LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
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Drucksache 16/2627 |
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16.04.2013 |
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Nordrhein-Westfalen lehnt die Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit durch ein neues Leistungsschutzrecht für Presseverlage entschieden ab!
I. Sachverhalt
Die Forderung nach einem eigenen Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist in den letzten Jahren politisch kontrovers diskutiert worden und war vor einigen Wochen Gegenstand eines durch die Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs (BT-Drucksache 17/11470), der im Bundestag am 1. März 2013 entsprechend der Beschlussempfehlung BT-Drs. 17/12534 mit den Stimmen der CDU/CSU- und FDP-Fraktionen verabschiedet wurde.
Das darin festgeschriebene Leistungsschutzrecht für Presseverlage dient nicht der Vielfalt oder Qualität von journalistischen Angeboten, wie auch Sachverständige in der Anhörung am 30. Januar 2013 in Berlin festgestellt haben. Der von der Bundesregierung behauptete Nutzen ist nicht zu erkennen.
Das neue Leistungsschutzrecht deckt lediglich verlegerische Leistung bei der Verwertung journalistischer Werke im Rahmen von Presseerzeugnissen ab. Bereits das existierende Urheberrecht soll aber seiner Konstruktion nach durch die Übertragbarkeit von Verwertungsrechten sichern, dass sowohl die schöpferische Leistung der Urheberinnen und Urheber als auch die Leistungen der Verwerterinnen und Verwerter angemessen entlohnt werden.
Zielführender als das verabschiedete Leistungsschutzrecht für Presseverlage wäre eine Stärkung der Rechte der Urheber und Urheberinnen, von Journalisten und Autoren gegenüber den Verlagen gewesen.
Es ist höchst fragwürdig, ob das Leistungsschutzrecht in der vorliegenden Form überhaupt irgendeinen Sinn erfüllen kann. Vorgebracht wird häufig die Rolle von Suchmaschinen und Nachrichten-Aggregatoren, die im Internet frei zugängliche Presseerzeugnisse vergütungsfrei referenzieren. Dabei ist allerdings zu beachten, dass bereits jetzt anerkannte technische Standards (Robots Exclusion Standard) existieren, die es Seitenbetreibern ermöglichen, Inhalte für die Verwertung durch Suchmaschinen zu sperren, und zwar sowohl auf der Ebene einzelner Inhalte als auch für einzelne Aggregatoren individuell. Dass dies bei journalistischen Inhalten in der Regel nicht stattfindet, zeigt, dass eine Erfassung und Aufbereitung durch Aggregatoren nicht nur im Interesse ihrer Betreiber und der Allgemeinheit liegt, sondern auch einen direkten Mehrwert für Presseverlage bringt, der für ihr Onlinegeschäft im Regelfall sogar essentiell ist.
Das Gesetz der Bundesregierung ist nicht nur in seiner Zielsetzung abzulehnen, es weist auch erhebliche Mängel auf.
Durch ein pauschales Leitungsschutzrecht wird die Rezeption von und Berichterstattung über journalistische Inhalte in Presseerzeugnissen behindert. Das Zitatrecht (§ 51 UrhG) kann nur bedingt helfen, da die meisten betroffenen Zitate zurzeit nicht von diesem, sondern nur von den Regelungen zur Schöpfungshöhe abgedeckt werden. Diese könnten durch das Leistungsschutzrecht unterlaufen werden.
Die Bundesregierung hat mit ihrem Leistungsschutzrecht für Presseverlage mehr Verwirrung als Klarheit geschaffen. Zentrale Fragen der Umsetzung eines solchen Leistungsschutzrechts sind weiterhin unbeantwortet: Wann liegt eine gewerbliche Nutzung vor und wann nicht? Wie unterscheiden sich kleine Textteile ("Snippets") von Zitaten?
Durch die Verwendung unklarer Rechtsbegriffe sind viele Klagen zu erwarten, in denen dann Gerichte die Ausgestaltung des Leistungsschutzrechts konkretisieren müssen.
Eine Beschränkung auf kommerzielle bzw. gewerbliche Nutzer ist nicht geeignet, diesem Missstand abzuhelfen, da diese Begriffe weitgehend ausgelegt auch z. B. werbefinanzierte Blogs mit erfassen. In der Rechtsprechung wird der Begriff der Gewerblichkeit erfahrungsgemäß sehr weit ausgelegt. Die Praxis des fliegenden Gerichtsstands führt dazu, dass in strittigen Fragen ein Gerichtstourismus hin zu dem Gericht stattfindet, welches aktuell die schärfsten Urteile fällt und die Regelungsspielräume maximal zugunsten der Rechteinhaber auslegt. Damit wird in jedem Fall die Informations- und Meinungsvielfalt betroffen und beschränkt.
