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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/4323

 

04.11.2013

 

 

 

 

Entschließungsantrag

 

der Fraktion der PIRATEN

 

 

 

zum Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen „Für echtes Netz: Netzneutralität dauerhaft gewährleisten und gesetzlich festschreiben! (Drucksache 16/2888)

 

in Verbindung mit dem Änderungsantrag der Fraktion der PIRATEN  (Drucksache 16/2963)

 

 

Mogelpackung der Europäischen Kommission: Regelungen in EU-Verordnung höhlen Bemühungen für echte Netzneutralität in Europa aus!

 

 

 

I.          Ausgangslage

 

Am 11. September 2013 stellte die Europäische Kommission ihren Verordnungsvorschlag über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation sowie zur Verwirklichung des vernetzten Kontinents vor. Der Rechtssetzungsentwurf KOM(2013) 627 beinhaltet weitreichende Pläne zu zahlreichen grundsätzlichen Fragen des elektronischen Binnenmarkts, darunter Regelungen zur Netzneutralität, die Vollharmonisierung von Endnutzerrechten und des Anbieterwechsels, des Roamings sowie der Vergabe von Funkfrequenzen.

 

Mit der Verordnung will die Kommission im Einklang mit den Zielen der Strategie Europa 2020 einen europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation durch die Ergänzung und Anpassung des bestehenden Rechtsrahmens der EU weiterentwickeln und letztendlich vollenden. Die Kommission sieht in der Vollendung des elektronischen Binnenmarkts vor allem eine wichtige Wachstumsquelle, die allen Wirtschaftszweigen in der EU zugutekommt. Durch Maßnahmen auf drei miteinander verbundenen Handlungsfeldern soll dies erreicht werden: So soll erstens die Freiheit der grenzüberschreitenden Bereitstellung elektronischer Kommunikationsdienste sowie -netze in verschiedenen Mitgliedstaaten gewährleistet werden (Konzept EU-weiter Genehmigungen). Zweitens sollen die Bedingungen für den Zugang zu wichtigen Vorleistungen und Voraussetzungen für die grenzübergreifende Bereitstellung elektronischer Kommunikationsdienste und -netze besser aufeinander abgestimmt werden – sowohl im Bereich der drahtlosen Breitbandkommunikation als auch bei den Festnetzanschlüssen. Drittens plant die Kommission, die Vorschriften zum Schutz der Endnutzer, insbesondere der Verbraucher, zu vollharmonisieren. Unter Letzteres fallen beispielsweise Regelungen zur Nichtdiskriminierung, vertragliche Informationen, Vertragsbeendigung, Anbieterwechsel sowie Zugang zu Online-Inhalten, -Anwendungen und -Diensten.

 

Unter Artikel 23 mit dem Titel „Freiheit der Bereitstellung und Inanspruchnahme eines offenen Internetzugangs und angemessenes Verkehrsmanagement“ führt die Kommission ihre Regelungen zur Netzneutralität auf. In erster Linie regelt der Verordnungsvorschlag hier die Rechte und Pflichten der Anbieter von Zugängen zu elektronischen Kommunikationsnetzen (Netzzugangsanbieter).

 

So heißt es in Artikel 23 Absatz 1: „Endnutzern steht es frei, über ihren Internetzugangsdienst [Netzzugangsanbieter] Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten und Anwendungen und Dienste ihrer Wahl zu nutzen.“ Dieser begrüßenswerte Grundsatz lässt aber vollkommen außer Acht, dass Beschränkungen beim Zugang zu Inhalten und Diensten insbesondere durch die Vorbestimmung von Endgeräten und deren Einstellungen seitens der Netzzugangsanbieter sowie die Nichtherausgabe der Schnittstelleninformationen durch die Netzzugangsanbieter erfolgen kann.

 

Artikel 23 Absatz 2 unterscheidet grundsätzlich zwischen „Spezialdiensten“ und dem „offenen Internet“. Als „Spezialdienst“ klassifizierte Internetdienste können von den Netzzugangsanbietern hinsichtlich der Übertragung des Datenvolumens oder -verkehrs privilegiert angeboten werden. Auch wenn gemäß Verordnungsentwurf „[d]urch die Bereitstellung von Spezialdiensten […] die allgemeine Qualität von Internetzugangsdiensten nicht in wiederholter oder ständiger Weise beeinträchtigt werden [darf]“, so bringt die Priorisierung bestimmter Inhalte oder Dienste aufgrund des limitierten Übertragungsvolumens am Breitbandanschluss grundsätzlich eine Behinderung bzw. Minderung der Qualität anderer Inhalte oder Dienste mit sich. Diese Regelung eröffnet den Netzzugangsanbietern die Möglichkeit, als Spezialdienste titulierte eigene Dienste und solche von Vertragspartnern zu günstigeren Konditionen oder besserer Qualität im Vergleich zu Inhalten oder Diensten unabhängiger Anbieter zugänglich zu machen. Die Möglichkeit für Netzzugangsanbieter neben dem Internetzugang auch priorisierte Zugänge zu Spezialdiensten auf einem Breitbandanschluss bereitzustellen ist daher kein geeignetes Mittel zur Sicherung der Netzneutralität.

