LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
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Drucksache 16/10061 |
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27.10.2015 |
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Mehr politische Widersprüchlichkeit geht nicht: CDU und SPD bejubeln erst die Aufkündigung von Safe Harbor und führen dann die anlasslose Vorratsdatenspeicherung (VDS) wieder ein
I. Sachverhalt
Erst wurde die Safe Harbor-Aufkündigung begrüßt, …
Am 06. Oktober 2015 ist die Entscheidung „Safe Harbor“ der Europäischen Kommission vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für ungültig erklärt worden (Rechtssache C-362/14). Die Safe-Harbor-Entscheidung von 2000 genehmigte per se die Übermittlung personenbezogener Daten an Unternehmen in den Vereinigten Staaten, da davon ausgegangen wurde, dass US-Firmen gleichwertige Datenschutzstandards wie die innerhalb der EU gewähren. Ein österreichischer Datenschutzaktivist hatte sich 2013 bei der irischen Datenschutzbehörde über den nicht angemessenen Schutz seiner Facebookdaten beschwert. Diese sah sich als nicht zuständig an. Der Fall wurde an den EuGH verwiesen.
Hauptbegründung im EuGH-Urteil: Das ursprünglich definierte gleichwertige Datenschutzniveau zwischen den USA und der EU habe heute keinen Bestand mehr. Somit hat der EuGH die Grundannahme von Safe Harbor, das gleichwertige Schutzniveau, abgelehnt. Nicht zuletzt die Snowden-Enthüllungen haben gezeigt, dass keinesfalls von einem adäquaten Schutz personenbezogener Daten in den USA ausgegangen werden darf.
Gleichzeitig weist der EuGH mit seinem Urteil unmissverständlich darauf hin, dass die nationalen Datenschutzbehörden bei vermuteten bzw. beklagten Grundrechtsverletzungen nicht untätig bleiben und sich auf EU-Entscheidungen berufen dürfen. Auch legten die EuGH-Richter höhere Standards an mögliche neue datenschutzrelevante Abkommen.
Die Entscheidung des EuGH wurde unter anderem von Vertretern der deutschen Bundesregierung, darunter Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU), als notwendige Stärkung der Grundrechte, insbesondere das Recht auf Schutz personenbezogener Daten, lautstark begrüßt.
… dann die Vorratsdatenspeicherung (VDS) wieder eingeführt!
Keine zehn Tage später hat eine Mehrheit des Deutschen Bundestages aus CDU und SPD die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Telekom- und Internetunternehmen werden verpflichtet, Verbindungsdaten aller Kunden anlasslos über zehn Wochen zu speichern; hinzu kommt eine Vierwochenspeicherfrist für Standortdaten von Handys.
Abgesehen davon, dass dies die zu speichernden Daten enorm aufbläht, wird dadurch eine viel detailliertere und tiefergehende Bewegungsprofilbildung der Nutzer im Internet möglich. Diese Informationen könnten das Interesse ausländischer Geheimdienste und auch krimineller Erpresser wecken.
Diese sehr viel detailliertere Speicherung als noch 2007 könnte ein weitaus weitreichender Eingriff in das Fernmeldegeheimnis darstellen als beim letzten gescheiterten Versuch der Vorratsdatenspeicherung.
Zudem steht die „neue VDS“ unter dem Vorbehalt der Verfassungsmäßigkeit: Von vielen Seiten wird die Vereinbarkeit der Datenspeicherung mit den verfassungsmäßig gesetzten Grenzen bezweifelt, kürzlich zum Beispiel durch die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff. Klagen sind bereits angekündigt. Ein Nutzen einer anlasslosen und massenhaften Vorratsdatenspeicherung für die Strafverfolgung ist derweil statistisch gar nicht zu belegen. Auch trägt der Gesetzentwurf zur „neuen VDS“ den Vorgaben des EuGH keine Rechnung.
II. Der Landtag stellt fest
1. Das Urteil des EuGH zur Safe-Harbor-Entscheidung ist eine Folge der Snowden-Enthüllungen und stärkt die individuellen Grundrechte von in der EU lebenden Menschen.
2. Das Urteil des EuGH zur Safe-Harbor-Entscheidung stärkt zudem die Unabhängigkeit, den Einfluss, aber auch die Verantwortung der nationalen (und Landes-) Datenschutzaufsichtsbehörden.
3. Auch die vom Bundestag beschlossene Regelung zur Mindestspeicherfrist von Telekommunikationsverkehrsdaten stellt eine anlasslose und massenhafte Vorratsdatenspeicherung dar und ist ein tiefgreifender Eingriff in die Grundrechte der in Deutschland und der EU lebenden Menschen.
4.
Mit der „neuen VDS“ besteht die
Gefahr, dass eben jene massenhafte Übertragung
personenbezogener, also in der EU grundrechtlich geschützter, Daten in die USA
stattfindet, die durch die Entscheidung des EuGH zu Safe Harbor unterbunden
werden soll.
5. Vertreter der gleichen politischen Parteien, insbesondere aus CDU und SPD, sowie teilweise die gleichen Personen haben erst die Entscheidung des EuGH zu Safe Harbor als notwendige Stärkung der Grundrechte, insbesondere das Recht auf Schutz personenbezogener Daten, begrüßt und dann wenige Tage später der Wiedereinführung einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung in Deutschland, die aus Sicht des EuGH grundsätzlich einen tiefen Eingriff in eben jenes Grundrecht darstellt, zugestimmt.
6. Eine grundsätzliche Begrüßung des EuGH-Urteils zu Safe Harbor und die Wiedereinführung einer anlasslosen VDS sind politisch vollkommen widersprüchlich.
Michele Marsching
Marc Olejak
Nicolaus Kern
Frank Herrmann
und Fraktion