Zudem wird das Risiko von Abmahnungen im gewerblichen Rechtsschutz vergrößert, da die unklaren Rechtsbegriffe zu neuen Abmahnungen wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht führen können. Dies stellt eine erhebliche Gefahr gerade für kleine und innovative Unternehmer im Internet- und Kreativbereich dar, dessen Förderung und Stützung sich die Landesregierung vorgenommen hat. Während große Unternehmen das Risiko gerichtlicher Auseinandersetzungen auf sich nehmen können, sind kleine Unternehmen und Einzelunternehmer mit den vorgerichtlichen und gerichtlichen Kosten schnell überfordert.
Insgesamt ist das neue Leistungsschutzrecht für Presseverlage für den Schutz journalistischer Leistungen ungeeignet und als die Meinungs- und Informationsfreiheit beeinträchtigende Maßnahme abzulehnen.
Das hat auch die zuständige Ministerin, Dr. Angelica Schwall-Düren, in ihrer Stellungnahme im Kultur- und Medienausschuss des Landtags NRW am 14. März 2013 klar gesagt, als sie das Gesetz als "handwerklich mangelhaft" bezeichnete. Es vernachlässige die legitimen Interessen zu vieler Beteiligter und leiste keinen erkennbaren Beitrag zur publizistischen Vielfalt im Netz. Außerdem dürfe eine solche Regelung "nicht auf unbestimmten Rechtsbegriffen fußen, die erst durch die Gerichte dann landauf und landab definiert werden müssen." Daher kündigte die Ministerin an, die Landesregierung werde "im Bundesrat mit den anderen Ländern alle Möglichkeiten ausloten, um ein besseres Ergebnis zu erzielen." Mit ihren Ausführungen im Ausschuss für Kultur und Medien hat sich die Ministerin eindeutig positioniert. Die politische Vernunft hätte es geboten, dass die Landesregierung alle Möglichkeiten nutzt, um eine grundsätzliche Überarbeitung des Gesetzentwurfs zu erreichen, den sie als derart mangelhaft einstuft. Diese Möglichkeit hätte durch die Einberufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes bestanden.
Gleichwohl ließ die Landesregierung das Gesetz am 22. März 2013 im Bundesrat passieren, anstatt den Vermittlungsausschuss einzuberufen, um dort tatsächlich sämtliche Möglichkeiten der Einflussnahme im Bundesrat auszuloten. Die Entschließung, die der Bundesrat als Drs. 162/2/13 angenommen hat, ist in Anbetracht dessen ein Feigenblatt für politische Feigheit im Wahlkampf und Angst vor den großen Presseverlegern. Einen Schutz von Bürgerinnen und Bürgern, von Selbstständigen und Unternehmen, wie er geboten wäre, sähe anders aus.
Zwar wäre es nach den Worten der Ministerin Schwall-Düren im Kultur- und Medienausschuss des Landtags NRW höchst unwahrscheinlich gewesen, "ein besseres Verhandlungsergebnis gemeinsam erzielen zu können", da "im weiteren Verfahren tatsächlich ein satisfaktionsfähiger Verhandlungspartner" gefehlt hätte und damit "die Länder nur sehr begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten zu diesem Gesetzentwurf" gehabt hätten. Gleichwohl wäre die Einberufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat eine Möglichkeit gewesen, wenn schon keine Verbesserung des Gesetzes zu erreichen, so doch zumindest das weitere Gesetzgebungsverfahren bis zum Ablauf der Legislaturperiode des Bundes aufzuhalten.
Die Landesregierung NRW hat mit ihrem Verzicht auf eine Einberufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat diese Chance jedoch vertan und stattdessen gemeinsam mit anderen Landesregierungen ein handwerklich mangelhaftes Gesetz durchgewunken, das noch dazu schädlich für die Meinungs- und Informationsfreiheit ist.
II. Der Landtag beschließt
- Der Landtag lehnt das Leitungsschutzrecht für Presseverlage ab.
- Der Landtag kritisiert das Verhalten der Landesregierung in der 908. Sitzung des Bundesrats am 22. März 2013, bei der sie ein handwerklich mangelhaftes und unnützes Gesetz, das schädlich für die Meinungs- und Informationsfreiheit ist, entgegen der eigenen Überzeugungen durchgewunken hat. Die Landesregierung beschädigt mit ihrem Verhalten nicht nur ihre eigene politische Glaubwürdigkeit, sondern auch die Position der Abgeordneten des Landtags NRW.
- Der Landtag fordert die Landesregierung auf, in Zukunft Absichtserklärungen und tatsächliches Handeln miteinander in Einklang zu bringen, zu den eigenen Überzeugungen zu stehen und diese in politisches Handeln umzusetzen.
Dr. Joachim Paul
Monika Pieper
Daniel Schwerd
und Fraktion