LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
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Drucksache 16/13103 |
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04.10.2016 |
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
zur Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 20 der FDP-Fraktion „Nordrhein-Westfalen in der digitalen Welt – 'MegaStark' oder eher schwach? Was hat die Landesregierung seit der Regierungserklärung der Ministerpräsidentin am 29. Januar 2015 bisher erreicht?“ (Drs. 16/12206, 16/11308)
Nordrhein-Westfalen auf die digitale Überholspur bringen
I. Ausgangslage
Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unser Miteinander in einer Weise, wie wir es uns heute noch nicht vorstellen können. Mit ihr gehen immense Chancen für Fortschritt, Wachstum und Wohlstand einher. Wenn wir diese Chancen nutzen wollen, müssen wir jedoch Rahmenbedingungen schaffen, in denen sich die Potentiale der Digitalisierung optimal entfalten können. Wer langfristig bei Wohlstand und Zukunftschancen an der Spitze sein will, muss auch Spitze bei der Gestaltung des digitalen Wandels sein.
Nordrhein-Westfalen hängt jedoch abgeschlagen zurück. Der Ausbau einer leistungsfähigen Glasfaserinfrastruktur als zentrales Nervensystem der digitalen Gesellschaft stockt. Damit rückt die Gigabit-Gesellschaft in weite Ferne. Auch die Digitalisierung im Bildungssystem ist eine Voraussetzung für echte Zukunftschancen für alle. Unsere Schulen stecken häufig jedoch noch in der Kreidezeit fest. Bei der Entwicklung einer modernen Verwaltung für die Bürgerinnen und Bürger hängt Nordrhein-Westfalen hinterher. E-Government-Gesetze wurden etwa in Bayern und Berlin viel schneller verabschiedet, so dass in der NRW-Verwaltung fast alles nach wie vor analog abläuft.
Und auch in anderen Bereichen gehen von der Landesregierung kaum Impulse für eine digitale Offensive aus. Die wenigen digitalpolitischen Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen sind meist Ergebnis von Verwaltungshandeln. Neue Ideen, innovative Ansätze und umfassende Konzepte, die eine entsprechende politische Prioritätensetzung bedingen würden, fehlen jedoch vollständig.
Schlichtes Verwaltungshandeln und punktuelle Maßnahmen reichen jedoch nicht aus. Es reicht auch nicht aus, an die Spitzenreiter digitaler Entwicklungen ein wenig näher heranzurücken. Eine wissens- und wohlstandsbasierte Gesellschaft muss digitalpolitische Avantgarde sein, um langfristig erfolgreich zu sein und Zukunftschancen für Bürgerinnen und Bürger, für Mittelstand, Handwerk und Industrie und für Freiheit, Selbstbestimmung und Partizipation zu schaffen. Nordrhein-Westfalen darf nicht nur aufholen wollen. Wir müssen auf die digitalpolitische Überholspur kommen.
II. Handlungsbedarf
Wenn wir uns an die Spitze der digitalen Entwicklung setzen wollen, brauchen wir eine neue Prioritätensetzung. Und wir brauchen zügige, weitreichende Maßnahmen und Zukunftsinvestitionen. Unser Anspruch muss sein, die leistungsfähigsten Infrastrukturen, die beste Bildung der Welt, die modernste Verwaltung und die effektivsten Rahmenbedingungen für die digitale Gesellschaft zu schaffen. Dafür fordert der Landtag zehn konkrete Schritte.
