< Zurück zum Blog
Das Dokument als PDF abrufen: Hier klicken!

LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/4010

 

17.09.2013

 

 

 

 

Antrag

 

der Fraktion der CDU

 

 

 

 

Duale Ausbildung stärken – Meisterbrief nicht weiter entwerten!

 

Die Europäische Kommission hat im Frühjahr dem Europäischen Rat einen Entwurf für „Empfehlung des Rates zum nationalen Reformprogramm Deutschland 2013“ vorgelegt. Unter Punkt 16 der länderspezifischen Empfehlungen schlägt die Kommission vor: „In vielen Handwerksbranchen, einschließlich im Baugewerbe, ist nach wie vor ein Meisterbrief oder eine gleichwertige Qualifikation erforderlich, um einen Betrieb zu führen. (…) Deutschland könnte prüfen, ob sich die gleichen im öffentlichen Interesse liegenden Ziele nicht durch eine weniger strikte Reglementierung erreichen ließen.“ In den Empfehlungen unter Punkt 4 heißt es dann: „Der Rat der Europäischen Union empfiehlt, dass Deutschland im Zeitraum 2013-2014 Maßnahmen ergreift, um den Wettbewerb im Dienstleistungssektor weiter zu beleben, einschließlich bestimmter Handwerke, insbesondere im Baugewerbe (…), um inländische Wachstumsquellen zu fördern.“

 

Die Empfehlung drängt dazu, weitere Handwerksberufe von der Meisterpflicht freizustellen. Der Meisterbrief wird als Beschränkung verstanden, die Wettbewerb und Wachstum behindert.

 

Übersehen wird dabei zum einen, dass eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie, die die wirtschaftlichen Wirkungen der qualifikationsbezogenen Reglementierung im Baugewerbe untersucht hat, mit Blick auf die bauhandwerklichen Berufe zu dem Ergebnis kommt, dass die Reglementierung in Deutschland tendenziell positive ökonomische Wirkungen zeitigt.

 

Zum anderen wird die Bedeutung des Meisters im Rahmen des dualen Bildungssystems nicht ausreichend gewürdigt. Während in den meisten europäischen Nachbarländern in den vergangenen 10 Jahren die  Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen stieg (Griechenland: von 26,8% auf 58%; Spanien: von 22,6% auf 53,2%; Portugal: von 17,8% auf 37,7%; Italien: von 23,6% auf 35,3%; Frankreich: von 19,1% auf 24,7%; Vereinigtes Königreich: von 12,2% auf 20,0%), sank in Deutschland die Jugendarbeitslosigkeit im gleichen Zeitraum von 11,6% auf 8,2%.

 

Nach Ansicht von EU und OECD ist die geringe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland vor allem auf unsere duale Berufsausbildung zurückzuführen.  2/3 aller Erwerbstätigen in Deutschland haben eine duale Ausbildung absolviert. Die Mehrzahl der Ausbildungsanfänger hat einen Haupt- oder Realschulabschluss, 20% Abitur, 3% keinen Schulabschluss. Das System der dualen Berufsausbildung kann jedoch nur funktionieren, wenn sich dauerhaft ausreichend Ausbildungsbetriebe an diesem beteiligen.

 

Die Zahl der Ausbildungsplätze im Handwerk ist in den vergangenen Jahren gesunken. Bildeten 2003 noch 38.649 Handwerksbetriebe aus, waren es 2011 nur noch 36.524 (- 5,5%). Die Handwerksnovelle von 2004 der damaligen rot-grünen Bunderegierung ist für die rückläufigen Zahlen mitverantwortlich, denn mit der Novelle ging ein Stück Ausbildungskultur verloren. In den Anlage B-Handwerken werden erheblich weniger Unternehmen von Meistern geführt. Während sich die Zahl der Betriebe bis 2011 - verglichen mit dem Jahr 2003 - mehr als verdreifacht hat, ist gleichzeitig die Zahl der von Meistern geführten Betriebe nach Anlage B von 10.195 auf 7.031 gesunken (- 31 %), womit auch die Anzahl der Betriebe, die ausbilden können, gesunken ist.

