesregierung vor der Öffentlichkeit zurückgehalten werden.

 

Daher ist es notwendig, die richtigen Rahmenbedingungen für eine unabhängige, ergebnisoffene und transparente Evaluierung zu schaffen. Dazu zählen eine Publikationspflicht, die wettbewerbliche Ausschreibung von Evaluierungsprojekten sowie die Einrichtung einer eigenständigen, fachlich unabhängigen Organisationseinheit, welche die Koordinierung der Evaluierungen für das Ministerium übernimmt. Zudem muss eine Dateninfrastruktur mit evaluierungsrelevanten Mikrodaten aufgebaut und der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Durch den offenen Datenzugang wird eine wirtschaftswissenschaftliche Debatte um die effizientesten Fördermaßnahmen ermöglicht.

 

Das Wirtschaftsministerium hat in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage (Drucksache 16/4718) dargelegt, welche Evaluierungen im Bereich der Wirtschaftsförderungen durchgeführt werden. Dabei wurde deutlich, dass die Wirtschaftsförderung in Nordrhein-Westfalen noch zahlreiche Defizite in Bezug auf eine moderne Evaluierungskultur mit den oben genannten Elementen besitzt. Diesen Nachholbedarf gilt es so schnell wie möglich aufzuholen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die 309 Millionen Euro Wirtschaftsförderung in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2014 sinnvoll verwendet werden.

 

 


 

II.         Der Landtag stellt fest:

 

  1. Ein Vergleich zwischen der bestehenden Evaluierungspraxis und den Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium zeigt, dass es einen deutlichen Nachholbedarf im Bereich der Evaluierungen von Fördermaßnahmen in NRW gibt.
  2. Der Bereich der Evaluierung arbeitsmarktmarktpolitischer Instrumente sowie die Evaluierungspraxis im Ausland zeigt beispielhaft, wie empirisch-kausalanalytische Studien wichtige Impulse zu Verbesserung der Fördermaßnahmen liefern können.
  3. Ohne aussagekräftige, neutrale Analysen und Daten zur Wirksamkeit bestehender Wirtschaftsförderprogramme kann das Parlament seine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung in diesem Bereich nicht im ausreichenden Maß ausüben.
  4. Die Evaluierungspraxis des Landes muss so schnell wie möglich auf den neusten wissenschaftlichen Stand gebracht werden, damit der Landtag, die Landesregierung sowie die (Fach-)Öffentlichkeit auf aussagekräftige Studien zur Wirksamkeit von Förderprogrammen zurückgreifen können.

 

 

III.        Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

 

  1. eine moderne Evaluierungskultur für Wirtschaftsförderprogramme aufzubauen, indem die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (heute Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) als verbindliche Standards in Nordrhein-Westfalen festgeschrieben werden;
  2. hierzu noch im Jahr 2014 einen Gesetzentwurf vorzulegen, der mindestens die folgenden Grundsätze für die Wirtschaftsförderung und die Evaluierungspraxis des Landes festschreibt:

o   Zur Sicherung der Effizienz wirtschaftspolitischer Fördermaßnahmen müssen diese ab einer gewissen Größe standardmäßig einer empirisch-kausalanalytischen Evaluierung unterzogen werden. Von Zeit zu Zeit sollten die verschiedenen Maßnahmen eines Politikbereiches vergleichend evaluiert werden.

o   Damit eine objektive und sachgerechte Evaluierung möglich ist, muss vor Einführung einer Fördermaßnahme nicht nur festgelegt werden, welche Ziele sie verfolgt, sondern auch, anhand welcher Zielgrößen ihre Wirksamkeit gemessen werden soll.

o   Die Evaluierungen von Wirtschaftsförderprogrammen müssen Mindestanforderungen der empirisch-kausalanalytischen Wirkungsforschung genügen, um Aussagen über die ursächliche Wirkung der Fördermaßnahmen ableiten zu können; randomisierte Feldexperimente und quasi-experimentelle Methoden sollen so weit wie möglich Anwendung finden. Insbesondere Pilotmaßnahmen sollen in Form von randomisierten Experimenten evaluiert werden.

o   Da eine objektive Evaluierung erst durch Verfügbarkeit und Zugang zu entsprechenden Daten möglich ist, wird mit einem Forschungsdatenzentrum für Evaluierungsdaten eine Dateninfrastruktur aufgebaut, die den evaluierenden Einrichtungen und der Wissenschaft insgesamt Zugang zu evaluierungsrelevanten Mikrodaten ermöglicht.

o   Um die Güte der Evaluierungsstudien zu steigern, müssen Rahmenbedingungen für eine unabhängige und ergebnisoffene Evaluierung geschaffen werden. Eine für die Initiierung, Steuerung und Beaufsichtigung der Evaluierungen zuständige Organisationseinheit stellt die wissenschaftliche Qualität und die fachliche Unabhängigkeit der Studien sicher. Diese Organisationseinheit arbeitet eigenständig und fachlich unabhängig vom Ministerium. Darüber hinaus muss die wettbewerbliche Ausschreibung garantiert sein. Bei anspruchsvollen Vorhaben soll der wissenschaftliche Wettbewerb zur Qualitätssicherung genutzt werden.

o   Um Transparenz über Vorgehen und Ergebnisse der Evaluierungen herzustellen und insbesondere dem Parlament die Möglichkeit einer effektiven Kontrolle der eingesetzten Haushaltsmittel zu eröffnen, sind die Evaluierungsstudien ohne Publikationsvorbehalt spätestens sechs Monate nach Abschluss zu veröffentlichen.

  1. sich darüber hinaus auf allen relevanten politischen Ebenen dafür einzusetzen, dass die oben beschriebenen Standards nicht nur bei landeseigenen Förderprogrammen, sondern auch bei EU- und Bundesprogrammen in Nordrhein-Westfalen so weit wie möglich Anwendung finden. Dies gilt insbesondere für die Erstellung des Evaluierungsplans für den EFRE 2014-2020.

 

 

 

 

Dr. Joachim Paul

Nicolaus Kern

Daniel Schwerd

 

 

und Fraktion

 



[1] http://www.bmwi.de/DE/Mediathek/publikationen,did=600674.html


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