1. „Glasfaser-first“-Förderstrategie
Mit einer Vielzahl von Förderinstrumenten wird der Breitbandausbau in ganz Europa gefördert. Ein Großteil der Mittel wird aus Europäischen Fördertöpfen zur Verfügung gestellt. Auch aus Bundesmitteln fließen Förderungen in den Breitbandausbau in Nordrhein-Westfalen. Hier ist es Zeit für einen Paradigmenwechsel, um dem Glasfaserausbau eine Priorität einzuräumen und so Chancen und Wettbewerbsfähigkeit für die Zukunft zu sichern. Dafür sollte die Vergabe sämtlicher Fördermittel der EU und des Bundes für die Breitbandversorgung an die Voraussetzung geknüpft werden, dass damit der Glasfaserausbau vorangebracht wird. Denn die Gigabit-Gesellschaft benötigt flächendeckende Glasfaserinfrastrukturen. Der Digitale Binnenmarkt kann nicht funktionieren, wenn zwar z.B. Rumänien bereits im Glasfaser-Zeitalter angekommen ist, Deutschland aber noch in großem Stil in veraltete Kupferkabel-Technologien investiert oder Mitgliedstaaten gemeinsame Ressourcen der EU in nicht-gigabitfähige Netze investieren. Weiterhin in Ausnahmefällen mögliche Förderungen anderer Technologien – etwa in besonders dünnbesiedelten ländlichen Regionen – müssen aus Eigenmitteln des Landes bestritten werden. Zu dieser Strategie gehört auch, dass die Landesregierung den Plänen der Bundesregierung, im Rahmen des „Vectoring“-Vorhabens veraltete Kupferkabel-Leitungen zu re-monopolisieren, einen Riegel vorschiebt.
2. Glasfaserfonds
Zur Umsetzung der „Glasfaser-first“-Strategie muss die Landesregierung einen Glasfaserfonds aufsetzen, in dem die Mittel zur Unterstützung des schnellen und flächendeckenden Glasfaserausbaus konzentriert werden. Denn neben regulatorischen Maßnahmen ist es erforderlich, dass der Glasfaseranschluss von Wohn- und Gewerbegebieten insbesondere in kleineren und ländlichen Kommunen auch mit Fördermitteln unterstützt wird. Der Glasfaserfonds sollte mit den für Nordrhein-Westfalen verfügbaren Mitteln für die Umsetzung der Breitbandförderrichtlinie des Bundes, den für den Breitbandausbau verwendbaren Mitteln aus dem Europäischen Regionalförderfonds (EFRE) und dem Europäischen Fonds für die Entwicklung ländlicher Räume (ELER) sowie den durch die jüngste Frequenzversteigerung der Bundesnetzagentur generierten Mitteln gespeist werden.
3. Breitbandausbau in die Landesverfassung
Wohlstandsniveau unserer Gesellschaft, Entwicklungsperspektiven für die Wirtschaft und Zukunftschancen für die Bürgerinnen und Bürger hängen entscheidend von der Verfügbarkeit und der Entwicklung leistungsfähiger Infrastrukturen ab. Digitale Netze sind – gemeinsam mit Straßen und Schienen, Wasserwegen und Flughäfen – das zentrale Nervensystem einer wissens-, technologie- und mobilitätsbasierten offenen Volkswirtschaft. Deshalb sollte der Auf- und Ausbau leistungsfähiger Infrastrukturen als Staatziel in der Landesverfassung verankert werden.
4. Kraftakt zur Digitalisierung der Schulen
Nordrhein-Westfalen muss die Chancen der Digitalisierung in den Schulen endlich aktiv nutzen, um bei dieser Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts nicht den Anschluss zu verlieren. Um dem riesigen Investitionsstau entgegenzuwirken, bedarf es eines digitalen Kraftakts für unser Bildungssystem mit erheblichen Investitionen in die Ausstattung der Schulen mit moderner Technik, also z.B. in Breitbandanschlüsse, W-Lan, Tablets, Notebooks, IT-Wartung und Service. Ein solcher digitaler Kraftakt kann dabei nur in Verantwortung aller staatlichen Ebenen umgesetzt werden. Nordrhein-Westfalen muss darüber hinaus umfangreiche, qualitativ hochwertige zusätzliche Fortbildungsprogramme auflegen, um Lehrkräfte bestmöglich für die Nutzung und Vermittlung digitaler Kompetenzen zu qualifizieren. Unverbindliche „Leitplanken“, wie sie im „Leitbild Digitales Lernen“ der Landesregierung skizziert werden, reichen dafür nicht aus.