 

Zugleich ist die Fluktuation der Betriebe der Anlage B-Handwerke vergleichsweise hoch. Sie liegt für Betriebe der Anlage B1 bei rund 34,5%, verglichen mit 13% bei der meisterpflichtigen der Anlage A. Die Fluktuation ist für die Ausbildungssituation erheblich, denn das  duale Ausbildungssystem ist in besonderer Weise auf stabile Unternehmen angewiesen. Prekäre Erwerbstätigkeiten, Ein-Mann-Betriebe, klassische Subunternehmer, die in eine (Schein-) Selbständigkeit gezwungen werden, sind dem dualen System abträglich.

 

Die von der Europäischen Kommission geforderte Herausnahme weiterer Handwerke aus der Anlage A, insbesondere solcher des Baugewerbes, führt jedoch genau zu solchen prekären Erwerbstätigkeiten. Beispielhaft sei hierzu auf die Entwicklung bei den Fliesenlegerbetrieben verwiesen: Existierten 2003 2.407 Fliesenlegerbetriebe in NRW, waren es 2011 14.059 Betriebe (+584%). Gleichzeitig sank die Zahl der Meisterbetriebe von 2011 Betrieben auf 1440 (- 28%). Viele dieser neu entstandenen Betriebe sind Ein-Mann-Betriebe, die als Subunternehmer arbeiten. Anstatt sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, fristen viele ein Dasein am Existenzminimum. Auch mit Blick auf die Debatte über prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Werkverträge und Mindestlohn ist eine weitere Entwertung des Meisterbriefes kontraproduktiv. Eine weitere Lockerung würde die Zahl der Ein-Mann-Subunternehmen weiter in die Höhe treiben.

 

Der Meister wird vielfach missverstanden. Er ist eine im Handwerk gewachsene Qualifizierung, die sich an Selbständige und an Beschäftigte richtet. Den Meister als Beschränkung zu bezeichnen, ist deshalb verfehlt. Und als Zulassungsvoraussetzung ist der Meister kein Bollwerk der Abschottung. Die Meisterpflicht ist in Wirklichkeit ein komplexes, feingliedriges Zulassungssystem. Seit 2004 hat sich in NRW die Anzahl der Handwerksbetriebe nach Anlage A, die aufgrund von alternativen Qualifikationsnachweisen nicht von Meistern geführt werden,  von 6.897 auf 13.187 beinahe verdoppelt – obwohl für diese Betriebe grds. eine Meisterpflicht besteht. Wurden 2003 nur 7,75% aller Betriebe nach Anlage A in NRW von Betriebsleitern geführt, waren dies im August 2012 bereits 16,9%. Es besteht folglich überhaupt kein sachlicher Grund, weitere Handwerke aus der Anlage A herauszunehmen.

 

Wer das duale Ausbildungssystem stärken will, muss den Meisterbrief stärken. Eine Herausnahme weiterer Handwerke aus der Anlage A würde zu einer Schwächung der dualen Berufsausbildung führen. Eine Herausnahme ist auch nicht notwendig, um die Ziele der EU zu erreichen. Sie wäre im Gegenteil sogar kontraproduktiv.

 

Der Landtag beschließt:

 

·         Der Landtag fordert die Europäische Kommission und den Europäischen Rat auf, von einer weiteren Schwächung des Meisterbriefes abzusehen.

·         Der Landtag unterstützt die Bundesregierung in Ihrem Bemühen, den Erhalt der Meisterpflicht sicherzustellen und die Entwertung des Meisterbriefs zu verhindern.

·         Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich bei der Europäischen Union massiv für den Erhalt der Meisterpflicht und gegen eine Entwertung der Meisterqualifikation einzusetzen.

 

 

 

 

Karl-Josef Laumann MdL

Lutz Lienenkämper MdL

Hendrik Wüst MdL

Rainer Spiecker MdL

 

und Fraktion


< Zurück zum Blog
Das Dokument als PDF abrufen: Hier klicken!