 

Darüber hinaus unterbindet Artikel 23 keine Ungleichbehandlungen innerhalb der Kategorien „Spezialdienste“ und „offenes Internet“. So ist davon auszugehen, dass Netzzugangsanbieter exklusive Vereinbarungen mit unabhängigen Inhalte- bzw. Diensteanbietern eingehen werden, um Endnutzern privilegierten Zugang zu ausgewählten Inhalten bzw. Diensten anbieten zu können. Dadurch werden andere Inhalte oder Dienste diskriminiert. So können in sich geschlossene Netze entstehen, die den Endnutzer zwingen, sich zwischen unterschiedlichen Inhalten innerhalb eines Netzes zu entscheiden. Somit würde die Kaufentscheidung für einen Breitbandanschluss maßgeblich von der Zusammensetzung der Inhalte- bzw. Dienstepakete abhängen, die vom Netzzugangsanbieter zusätzlich zum Breitbandanschluss als (priorisierte) Spezialdienste angeboten werden, und weniger von Anbieterqualität, Leistung oder Preis.

 

Der Kommissionsvorschlag lässt grundsätzlich offen, welche Qualitäten ein Dienst erfüllen muss, um als (priorisierter) Spezialdienst angeboten werden zu können. In diesem System könnten sich Netzzugangsanbieter von den Inhalte- und Dienstanbietern die Klassifizierung derer Inhalte bzw. Dienste als Spezialdienste bezahlen lassen, wodurch eine Priorisierung dieser Inhalte bzw. Dienste möglich wird. Kleine und neue Inhalte- bzw. Diensteanbieter mit geringer finanzieller Ausstattung oder nicht-kommerzielle, aber für die gesellschaftliche und politische Meinungsbildung wichtige, Anbieter gerieten so ins Hintertreffen und würden durch die hohen Markteintrittsbarrieren massiv benachteiligt.

 

Die Möglichkeit der Priorisierung von bestimmten Inhalten bzw. Diensten über Spezialdienste ist der Einstieg in ein Mehrklassen-Internet. In Zeiten, in denen das offene und diskriminierungsfreie Breitbandinternet zur Lebensgrundlage gehört, ist das besonders schwerwiegend. Hinzu kommt, dass Spezialdienste keinerlei ökonomische Anreize für Investitionen ins Internet generieren. Vielmehr werden Anreize für Netzzugangsanbieter geschaffen, das „offene Internet“ zu Gunsten der Spezialdienste zu beschneiden, um Nachfrage nach (kostenpflichtigen) Spezialdiensten zu generieren bzw. Inhalte- und Diensteanbieter zu Exklusivabkommen über Spezialdienste zu bewegen.

 

Zudem sieht Artikel 23 Absatz 5 des Kommissionsvorschlags die Durchführung von „angemessenen Verkehrsmanagementmaßnahmen“ durch die Netzzugangsanbieter vor. Diese können aus Sicht der Kommission erforderlich sein, um beispielsweise „schwere Verbrechen abzuwehren oder zu verhindern“. Das ist gleichbedeutend mit der Einführung von Netzsperren und damit einhergehend einer Einschränkung des Datenschutzes und des Kommunikationsgeheimnisses über die EU-Ebene. Entsprechende bundesgesetzliche Regelungen wurden bereits 2009 aufgehoben, da sie als wenig sinnvoll und mit dem Rechtsstaat unvereinbar bewertet wurden. Die Verhinderung oder Abwehr von Verbrechen ist weder Aufgabe der Netzzugangsanbieter, noch ist die Einführung von Netzsperren oder vergleichbaren Maßnahmen förderlich für die Weiterentwicklung des Internets und dessen Erhalt als freier und zugänglicher Kultur- und Lebensraum.

 

 

 

II.         Der Landtag stellt fest:

 

1.      Das Prinzip der Netzneutralität ist der Grundpfeiler eines freien, neutralen und offenen Internets.

 

2.      Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen „Spezialdiensten“ und „offenem Internet“ birgt die Gefahr des Einstiegs in ein Mehrklassen-Internet mit erheblichem Diskriminierungspotenzial.

 

3.      Der vorliegende Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission regelt die Beschränkungen für Spezialdienste vollkommen unzureichend. Die im Entwurf aufgeführten Maßnahmen sind nicht dazu geeignet, den effektiven Schutz des offenen Internets zu gewährleisten.

 

4.      Der vorliegende Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission läuft insbesondere aufgrund unklarer Begriffsdefinitionen dem Prinzip der Netzneutralität zuwider. Echte Netzneutralität ist auf Grundlage des jetzigen EU-Entwurfs nicht sicherzustellen.

 

5.      Die Einführung von Netzsperren oder ähnlichen Maßnahmen ist grundsätzlich abzulehnen.

 

 

 

 

 

 

 

III.        Der Landtag beschließt:

 

Der Landtag fordert die Landesregierung dazu auf, sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass die im vorliegenden Verordnungsentwurf enthaltenen Regelungen zur „Freiheit der Bereitstellung und Inanspruchnahme eines offenen Internetzugangs und angemessenes Verkehrsmanagement“ (Artikel 23) dahingehend grundlegend überarbeitet werden, dass jegliche Priorisierung von Daten auf einem Breitbandanschluss sowie die Drosselung und Sperrung von Inhalten und Diensten grundsätzlich untersagt ist. 

 

 

 

Joachim Paul

Monika Pieper

Lukas Lamla

Nicolaus Kern

Daniel Schwerd

 

und Fraktion

 

 


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