5. Mehr Mut zur Digitalen Verwaltung NRW
Das zögerliche Vorgehen der Landesregierung beim E-Government-Gesetz hat auch die Potentiale und Chancen einer effizienten digitalen Verwaltung ausgebremst. Dazu kommen Beharrungskräfte und Bedenken gegenüber modernen und schlankeren elektronischen Verwaltungsverfahren. Um diese Bedenken abzubauen und einen echten „best-practice“-Fall zu schaffen, muss endlich ein erster sichtbarer Schritt in Richtung E-Government gemacht werden. Deshalb sollen sämtliche Prozesse im Zuständigkeits- bzw. Verantwortungsbereich des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – von verwaltungsinternen Vorgängen im Ministerium über Förderinstrumente im Rahmen der Leitmarktagentur.NRW bis zu Kreditprogrammen der landeseigenen NRW.BANK – noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode vollständig digitalisiert werden. Information, Zugriff und Umsetzung aller Prozesse werden über ein einheitliches Online-Portal gesteuert, das auch mobile Endgeräte unterstützt. Davon könnte ein echter Impuls für E-Government in Nordrhein-Westfalen ausgehen. Verwaltung, Betriebe und Bürger würden entlastet. Und es würde ein Signal davon ausgehen: Dass digitale Verwaltung wie etwa auch beim Vorbild Estland möglich ist. Neben diesem Signal muss das Land Anreize entwickeln, die eine schnelle und umfassende Digitalisierung von Verwaltungsprozessen auf kommunaler Ebene befördern. Ziel muss eine vollständig digitale, medienbruchfreie und bürgerfreundliche Verwaltung sein.
6. Offenes W-Lan bei sämtlichen Einrichtungen des Landes
Leistungsfähige Netze sind nicht nur für die Digitalisierung des Landes unumgänglich, sondern auch für die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an politischen und administrativen Prozessen sowie die Transparenz von Politik und Verwaltung. Neben dem dringend erforderlichen Glasfaserausbau ist ein landesweites Netz offener W-Lan-Zugänge ein wichtiger Bestandteil davon. Zahlreiche private Freifunkinitiativen leisten bereits einen engagierten Beitrag. Aber auch das Land darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Daher müssen sämtliche Einrichtungen des Landes mit regelmäßigen Bürgerkontakten innerhalb der nächsten sechs Monate offene W-Lan-Zugänge eingerichtet haben. Das würde nicht nur einen Beitrag zum Ausbau der digitalen Infrastruktur leisten, sondern auch einen Schub für die Verbreitung von E-Government-Angeboten bringen.
7. Entwicklungspaket für die digitalisierte Mobilität der Zukunft
Mobilität ist eines der relevantesten Megathemen der Zukunft. Mit einem Entwicklungspaket kann die Rhein-Ruhr-Region zum Testlabor eines weltweit führenden Mobilitätsstandorts NRW entwickelt werden. Dazu gehören Investitionen in die Entwicklung in den Bereichen autonomes Fahren und alternative Antriebssysteme, in digitalisierte Infrastrukturkonzepte, smarte Verkehrsleitsysteme und -schilder, in Kommunikationssysteme sowie Mehrinvestitionen in Wissenschaft, Forschung und Entwicklung. Auf dieser Basis können neue Konzepte, Ideen und Technologien entstehen, die nicht nur die Mobilität und die digitale Gesellschaft der Zukunft gestalten, sondern auch neue Wertschöpfungs- und Zukunftschancen für die Region schaffen. Gleichzeitig wird ein Beitrag zur Weiterentwicklung umweltfreundlicher und effizienter Mobilität geleistet.
8. Startup-Cluster Digital
Neue Ideen und innovative Startups können überall und jederzeit entstehen. Trotzdem ist es sinnvoll, neben allgemeiner Gründungsförderung auch spezifische Fördercluster zu bilden, in denen Neugründungen und etablierte Unternehmen von starken Netzwerkeffekten, Synergien und Kooperationen profitieren. Das trägt auch zu einer effizienteren Verwendung von Fördermitteln bei. Außerdem wirkt es dem in Nordrhein-Westfalen notorischen Problem entgegen, dass sich unterschiedliche Regionen gelegentlich als Gegner sehen und es so zu Doppelstrukturen in der Förderung kommt. Deshalb sollten Startup-Cluster gebildet werden, die an in den Regionen vorhandenen Stärken anknüpfen. Neben Schwerpunkten etwa zu Energie und Mobilität, Maschinenbau, Automatisierung und Industrie 4.0, Informatik und Naturwissenschaften, Chemie und Biotech, Handel und Dienstleistungen sowie Games, Film, Medien und Telekommunikation sollten dabei auch jeweils ein Cluster „Digitale Startups“ sowie „E-Health“ aufgebaut werden, die sich mit den spezifischen Anforderungen, Herausforderungen und Chancen digitaler Geschäftsmodelle in diesen Bereichen auseinandersetzen sowie Netzwerkeffekte und Synergien schafft. Gerade bei der Verbindung der digitalen Entwicklung mit moderner Medizin und Pflege kann sich Nordrhein-Westfalen mit seinen hochmodernen Universitätskliniken, Forschungsinstituten und Pflegeeinrichtungen an die Spitze der Entwicklung setzen. Das schafft enorme Chancen, denn die Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensqualität der Menschen etwa durch Telemedizin oder den Einsatz digitaler Technologien in der Pflege sind enorm. Gleichzeitig kann ein großer Wachstums- und Innovationsschub davon ausgehen, wenn sich neue Ideen und Startups im Umfeld dieser Technologien entwickeln.
