LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
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Drucksache 16/12335 |
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28.06.2016 |
Antrag
des Abgeordneten Schwerd FRAKTIONSLOS
Rechtsverschärfungen des SBG II im Bundesrat stoppen – ein sanktionsfreies Existenzminimum sichern!
I. Gesetzentwurf zu „Rechtsvereinfachungen“ im SGB II
In Abwesenheit der zuständigen Bundesministerin wurde am 23. Juni 2016 im Plenum des Deutschen Bundestages ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zu „Rechtsvereinfachungen“ im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in abschließender Debatte beraten und beschlossen. Dieses Gesetz liegt nun dem Bundesrat zu Beratung vor. Hintergrund dieses Gesetzentwurfes war eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales (ASMK), die das Ziel hatte, das passive Leistungs- und Verfahrensrecht bei Hartz IV zu vereinfachen.
Bei den Beratungen dieser Arbeitsgruppe waren jedoch nur die verschiedenen Institutionen vertreten, die Hartz IV verantworten und/oder administrativ umsetzen, nicht aber Betroffene, Sozial- und Wohlfahrtsverbände oder Gewerkschaften. Damit blieben die Praxiserfahrungen aus Betroffenensicht und aus Sicht der Beratungseinrichtungen unberücksichtigt. Hinweisen, wie eine Vereinfachung der Abläufe auch und gerade aus Sicht der Betroffenen und im Sinne einer besseren, einfacheren und sicheren Gewährleistung des Existenzminimums erreicht werden kann, wurde so kaum nachgegangen.
Viele Leistungsberechtigte leiden unter nicht nachvollziehbaren und unverständlichen Abläufen und Regelungen, wie etwa die Unverständlichkeit von Bescheiden, existenzbedrohende Sanktionen oder intransparente Rückrechnungen von Zuverdiensten. Diesbezüglich bietet der Gesetzentwurf kaum positive Vorschläge. Soziale Rechte und Verfahrensrechte von Hartz-IV-Leistungsberechtigten werden primär aus der Perspektive des administrativ-bürokratischen Aufwands betrachtet und Effizienzerwägungen untergeordnet.
Insbesondere die Einführung einer nicht bedarfsdeckenden Gesamtobergrenze für Miete und Heizkosten, die verschärfte Anrechnung von Einkommen wie etwa die Nachzahlungen aus anderen Sozialleistungen als einmalige Einnahme, die Ausweitung der Ersatzansprüche bei sogenannten sozialwidrigem Verhalten auch auf Erhöhung, Aufrechterhaltung und nicht erfolgte Verringerung der Hilfebedürftigkeit sowie die Ausweitung auf Sachleistungen sind zu kritisieren. Auch sind verschiedene sinnvolle Vorschläge anderer Institutionen, etwa zur Deckung der Sicherungslücke bei Übergängen aus der Grundsicherung in Erwerbsarbeit und in die Rente oder die Abschaffung der Zwangsverrentung von älteren Hartz-IV-Berechtigten (Vorschläge u. a. des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge) oder die Angleichung der Regelbedarfe für Erwachsene (Vorschlag des Deutschen Landkreistages) von der Arbeitsgruppe nicht aufgegriffen worden und sind damit auch nicht in dem Gesetzentwurf eingeflossen. Hingegen wurden aufgrund des Widerstands der CSU tatsächlich vorhandene Vorschläge des Abschlussberichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Abmilderung des Sanktionsrechts nicht übernommen.
Bereits im Status quo ist Hartz IV ein Sonderrechtssystem mit geringeren Verfahrensrechten für die Betroffenen gegenüber dem allgemeinen Verwaltungs- und Sozialrecht. So werden beispielweise rechtswidrige Bescheide lediglich ein Jahr rückwirkend korrigiert, während im allgemeinen Sozialverwaltungsrecht die Frist vier Jahre beträgt. Statt im Rahmen der Vereinfachung dieses Sonderrechtssystem zu korrigieren, wird es durch die weitere Begrenzung des Anspruchs auf rückwirkende Korrekturen weiter ausgebaut. Es ist weder sozial- noch rechtspolitisch zu rechtfertigen, dass ein rechtswidriger, nicht begünstigender Bescheid bei einem entsprechenden Urteil nicht korrigiert werden soll. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu Gunsten von Leistungsberechtigten werden teilweise durch das Gesetz zurückgenommen. Ebenso wären eine Abschaffung des Sanktionssonderrechts für junge Leistungsberechtigte und der Ausschluss der Kürzung von Kosten der Unterkunft und Heizung erforderlich. Solange die Kosten der Unterkunft Gegenstand von Sanktionen sein können, können Sanktionen unmittelbar in die Obdachlosigkeit führen.
Selbst mit Blick auf das zentrale Motiv der Gesetzesinitiative, die Verwaltungsvereinfachung, ist das Ergebnis äußerst unbefriedigend. Eine nennenswerte Entlastung der Bürokratie für Träger und Betroffene erfolgt nämlich nicht. Die Bundesregierung selbst rechnet im Entwurf lediglich mit einer Entlastung des Erfüllungsaufwands für die Träger der Grundsicherung in Höhe von 39 Mio. Euro. Die angestrebte Effizienzsteigerung steht in keinem Verhältnis zur massiven Unterdeckung der Verwaltungskosten der Jobcenter, die von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) mit 1,1 Mrd. Euro für das Haushaltsjahr 2016 kalkuliert wird. Der Forderung der ASMK, den entsprechenden Haushaltsansatz im Bundeshaushalt um diese Summe zu erhöhen, ist die Bundesregierung nicht gefolgt.
II. Der Landtag stellt fest:
1. Die Regelungen von Hartz IV sind für Leistungsberechtigte übermäßig kompliziert, intransparent und unverständlich, sowie mit einem übermäßigen Aufwand für die Verwaltung versehen.
2. Der Landtag begrüßt Bemühungen, den Bezug von Leistungen nach SGB II zu vereinfachen und den Verwaltungsaufwand abzubauen.
3. Vereinfachungen müssen sowohl aus Sicht der Verwaltung als auch aus Sicht der Leistungsberechtigten erfolgen. Betroffene, Sozial- und Wohlfahrtsverbände sowie Gewerkschaften müssen an der Entwicklung dieser Vereinfachungen beteiligt werden.
4. Ein Grundrecht darf man nicht kürzen. Leistungen müssen existenzsichernd sein. Das Existenz- und Teilhabeminimum darf nicht sanktioniert werden.
5. Leistungsberechtigte sind keine Bürger zweiter Klasse. Für sie müssen dieselben Verfahrensrechte gelten wie sie im allgemeinen Verwaltungs- und Sozialrecht bestehen.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1. sich bei den Beratungen im Bundesrat gegen diesem Gesetzentwurf zu positionieren und auszusprechen;
2. sich auf allen politischen Ebenen für eine sanktionsfreie Mindestsicherung und gegen Sanktionen unter das Existenz- und Teilhabeminimum einzusetzen;
3. eine echte Vereinfachung des SGB II anzuregen, die sowohl aus der Perspektive der Verwaltung als auch der der Leistungsberechtigten gesehen wird, und an deren Entwicklung auch Betroffene, Sozial- und Wohlfahrtsverbände sowie Gewerkschaften beteiligt sind.
Daniel Schwerd