9. Offensive zur Digitalisierung der Kultur
Kunst und Kultur als Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklungen können noch stärker die Rolle einer Avantgarde bei der fortschreitenden Digitalisierung einnehmen. Die Multiplikatoren- und Antriebseffekte einer durchgreifenden Digitalisierung unserer vielfältigen Kulturlandschaft können somit auch die Digitalisierung in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft mit besonderem Nachdruck antreiben. Deshalb schlägt der Landtag ein Sonderprogramm zur Unterstützung der Digitalisierung unserer Museen, Bibliotheken, Theater, Musikschulen und anderer Kultureinrichtungen vor. Dazu gehören z.B. die Förderung von „Wikipedians in residence“ in Bibliotheken, die Unterstützung bei der Digitalisierung von Museumbeständen und die Finanzierung der Digitaltechnik etwa von Theatern. Zur Finanzierung sollen die dem Land zugeflossenen Mittel aus der Veräußerung der beiden Werke von Andy Warhol durch den landeseigenen Casinobetreiber „WestSpiel“ verwendet werden, die ohnehin in die Kultur investiert werden sollten, anstatt für das defizitäre staatliche Glücksspielgeschäft eingesetzt zu werden.
10. Digitalministerium und Digitalausschuss
Die Digitalisierung als allgegenwärtiges Megathema erfordert eine Abkehr von althergebrachten politischen Zuständigkeiten. Die Zersplitterung der Ministerien, Behörden und parlamentarischen Gremien, die sich mit einzelnen Aspekten der Digitalisierung befassen, ist kontraproduktiv und führt in Nordrhein-Westfalen zu einer behäbigen und unkoordinierten Digitalpolitik. Deshalb müssen die Zuständigkeiten für digitale Themen in einem Digitalministerium gebündelt werden. Auch der Landtag setzt einen Digitalausschuss ein, in dem die Zuständigkeiten für alle für die Digitalisierung relevanten Themen zusammengeführt werden.
III. Beschlussfassung
Der Landtag fordert die Landesregierung zu einer digitalpolitischen Offensive auf. Dafür soll sie
1. eine „Glasfaser-first“-Förderstrategie für Fördermittel des Bundes und der EU umsetzen.
2. einen Glasfaser-Förderfonds auflegen.
3. die Initiative zur Aufnahme leistungsfähiger Infrastrukturen als Staatsziel in der Landesverfassung ergreifen.
4. gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen eine Investitionsoffensive für unser Bildungssystem erarbeiten.
5. die vollständige Digitalisierung sämtlicher Verwaltungsprozesse im Zuständigkeits- bzw. Verantwortungsbereich des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk bis zum Ende dieser Legislaturperiode erreichen.
6. innerhalb der nächsten sechs Monate bei sämtlichen Institutionen des Landes mit regelmäßigen Bürgerkontakten offene W-Lan-Zugänge einrichten.
7. ein Entwicklungspaket für die Mobilität der Zukunft auflegen.
8. Startup-Cluster in Nordrhein-Westfalen gründen und entwickeln.
9. mit Hilfe der Erlöse aus der Versteigerung der Werke von Andy Warhol durch den landeseigenen Casinobetreiber „WestSpiel“ ein Sonderprogramm zur Unterstützung der Digitalisierung der NRW-Kultureinrichtungen finanzieren.
10. sämtliche Zuständigkeiten für digitalpolitische Themen in einem Ministerium bündeln.
Christian Lindner
Christof Rasche
Marcel Hafke
und Fraktion